Glenn Gould spielt Bach: Französische Ouvertüre

 

Glenn Gould ist ein Fall für sich; eigent­lich mag ich ihn und sei­ne Mani­riert­hei­ten nicht, spe­zi­ell sein häu­fi­ges Mit­ge­brum­me stört mich bei sei­nen Ein­spie­lun­gen, fer­ner deren ver­gleichs­wei­se hohe Ste­ri­li­tät: Es ist eben alles im Stu­dio auf­ge­nom­men, mit weiß der Him­mel wel­chen Schnit­ten. Es wäre unfair, ihm sei­ne Fans vor­zu­wer­fen („größ­ter Pia­nist des 20. Jahr­hun­derts“), aber mit sei­nen Marot­ten hat er doch dar­an mit­ge­wirkt, eine „Kult­fi­gur“ für zahl­lo­se Amu­si­sche zu wer­den. Ande­rer­seits war der Kana­di­er eine enor­me pia­nis­ti­sche Bega­bung. Ent­schie­den für ihn spricht über­dies sei­ne fast mono­the­is­ti­sche Lie­be zu Bach – sei­ne Aus­sa­ge, dass er sich für nicht­po­ly­pho­ne Musik eigent­lich kaum inter­es­sie­re, ist von erfri­schen­der Radi­ka­li­tät. Gould hat viel für Bach getan, zwar bei­lei­be nicht so viel wie Bach für Gott, aber doch einiges.

Das Pro­blem, wie man Bach auf dem Kla­vier dar­bie­tet, war zen­tral für Gould, und da wirk­te er durch­aus maß­stäb­lich. Er spiel­te ihn kon­se­quent ohne Pedal, weil er vom Cem­ba­lo her dach­te und sich anschei­nend nicht wei­ter als nötig von jenem Instru­ment ent­fer­nen woll­te, auf dem Bach gespielt hat­te, ohne zugleich den gerings­ten Zwei­fel auf­kom­men zu las­sen, dass mit dem moder­nen Kon­zert­flü­gel das idea­le Bach-Instru­ment exis­tiert. Es gibt eine Rei­he hei­li­gerns­ter Auf­nah­men vor Gould – Edwin Fischers „Wohl­tem­pe­rier­tes Kla­vier“ etwa oder der fun­keln­de Bach von Gie­se­king –, doch mit sei­ner star­ken rhyt­mi­schen Akzen­tu­ie­rung, der makel­lo­sen Deut­lich­keit und einer oft­mals berü­cken­den manu­el­len Zärt­lich­keit berei­cher­te Gould die Bach-Inter­pre­ta­ti­on außer­or­dent­lich. Eigent­lich müss­te ich jetzt die spä­te Auf­nah­me der „Gold­berg-Varia­tio­nen“ emp­feh­len, aber die ken­nen Sie ja längst. Ich rufe also die viel zu sel­ten gespiel­te Fran­zö­si­sche Ouver­tü­re BWV 831 in Erin­ne­rung, in Goulds Fall spe­zi­ell die Ouver­tu­re der­sel­ben, denn hier ver­sam­melt er viel­leicht mehr von der erwähn­ten Zärt­lich­keit als anders­wo sonst. Dafür ver­dirbt er das glanz­vol­le „Echo“ am Schluss, weil er eben die Echos nicht spielt, weiß der Gei­er aus wel­cher Marot­te nun diesmal.

The Glenn Gould Edi­ti­on: Bach: French Sui­tes;  Over­tu­re in French Style, 2 CDs (Sony)

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, April 2012 

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