22. August 2020
Scham scheint auch in Kollektiven eine begrenzte Ressource zu sein. Die deutsche Öffentlichkeit bzw. der öffentliche Deutsche belehren darüber, dass sie für die Erinnerung an die Jahre 1933 bis 1945 offenbar komplett verbraucht worden ist.
***
Ein ganz Schlauer glaubt, eine Pointe erhascht zu haben:
„Es gibt Frauenfeindlichkeit und Frauenqouoten, aber Geschlecht ist ein Konstrukt”, setzt sich das Zitat fort. Kemper, das „alte Hasswrack” (Hadmut Danisch) – er war der eifrigste Autor des Denunziationsportals Agent*in –, ist Soziologe, also jemand, der wähnt, Rassen, Völker und Geschlechter seien „Konstrukte” wie Hexen auch, was als persönliche Schrulle durchginge, wenn es nicht die herrschende Doktrin wäre und der Bub sich dadurch ermannt fühlt, andere, die sich kein poststrukturalistisches X für ein empirisches U vormachen lassen wollen, mit den üblichen Schmähbegriffen zu denunzieren. Ad personam ließe sich eine Ergänzung formulieren: Es gibt Andreas Kemper, aber Friseure, Manieren und Logik sind Konstrukte. Vielleicht auch umgekehrt.
***
Einschaltung für neu hinzugekommene Esel*innen: Selbstredend existiert auch das Gegenteil des „konstruierten” Volks – das reine, abgegrenzte, exakt definierbare Volk (ich rede nicht vom Staatsvolk) – oder der „konstruierten” Rasse – dito – nicht. Das sind Themen, denen man sich differenziert und behutsam, aber ohne Rücksicht auf erwünschte Illusionen nähern muss (habe ich mehrfach getan, etwa hier – daher stammt auch das kolportierte Zitat von mir – oder, wer’s noch nicht kennt, hier). Es ist ein moderner Aberglaube, dass alles, was sich nicht exakt definieren lässt, auch nicht existiere, und alles, was sich definieren lässt, konstruiert sei. In menschlichen Belangen genügen meist Evidenzen. Vorurteile sind immer ein kleines bisschen wahrer als falsch.
***
Die Verschwörungstheorie ist eine Sache, ihre offizielle Bestätigung eine andere:
Geht das Virus, kommt die Finanzunion? Bis dahin gilt jedenfalls: Jeder nur einen Steg! Und nach dem Baden Hände waschen!
***
Die Mohrenstraße in Berlin ist – natürlich unter Vermeidung jeglicher öffentlicher Mitsprache – umbenannt worden; sie trägt jetzt den Namen von Anton Wilhelm Amo, des ersten schwarzen Gelehrten in Deutschland.
Über Amo lesen wir in der Wikipedia:
„Ab 1727 studierte er an der Universität Halle Philosophie und Rechtswissenschaften. 1729 verfasste er seine erste Disputation unter dem Titel De iure Maurorum in Europa (Über die Rechtsstellung der Mohren in Europa).”
***
Jeden Morgen erwacht der brave deutsche Protestant mit dem Gedanken, welches gute Werk er heute tun muss, um sich vor der Welt tätig für u.a. seinen Unglauben zu rechtfertigen. Handreichung wird online geliefert:
Der Hund ist nämlich genauso unrein wie der Protestant, besitzt allerdings kein aktivierbares schlechtes Gewissen. Außerdem kuscht der Allerweltshund nicht so bereitwillig wie der deutsche Allerweltsprotestant:
Wenn Sie irgendwohin fliehen, erwarten Sie ja auch, dass man sie grundversorgt, ihnen kein einheimisches Getier ins Haus schleppt und ihnen nicht widerspricht! Leider gibt es in anderen Weltteilen nur wenige deutsche Protestanten, aber die würden Ihnen wahrscheinlich wegen Ihrer Herkunft, Religion und Hautfabe auch nicht helfen.
***
Der Guardian gibt bekannt, dass Konstrukte auf ähnliche Konstrukte ansprechen:
Klingt nach Rassismus, Biologismus, Apartheid, Ku-Klux-Klan u. dgl. m., aber das gälte lediglich im umgekehrten Fall, wenn eine Studie ermittelt hätte, dass weiße Babies negativ auf schwarze Ärzte reagieren. Freilich: Es kann ja stimmen, es stimmt vielleicht sogar. Aber was folgern wir daraus? Dass schon Babies etwas unterscheiden, das es gar nicht gibt?
Vergnügungszoll
Wer dem Autor dieses unbegreiflicherweise für lau verfügbaren Diariums seine erlesene Handwerksarbeit mit einer Spende danken und ihn so bei guter schlechter Laune halten möchte, kann dies tun unter:
Sparkasse München, IBAN DE34 7015 0000 1006 2702 82, BIC SSKMDEMMXXX
oder per PayPal: http://paypal.me/Klonovsky
Grazie a tutti.