Sergio Fiorentino: The Berlin Recordings

Zu annon­cie­ren ist heu­te ein Schatz­käst­lein, des­sen Ent­de­ckung ich dem Hin­weis eines Ken­ners ver­dan­ke; es wäre mir sonst wohl auf immer ver­bor­gen geblie­ben. Wenn Kul­tur­tech­ni­ken in die Ver­ges­sen­heit absin­ken, kann es pas­sie­ren, dass auch enor­me Meis­ter mit­ver­sin­ken. Ein sol­cher war der 1927 gebo­re­ne und 1998 ver­stor­be­ne ita­lie­ni­sche Pia­nist Ser­gio Fio­ren­ti­no. Vor einem hal­ben Jahr­hun­dert galt der Nea­po­li­ta­ner als Welt­star, bewun­dert von Grö­ßen wie Horo­witz und Michel­an­ge­li; Letz­te­rer nann­te sei­nen Lands­mann „il solo alt­ro pia­ni­s­ta“ („der ein­zi­ge ande­re Pia­nist“). Nach einem Auf­tritt 1953 in der Car­ne­gie Hall ver­gli­chen ihn ame­ri­ka­ni­sche Kri­ti­ker mit Rach­ma­ni­nov. Dem frü­hen Erfolg folg­te eine unste­te Kar­rie­re. 1974 zog er sich ganz von der Büh­ne zurück, um fort­an nur noch Kla­vier zu leh­ren – ange­hörs sei­ner über­ra­gen­den Fähig­kei­ten eine gro­tes­ke Ent­schei­dung. Fio­ren­ti­nos spä­tes Come­back ist dem west­fä­li­schen Musik­lieb­ha­ber Ernst Lum­pe zu ver­dan­ken, der mit ihm die vor­lie­gen­de Box Mit­te der 1990er Jah­re in der Ber­li­ner Sie­mens­vil­la pro­du­zier­te. Wahr­schein­lich hät­te die­ses pia­nis­ti­sche Genie sonst über­haupt nichts mehr aufgenommen.

Fio­ren­ti­nos spä­tes Spiel ist aris­to­kra­tisch, nobel und von erle­se­ner Klar­heit, ja End­gül­tig­keit, aber jeder­zeit tem­pe­riert und erre­gend. Hier agiert kein Pia­nist, der auf sich auf­merk­sam machen will, son­dern einer, der Bilanz zieht, der in den Stü­cken umher­geht wie in den Zim­mern sei­nes Hau­ses. Die Box umfasst Wer­ke von Bach, Schu­bert, Schu­mann, Liszt, Scria­bin, Rach­ma­ni­nov, César Franck, Cho­pin, Pro­ko­fiev, Debus­sy. Wo mit dem Rüh­men anfan­gen? Hier ist fast alles Refe­renz, zunächst sein tief­sin­ni­ger César Franck; Liszts h‑Moll-Sona­te steht wie ein licht­durch­strahl­ter Dom vor uns; Schu­manns „Car­na­val“ ist, mit spar­sa­men Pedal­ge­brauch, so glanz­voll und klar dar­ge­bo­ten, wie man das Werk sel­ten gehört hat; Fio­ren­ti­nos sin­gen­des Bach-Spiel kann sich mit jenem Lipat­tis mes­sen, und sein Schu­bert klingt so rein wie sonst nur der von Radu Lupu. Kurz: zwölf Stun­den Glück, zwölf Stun­den Ret­tung vor jeder Art Über­druss…
 
Ser­gio Fio­ren­ti­no, The Ber­lin Recor­dings, 10 CD (Pia­no Classics)

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, August 2014

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