„Sterben stört die Party”

Ein novem­ber­li­ches Gespräch über den Tod: 

 

Herr Klo­novs­ky, haben Sie Angst vor dem Tod?

Klo­novs­ky: Nein. Eher vorm Ster­ben, das kann ja sehr unan­ge­nehm werden. 

„Zum Tod immer!“ war Ihre begeis­ter­te Ant­wort auf die­se Inter­view­an­fra­ge.

Klo­novs­ky: Wor­über soll man denn sonst reden? Der Tod gibt dem Dasein sei­ne Schwe­re und zugleich all unse­re Bemü­hun­gen einer gewis­sen Lächer­lich­keit preis. Alle Sinn­fra­gen haben ihre Ursa­che im Ster­ben­müs­sen. Ohne Tod kei­ne Meta­phy­sik, kei­ne Reli­gi­on, kei­ne Kunst. Unsterb­lich­keit muß ein schreck­lich öder Zustand sein. Stel­len Sie sich vor, Johan­nes B. Ker­ner, Clau­dia Roth oder Kim Jong-il wür­den ewig leben. Viel­leicht ist die Höl­le ja eine unend­li­che Talkshow. 

Das klingt, als freu­te Sie Ihre Sterb­lich­keit.

Klo­novs­ky: Es ist gut, daß es irgend­wann endet. Ich unter­stel­le mal, der alte Mensch hat in der Regel auch die Nase voll von sei­nen Nicht-mehr-Zeit­ge­nos­sen und ihrem selt­sa­men Trei­ben. Und Anpas­sung wür­de ihn schließ­lich noch mehr ernied­ri­gen als das Siechtum. 

Aber zugleich fürch­ten Sie das Ster­ben.

Klo­novs­ky: Na ja, es ist eben ein Duell, das man nur ver­lie­ren kann. Der ande­re ist ungleich stär­ker, Mike Tyson wäre ein Chor­kna­be neben ihm. Man wird wohl eine mise­ra­ble Figur machen bei der Ange­le­gen­heit. Daß man ster­ben muß, ist eine Bin­se, jeder weiß das, doch sieht es so aus, daß man es irgend­wann erst wirk­lich „kör­per­lich“ begrei­fen muß. Das kann in einer Gefahr pas­sie­ren oder nachts schlaf­los im Bett, in einer düs­te­ren Stun­de, wo einem die Erkennt­nis durch Mark und Bein kriecht, daß die­ser Kör­per tat­säch­lich ein­mal ster­ben und ver­we­sen wird. Und dann kom­men die­se Stun­den immer wieder. 

Was mei­nen Sie mit der Lächer­lich­keit, die uns der Tod vor Augen führt?

Klo­novs­ky: Ein end­li­ches Wesen hat drei Alter­na­ti­ven, mit sei­ner End­lich­keit umzu­ge­hen: die Igno­ranz, das Lamen­tie­ren und die Hei­ter­keit. Daß der Mensch sterb­lich ist, egal wie wich­tig er sich nimmt, hat ja etwas zutiefst Komi­sches. Wir kom­men auf die­sen unschein­ba­ren Pla­ne­ten und wis­sen nicht, woher und war­um. Wir leben all­zeit ster­bend und erfah­ren nie, was die­se gan­ze Ver­an­stal­tung soll und bei wem wir uns bedan­ken oder beschwe­ren kön­nen. Wir stu­die­ren das Leben und müs­sen zur Kennt­nis neh­men, daß eine sol­che Fül­le, Viel­falt und Schön­heit ein­fach nur da ist, ohne Sinn, ohne Dau­er, einer fata­len Ver­gäng­lich­keit über­ant­wor­tet. Was kann das ande­res sein als ein Witz? Sub­jek­tiv betrach­tet ist der Tod das Ende der gan­zen Lachnummer. 

Haben Sie schon mal über Selbst­mord nach­ge­dacht?

Klo­novs­ky: Ich kann mich nicht erin­nern, jemals nicht über Selbst­mord nach­ge­dacht zu haben, bis sich erst­mals die­se Kin­der­ärm­chen um mei­nen Hals leg­ten; dann wuß­te ich, daß ich eine Pau­se ein­zu­le­gen habe. Ein ira­ni­scher Regis­seur, der Name ist mir ent­fal­len, hat die ulti­ma­ti­ve Sen­tenz dazu for­mu­liert: Ohne die stän­di­ge Mög­lich­keit des Selbst­mor­des hät­te er sich längst umgebracht. 

Ephra­im Kishon frag­te mal in einem Inter­view über die Ehe, ob der Inter­view­er über­haupt ver­hei­ra­tet sei? Als der ver­nein­te, sag­te Kishon: „Was reden Sie über­haupt dar­über, dann sind Sie ein Dilet­tant!“ Sind wir beim The­ma Tod nicht alle Dilet­tan­ten und soll­ten also bes­ser schwei­gen?

Klo­novs­ky: Das nötigt uns dazu, ein paar Dif­fe­ren­zie­run­gen vor­zu­neh­men. Hei­ner Mül­ler hat ein­mal beschrie­ben, wie ihm ange­sichts eines Toten der Gedan­ke an den eige­nen Tod gekom­men sei und in Klam­mern dazu­ge­setzt: „Es gibt kei­nen ande­ren.“ Das sehe ich nicht so. Es gibt den Tod naher Men­schen, und hier möch­te ich aus einem Rest von Aber­glau­ben nicht wei­ter­ge­hen. Gewiß, indem wir ein Kind zeu­gen, zeu­gen wir einen Tod. Aber bit­te lan­ge nach mei­nem! Das Schreck­lichs­te ist, wenn der Tod die Rei­hen­fol­ge ver­wech­selt. Auch die Gat­tin soll­te tun­lichst nicht vor mir in die ewi­gen Jagd­grün­de ein­ge­hen, son­dern eine lus­ti­ge Wit­we wer­den dürfen. 

Also Herr Klo­novs­ky, dann sagen Sie uns jetzt: Was kommt „danach“?

Klo­novs­ky: Was soll danach denn kom­men? Es kommt doch davor schon genug. Der Tod eröff­net ja erst die­ses Davor. Er lehrt, daß man sein Dasein nicht all­zu­sehr ver­plem­pe­re und sei­nen Lie­ben alles gebe, damit am Ende zum Schmerz des Schei­den­müs­sens nicht noch die Reue über Ver­säum­nis­se kommt. Mir ist die Idee der Unsterb­lich­keit der See­le, der Auf­er­ste­hung und so wei­ter eine Spur zu ego­zen­trisch. Man muß doch auch mal Platz machen für andere. 

Sie glau­ben an kei­ner­lei Unsterb­lich­keit?

Klo­novs­ky: Doch, etwa an jene Bachs, Shake­speares, Homers, Heid­eg­gers oder Veláz­quez’. Aber die­ses Gre­mi­um ist wohl längst voll­zäh­lig. Der Mensch ist zu klein gewor­den, um noch Ver­tre­ter dort­hin zu entsenden. 

Und was bleibt von Ihnen?

Klo­novs­ky: Eine Home­page, auf wel­cher ver­irr­te Sur­fer Erbau­ung und Beleh­rung finden. 

Hein­rich Hei­ne klagt in sei­nem „Laza­rus“, der Mensch „fragt bestän­dig – bis man uns mit einer Hand­voll Erde end­lich stopft die Mäu­ler. Aber ist das eine Ant­wort?“ Ist der Tod also eine Ent­täu­schung?

Klo­novs­ky: Hei­ne beklagt in die­sem Gedicht die Unge­rech­tig­keit des Lebens, also daß der Gerech­te das Kreuz trägt und der Schur­ke auf hohem Roß sitzt. Es gibt die alte Sage, daß Midas den Sile­nus, den Beglei­ter des Dio­ny­sos, gefan­gen hat­te und von ihm wis­sen woll­te, was wohl für den Men­schen das Bes­te und was das Aller­vor­züg­lichs­te sei. Silen habe geant­wor­tet, erzählt zumin­dest Aris­to­te­les, das Aller­vor­züg­lichs­te wäre für den Men­schen, gar nicht gebo­ren zu wer­den. Das Nächst­bes­te jedoch, nach­dem er nun mal gebo­ren wur­de, bald­mög­lichst zu ster­ben. Dar­aus, daß uns die­se Aus­kunft stark über­trie­ben erscheint, kön­nen wir schlie­ßen, daß sich die Zei­ten spe­zi­ell für uns etwas ver­bes­sert haben. Aber auch erst seit einem reich­li­chen hal­ben Jahr­hun­dert und kei­nes­wegs mit Garan­tie für die Zukunft. 

„Ich bin der Weg, die Wahr­heit und das Leben“, ist die Ant­wort Jesu Chris­ti auf den Tod, denn er spricht die­sen Satz bei sei­ner Abschieds­re­de an die Jün­ger, kurz bevor sei­ne Pas­si­on beginnt.

Klo­novs­ky: Ich fin­de die gan­ze Jesus-Chris­tus-Geschich­te und vor allem sei­ne Wir­kungs­ge­schich­te viel auf­re­gen­der und gran­dio­ser, wenn er nicht Got­tes Sohn war. Aber so oder so: Wir fol­gen ihm, wenn wir eines Tages dahin gehen, wo schon so vie­le hin­ge­gan­gen sind. 

Gäbe es kei­nen Gott, kei­nen Heils­plan, gäbe es kei­nen Sinn. Dann wäre Altern doch in der Tat bereits gleich Ster­ben.

Klo­novs­ky: Wie gesagt: Wir ster­ben gewis­ser­ma­ßen vom ers­ten Schrei an. Proust hat ster­bend die „Recher­che“ geschrie­ben, Wag­ner ster­bend die „Meis­ter­sin­ger“ kom­po­niert, Lan­ce Arm­strong ist ster­bend hin­auf nach L’Alpe d’Huez geschwirrt, und Ange­li­na Jolie trägt ster­bend täg­lich Rouge auf. Was uns an jener fina­len Pha­se des Ster­bens, die wir Alter nen­nen, so sehr irri­tiert, ist wohl weni­ger die Todes­nä­he als der Ver­fall. Dabei hat der doch den Zweck, das Ster­ben zu erleich­tern. Unse­re Gesell­schaft ist zu wohl­ha­bend und folg­lich zu lust-ori­en­tiert, um mit dem Alter etwas anfan­gen zu kön­nen, es muß sich des­halb ver­ste­cken. „Der jugend­li­che Kör­per ist das ein­zi­ge begeh­rens­wer­te Gut, das die Welt je her­vor­ge­bracht hat“, schreibt Michel Hou­el­le­becq. Ich weiß nicht, wie schlimm das mit dem kör­per­li­chen Ver­fall wird, aber solan­ge das Gehirn funk­tio­niert, ist nichts ver­lo­ren. Und solan­ge ich noch irgend­wo einen Mus­kel habe, den ich halb­wegs schmerz­frei trai­nie­ren kann, wer­de ich ihn trak­tie­ren, um mei­nen Ver­fall zu ver­zö­gern und mei­nen Appe­tit zu fördern. 

Aber „alle Lust will Ewig­keit“, wie Nietz­sche sagt.

Klo­novs­ky: Sie darf wol­len, aber sie nicht bekom­men. Lust braucht Pau­sen, sonst bringt sie uns um, und wir wüß­ten gar nicht, daß es sie gibt. Und ohne Tod wäre alle Lust nichts Besonderes. 

Glau­ben Sie den Athe­is­ten, die sagen, der Tod ist ein bio­lo­gi­scher Vor­gang, den sie nicht fürch­ten, weil er natür­lich ist?

Klo­novs­ky: Gómez Dávila spricht: „Der moder­ne Mensch hält den Tod so lan­ge für natür­lich, bis er sel­ber an der Rei­he ist.“ Dann mag jeder sehen. 

Gotik und Barock haben den Tod reflek­tiert. Kön­nen Sie sich vor­stel­len, der Tod könn­te sich auch in unse­rer Stil­epo­che nie­der­schla­gen?

Klo­novs­ky: Die Todes­be­zo­gen­heit in der Kunst bei­der Epo­chen hat stark mit dem Vani­tas-Gedan­ken zu tun. Im Spät­mit­tel­al­ter tritt ja nach und nach das bür­ger­li­che Indi­vi­du­um aus dem Kol­lek­tiv her­vor, etwa in Gestalt des Kauf­manns, und in Euro­pa brei­tet sich ein gewis­ser Reich­tum aus. Der muß kirch­li­cher­seits kon­ter­ka­riert wer­den mit dem Hin­weis, alles Irdi­sche sei eitel. Auf den über­bor­den­den Stil­le­ben der alten hol­län­di­schen Meis­ter etwa, in denen die wohl­ha­ben­den Bür­ger einer See­fah­rer­na­ti­on ihren Besitz fei­ern, fehlt sel­ten ein Ver­gäng­lich­keits­sym­bol. Und dann erst die Pracht und der Pomp am abso­lu­tis­ti­schen Hofe! Das schreit nach dem aus­glei­chen­den Hin­weis, daß der Herr­scher das alles nicht mit ins Grab neh­men kann und daß für ihn wie für den armen Schlu­cker am Ende die vier letz­ten Din­ge gel­ten: Tod, Gericht, Höl­le oder Auf­er­ste­hung. In einer Gesell­schaft der eher Glei­chen wie unse­rer, die zudem immer weni­ger an letz­te Din­ge glaubt, ist zumin­dest die­ser Hin­weis unnötig. 

Aber das 20. Jahr­hun­dert hat mehr Tod erlebt als jede ande­re Zeit. War­um fin­det er trotz­dem kei­nen Nie­der­schlag in der zeit­ge­nös­si­schen Ästhe­tik?

Klo­novs­ky: Ich weiß nicht, zu wel­chem nor­mal­mensch­li­chen Gegen­stand die zeit­ge­nös­si­sche Ästhe­tik über­haupt noch einen Bezug hat. Viel­leicht zur Por­no­gra­phie. Die Lie­be fin­det ja auch kaum mehr statt. Der Tod ist eben uncool. Ster­ben stört die Par­ty. Man soll sich still und heim­lich davonmachen. 

Ist der Tod also kon­ser­va­tiv?

Klo­novs­ky: Inso­fern der Kon­ser­va­ti­ve den Men­schen eher als exis­ten­ti­el­les Wesen betrach­tet und der Lin­ke eher als sozia­les, mag das sein. Rein sta­tis­tisch ist der Tod schließ­lich kein Pro­blem, zumin­dest kei­nes, das den soge­nann­ten Fort­schritt auf­hält, und was tot ist, inter­es­siert den Fort­schritt­ler in der Regel nicht mehr, weil er es zugleich für über­holt hält. Ande­rer­seits wer­den Men­schen mit zuneh­men­dem Alter oft kon­ser­va­ti­ver. Ob die Grün­de nun Erfah­rung, Des­il­lu­sio­nie­rung, Geschmacks­ver­fei­ne­rung oder Vita­li­täts­man­gel hei­ßen, die­ser Gesin­nungs­wan­del voll­zieht sich jeden­falls vor dem Hin­ter­grund des näher­rü­cken­den Todes. Man könn­te also for­mu­lie­ren: Der Tod macht konservativ. 

Das ist der Alters­tod – was ist eigent­lich mit dem gewalt­sa­men Tod, der ist ja auch sehr ver­brei­tet?

Klo­novs­ky: Der wür­de den Aspekt der Stra­fe und der Rache ins Spiel brin­gen, viel­leicht auch der Lust, die das Töten offen­bar berei­ten kann, ganz ohne Ewig­keit. Unse­re Gesell­schaft läßt es bekannt­lich zu, daß der Mör­der das Opfer bis zu sei­nem natür­li­chen Tod über­lebt, ja daß er mög­li­cher­wei­se sogar wie­der frei­kommt. Mit Heb­bel gespro­chen, soll der Tod in Men­schen­ge­stalt aber nicht umher­ge­hen. Es war ein guter Tag, als Eich­mann hing. Das ver­fluch­te 20. Jahr­hun­dert hät­te vie­le sol­cher Tage ver­dient. Ich fin­de, das ein­zi­ge Argu­ment gegen die Todes­stra­fe ist die mög­li­che Unschuld des Delin­quen­ten. Ich sehe jedoch kei­nen Sinn dar­in, daß etwa ein über­führ­ter Kin­der­mör­der wie Marc Dut­roux noch lebt – und daß die Qua­len der Kin­der wei­ter in der Welt sind, näm­lich in der End­los­schlei­fe sei­ner Erin­ne­rung. Als Vater wür­de mich das ver­rückt machen. 

Aber „Mein ist die Rache!“, redet Gott.

Klo­novs­ky: Dann wür­den eini­ge indi­vi­du­el­le Ter­mi­ne sei­nes Gerichts eben etwas beschleu­nigt. Im übri­gen neh­me ich ange­sichts der Bevöl­ke­rungs­ent­wick­lung an, daß ein ande­rer gewalt­sa­mer oder beschleu­nig­ter Tod dem­nächst für völ­lig nor­mal gel­ten wird, näm­lich der durch Ster­be­hil­fe herbeigeführte. 

Wäre das eine Opti­on für Sie?

Klo­novs­ky: Das wird sich zei­gen. Nach­dem inzwi­schen alles dar­auf hin­aus­läuft, daß man sich sogar die Beschaf­fen­heit sei­ner Kin­der aus­su­chen kann, fehlt eigent­lich nur noch die Opti­on, Todes­ter­min und Todes­art zu wäh­len. Ein Freund von mir erklär­te, sein Wunsch­tod sei, mit dem Gesicht vor­an in eine war­me Polen­ta zu fal­len und, wäh­rend er sei­nen letz­ten Seuf­zer tue, mit der Zun­ge noch nach einem wun­der­bar kroß gebra­te­nen Stein­pilz zu lan­gen. Dar­an erkennt man, daß der Mann Phi­lo­soph ist. 

Und Ihr Wunsch­tod?

Klo­novs­ky: Viel­leicht wirk­lich bei Tische. Oder am Meer. Mein Alp­traum wäre der Tod im Kran­ken­haus. Doch womög­lich besteht der ele­men­tars­te Wunsch dar­in, daß ich nicht allein bin zu mei­ner Stun­de, daß mir dann eine lie­be Hand das letz­te Kis­sen unter mein müdes Haupt schiebt. 

 

 

Erschie­nen in: Jun­ge Frei­heit, 19. Novem­ber 2010, S. 3

Vorheriger Beitrag

Giacomo Puccini: Tosca

Nächster Beitrag

Ein Nagel im Sarg des westlichen Menschen

Ebenfalls lesenswert