Die Sonntage immer…!
Unlängst, am Rande eines Empfangs im Bundestag, verirrte ich mich erstmals in den sogenannten Clubraum, der, wie es heißt, bei der Linkspartei besonders beliebt ist. Darin befindet sich ein Bild des russischen Malers oder Künstlers Grisha Bruskin, ein Triptychon, das man mit etwas Mutwillen die Parodie einer Ikonostase nennen könnte. Das Gemälde stammt aus dem Jahr 1999 und trägt den Titel „Leben über alles”.
Auf der Webseite des Bundestages heißt es dazu: „Grisha Bruskin ironisiert im Clubraum in einem Triptychon ideologische Mythen, insbesondere die ‚Skulptur-Manie’ Sowjetrußlands. Wie auf einer Ikonenwand reihen sich 115 Einzelbilder aneinander, jeweils eine Person als weißlich-monochromer Schemen, der erst durch seine farbigen Attribute als Individuum identifizierbar wird, sei es als Kolchosbäuerin mit übergroßen Feldfrüchten, als russischer Soldat mit den Wappen von Bundesrepublik und DDR oder als Kosmonaut mit dem Porträt von Juri Gagarin.”
Nicht nur Porträts von Gagarin. Etwa auch von diesem Herren (ich bitte um Pardon, es sind Händi-Fotos aus einer gewissen unschärfeförderlichen Entfernung, der Raum ist recht hoch):
Oder jener:
Haben wir denn keine deutschen Massenmörder, deren Konterfeis wir an die Wand hängen und deren Anhänger wir „ironisieren” können? Bruskin selber erläuterte in einem kurzen Text über sein Gemälde, es handele sich bei den Figuren nicht um richtige Menschen, sondern um „Phantome, Archetypen sowjetischer Ideologie-Mythen”. Ja, das mag sein, aber was suchen die im deutschen Bundestag? Dort verunzieren doch schon hinreichend viele Graffitis die Innenwände, die sowjetische Soldaten 1945 hinterlassen haben, wobei man die rustikaleren, der Rache an den Deutschen im Allgemeinen und den deutschen Frauen im Speziellen gewidmeten Inschriften getilgt hat, weil sie bei einigen des Russischen kundigen Besuchern Irritationen auslösten. Warum also nochmals Ikonographie und Ideologie des totalitären Siegerstaates im deutschen Parlament, etwa dieser sowjetische Panzersoldat?
Und dieser rotarmistische Tätervolksbefreier stellt die Losung „Социализм непобедим” (Der Sozialismus ist unbesiegbar) im Reichstag zur Schau, wo sie ja täglich immer besser verwirklicht wird:
„Russland half den Deutschen, den Faschimus zu bekämpfen und zu besiegen”, schreibt der Künstler dazu. Haben wir echt gegen Mussolini gekämpft? Na egal, jedenfalls sitzen ja längst wieder „Nazis” im Bundestag und obendrein im Weißen Haus und diesmal irgendwie sogar im Kreml, die Lage ist unübersichtlich geworden, aber wie jeder weiß, gehört das Suhlen in der hochverdienten Niederlage – man kann auch formulieren: in den beiden Niederlagen – bekanntlich zu den neudeutschen Primärbedürfnissen. Am Rande: Wer hat eigentlich den Sowjetkomunismus besiegt?
Ein schon etwas länger dienender Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung erzählte mir, die zu Zeiten der Berlinumzugs-Vorbereitungen waltende Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth habe damals dafür gesorgt, dass im neuen Parlamentsgebäude keinerlei positiver Bezug auf die deutsche Nation und deren Geschichte genommen werde. Ihr Nachfolger Thierse, in dessen lustige Amtszeit der Umzug dann fiel, dürfte ihr nicht gerade kreischend in den Arm gefallen sein. Deswegen, schloss der Beamte, besäßen wir das wahrscheinlich einzige Parlamentsgebäude der Welt, in dem sich kein Kunstwerk befinde, dass die eigene Geschichte in Gestalt irgendeines identitätsstiftenden Ereignisses darstellt.
Das Problem ist nicht, wenn du Millionen Tote auf dem Kerbholz hast. Dass Problem besteht einzig darin, seine Kriege zu verlieren und dann Zerknirschungsathleten ertragen zu müssen, die um Sühnepunkte wetteifern und dafür die historischen Wunden immer schön offen und eiternd halten.