Einige Erkenntnisse aus der gestrigen Demonstration der Ewiggestrigen.
Erstens. Es gibt zwar noch Richter in Berlin, aber der smarte Gesinnungsstaat findet andere Wege, ein Grundrecht zu beschneiden.
Diese Absperrung der Seitenstraßen – in wohlgemerkt beide Richtungen – haben viele Zeugen bestätigt. Dass noch andere Sperrmaßnahmen organisiert wurden, ist reine Spekulation bzw. verschwörungstheoretisches Geraune:
Nach der Black-Lives-Matter-Demonstration in Berlin im Juni reagierte die Innenverwaltung auf den Vorwurf, sie habe die Kundgebung trotz massenhafter Verstöße gegen die Corona-Auflagen nicht abgebrochen, mit den geflügelten Worten: „Es ist nicht Aufgabe des Staates, den Demonstrierenden vorzuschreiben, wie sie zu demonstrieren haben.”
Drittens. 75 Jahre nach der bislang letzten Eroberung Berlins wurde der Reichstag diesmal erfolgreich verteidigt. Drei All Cops Are Bastards konnten durch ihren heroischen Einsatz einen Durchbruch der Angriffskeile des Feindes in das Dem deutschen Konstrukt geweihte Gebäude gerade noch verhindern. Über den beschämenden Vorfall berichtete zunächst der kanzleramtsnahe Oppositionskanal „Antifa Zeckenbiss”.
Fünftens. Das von Geisel zunächst verfügte und dann vom Verwaltungsgericht aufgehobene Demonstrationsverbot ist vielfach kritisiert worden – aber nicht von der Kanzlerin; die gab zu Protokoll, sie „respektiere” die Entscheidung ihres Mit- bzw. Mietsozialisten, regierungskritischen Bürgern ein Grundrecht streitig zu machen.
Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem spontanen Verbreiten von Lügen und der habituell gewordenen Verlogenheit.
***
Volksfreundliches Intermezzo (wo die Netzfunde recht haben, haben sie recht):
***
Der hochwillkommene Tempelfrevel erregt natürlich die simulierte Empörung des politmedialen Establishments. Das Framing steht – ungefähr wie in Chemnitz, wo nicht der Mord, sondern die Proteste gegen eine solche häufigen Einzelfälle begünstigende wenn nicht befördernde Einwanderungspolitik als kriminell geframt wurden –, und in wenigen Tagen wird die Erinnerung an die Proteste gegen die Coronamaßnahmen nurmehr noch aus von Nazis veranstalteten Hetzjagden auf Freitreppen bestehen. Ein pars pro toto:
Das sind weder „Hunderte” Durchbrecher noch „viele” Reichsflaggen, sondern auch hier Tausende und unübersehbar viele.
Aber geschenkt. Interessant ist, dass kaum einer der zu den Mikrophonen und den Twitter-Accounts stürzenden und sich „entsetzt” zeigenden Politiker vergaß, seinen Horror mit der Flagge des Kaiserreichs und teilweise auch der Weimarer Republik zu verbinden, die vor einem Gebäude gezeigt wurde, welches das Kaiserreich errichtet hat und in dem das Parlament sowohl des Kaiserreichs als auch der Weimarer Republik tagten – jene des Dritten Reiches und der Bonner Republik ja bekanntlich nicht –, und zwar die längste Zeit seines Bestehens. Das Präsentieren dieser Fahne ist weder verboten noch für Gebildete anrüchig (nicht einmal die Reichskriegsflagge ist verboten, nur die von den Nazis vergewaltigte Version mit Hakenkreuz), das sub specie aeternitis womöglich beste Deutschland, das es jemals gab, flaggte schwarz-weiß-rot. Auch die fortschrittlichsten Kräfte, die derzeit in Kein-schöner-’schland agieren, bedienen sich übrigens dieser plakativen Farbkombination.
Zu sehen waren außerdem – hier gibt es (einstweilen noch) einen Videomitschnitt des entsetzlichen Vorfalls – eine niederländische, eine türkische und eine USA-Fahne, außerdem die Reichsdienstflagge des Auswärtigen Amtes 1892 bis 1919. Wo ist das Problem?
Hier: „Reichsflaggen (…) vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie”, erklärte Bundespräsident Steinmeier. Außenminister Maas twitterte: „Reichsflaggen vorm Parlament sind beschämend.” Und SPD-Kanzlerkandidat Scholz twittere seinerseits: „Nazisymbole, Reichsbürger- & Kaiserreichflaggen haben vor dem Deutschen Bundestag rein gar nichts verloren.”
Jetzt mal Ernst beiseite: Ungeachtet des offenkundigen Missbrauchs der schwarz-weiß-roten Farben durch demonstrierende Spinner und Narren – dass man sich von solchen in historicis psychotisierten Ungebildeten, die auf Symbole der Geschichte des eigenen Landes reagieren wie Polynesier auf die Tötung ihres Totemtieres, volksvertreten lassen muss, auch wenn man sie allenfalls unter der Folter wählen würde, finde wiederum ich beschämend und unerträglich.
Eine andere Frage lautet, ob das Betreten der Treppen zum Reichstagsportal unerlaubt war – dass die ca. 6000 zum Teil schwerbewaffneten Angreifer das leere Gebäude tatsächlich erstürmen wollten, um beispielsweise die Reichskriegsflagge darauf zu hissen, glaubt ja nicht einmal Georg Restle. Ein Jurist, dem ich diese Frage stellte, gab zur Antwort, wenn keine Absperrung und kein erkennbares Betretensverbot angebracht waren, dann nicht. Absperrungen standen davor, Verbotsschilder wohl nicht. Ganz eindeutig ist die Sachlage also nicht. Hätten die Angreifer „Black lives matter”-, „Refugees welcome”- und „Nazis raus!”-Plakate sowie EU- und Regenbogenfahnen vors Parlament getragen, die öffentlich bekundete Empörung läge bei Null.
Was zuletzt die Frage aufwirft, ob der so wunderbar willkommenen „Erstürmung” der Treppe zwecks Diskreditierung einer Gesamtveranstaltung nicht ein wenig nachgeholfen worden ist.
***
Der Süddeutsche Beobachter stellt schon mal die künftig geltenden Koordinaten durch:
Der größte Teil? Ach was: Alle! Da können andere Beobachter wie der penetrant mit Fakten hetzende Alexander Wendt erlebt haben, was sie wollen. Und nun freue dich, Berlin!