Brahms: Klaviersonate Nr. 3
Johannes Brahms hat sehr früh Klaviersonaten und ziemlich spät Sinfonien komponiert. Als er seine dritte und letzte Sonate schrieb, war er 20 Jahre alt. Man ist Frühreife aus dieser Sphäre ja gewohnt, aber dass die formvollendete, allwissend-runde und im vierten Satz erschütternd fatalistische f‑Moll-Sonate von einem so jungen Menschen stammt, ist eigentlich kaum zu glauben. In diesem Werk manifestiert sich ein enormer Wille zur Klassizität, zur Ganzheit, zur Vollendung. Keine der gestellten Frage bleibt offen.
Der Aufbau ist symmetrisch, drei schnelle Sätze umgeben zwei langsame. Wie (fast) immer trügt der Schein des Aus-einem-Guss-Geschaffenen; die beiden langsamen Sätze waren zuerst fertig. Da Brahms große Teile des Werks als Gast von Clara und Robert Schumann zu Papier brachte und eingedenk seiner Passion für die Gattin des Kollegen darf man spekulieren, ob sie die eigentliche Adressatin dieser beiden Teile war. Das Andante espressivo ist von tastender Zärtlichkeit und singt sich in einem schwelgerischen Crescendo aus, es ist der einzige Satz, der tatsächlich von einem 20jährigen stammt, ein, mit Verlaub, musikalisches Händchenhalten, vielleicht eines der zärtlichsten überhaupt. Das „Intermezzo“ wiederum erinnert an einen Trauermarsch, es ist ein resignatives sich-Schicken in was auch immer. Lauschen wir der Liebeserklärung und dem Vergeblichkeitsbefund? Aber solche Interpretationen sind indiskret und letztlich unwichtig.
Schumann feierte den jungen Brahms als Genie und nannte seine Sonaten „mehr verschleierte Symphonien“. Vielleicht waren sie in der Tat so etwas wie ein Probelauf für die große Orchesterform. Für das Klavier schrieb Brahms danach nur noch Variationen und kleine Stücke. In den schnellen Sätzen ist die f‑Moll-Sonate, trotz eingestreuter kontemplativer Passagen, ein überaus komplexes, zielstrebiges, volltönendes, zuweilen wuchtiges Opus. Speziell beim Anfangs- und Finalsatz sind subtile Interpreten gefragt, sonst droht ein Radau. Lange hielt ich Kissin, der die Sonate mit einem dicken und homogenen Klang quasi wie eine Brahms-Sinfonie darbietet, für den kongenialen Interpreten. Doch das Genie Sokolovs widerrief alles, las dem Werk eine tiefe Zerrissenheit ab und entdeckte in ihm Brüche, Zweifel und ungeahnte Lyrismen.
Johannes Brahms: Balladen Op. 10/Sonate Nr. 3 Op. 5; Grigory Sokolov (Opus 111)
Vergnügungszoll
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