Es hat lange gedauert, bis ich mich zum Servus! durchringen konnte, doch dann war es auf einmal eine große Erleichterung.
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Was wird das einzige garantierte Ergebnis der Corona-Bekämpfung sein?
Staatsknechtschaft.
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Es ist eine zwar clevere, aber völlig abwegige Idee, zu behaupten, allein Frauen verträten weibliche Interessen (darauf beruht ja die Quotenforderung), wo man doch weiß, wie wenig sich Frauen leiden können, wenn sie miteinander arbeiten, konkurrieren, ja sich nur im Büro gegenübersitzen müssen. Wer sagt, dass Männer keine Politik im Fraueninteressen machen, vielleicht sogar besser als Frauen? Bevorzugen die meisten Frauen nicht männliche Chefs, weil sie wissen, dass sie von Chefinnen ziemlich verlässlich gemobbt werden? Wählen nicht gerade Frauen männliche Politiker?
Frauenquoten sind nicht erfunden wurden, um den Frauen zu nutzen, sondern den Quotenfrauen.
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Eines muss man dem Hitleradolf lassen: Er ist der schlechthinnige Blickfang, der dauerhafteste, erfolgreichste, der unverzichtbare Coverboy und Bewegtbild-Hingucker des Medienzeitalters. Jeden Tag läuft er im TV, schaut einen aus der Zeitung an, taucht irgendwo als Emoji der unvergleichlichen Schande auf, lauert hinter einer Schlagzeile. Versammelte man Shakira, Lady Gaga, Joe Biden, A. Merkel und ihn auf einer Bühne, alle Welt würde nur auf Hitler schauen; die anderen existierten neben ihm gar nicht. Nicht einmal der göttliche Donald käme neben ihm in Betracht.
Neulich, in der Hölle, sollen Stalin und Mao den Führer neidisch gefragt haben: Wie schaffst du es bloß, dass du dauernd in den Medien bist? Wahrscheinlich hat außer Jesus Christus keine Figur eine höhere ikonische Halbwertszeit als dieser Teufelsbraten.
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Bernd Zeller.
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In seinem Buch „Der Wettkampf um die Klugen” – es wurde hier breitestmöglich für gut befunden, befürwortet und genehmigt – beschreibt Gunnar Heinsohn ein Integrationsexperiment. Zwei Gruppen von je 500 Personen, die sich zuvor nie gesehen haben, alle im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, Männer und Frauen gleichverteilt, allesamt hellhäutig, aus christlichen Ländern stammend, die gleiche Sprache sprechend, werden auf Kosten des veranstaltenden Ministeriums in den schönsten Hotels eines überschauberen Altstadtareales untergebracht, wo sie einige Wochen ausschließlich untereinander verbringen sollen, wobei sie in allen Theatern, Museen, Kinos, Konzerten freien Eintritt sowie Gutscheine für Restaurants und Bars erhalten. Die eine Gruppe trägt grüne, die andere gelbe Armbänder.
Fünf Jahre später wird der Integrationserfolg gemessen: Wie viele Probanden haben Bekanntschaft oder Freundschaft geschlossen, treffen sich noch immer, veranstalten gemeinsam Partys, fahren zusammen in die Ferien? Wieviele Partnerschaften sind entstanden?
Das Resultat ist rätselhaft. Es gab ein paar äußerst kurze Liebschaften, einige aus der grünen Gruppe wurden Patienten bei Ärzten aus der gelben, darüber hinaus fand keinerlei Vermischung im persönlichen Bereich statt. Es ist, als gehörten beide Haufen verschiedenen Gattungen an. Warum?
Die gelbe Gruppe bestand aus Exzellenzstudenten, die grüne aus Schulabbrechern.
„Bildungsferne und Hochqualifizierte integrieren sich nicht”, statuiert Heinsohn (außer, erlaube ich mir hinzuzufügen, im Schützengraben oder im Untergrund). Bringe man jedoch intelligente bzw. qualifizierte Menschen zusammen, die wenigstens eine gemeinsame Sprache beherrschten, sei es plötzlich egal, aus welchen Kulturkreisen sie stammten; spätestens ab der zweiten Generation komme es zur völligen Vermischung – „bis zu gemeinsamen Parteien, Unternehmen, Medien, Familien”. Bildung integriere stärker als Kultur, allerdings nur in den oberen sozialen Milieus. „Überspitzt formuliert: Bei Oben-Oben findet man ohne Integrationsindustrie zueinander. Bei Oben-Unten bleibt Integration aus. Bei Unten-Unten ist Militanz programmiert.”
Dieses reine Gedankenexperiment in die Tat umzusetzen, ist unnötig, weil die Realität es ja ständig von Neuem durchspielt. Es beschreibt das Elend der deutschen Migrationspolitik und zugleich die elende Doppelzüngigkeit derer, die von ihren sozialen Logenplätzen aus die heimischen Unterschichten beschimpfen und verurteilen, wenn diese deplorables der ins Land drängenden – und sie selber ver-drängenden – Konkurrenz um billigen Wohnraum, einfache Jobs und öffentliche Dominanz nicht mit Teddys, Blumen und sexuell verfügbaren Töchtern begegnen, sondern mit Ablehnung. Als deutscher Anywhere hast du keine Probleme mit den Anywheres aus anderen Ländern, die denselben sozialen Status haben, egal in welcher Stadt man sich die Etage, die Schule und den Club teilt; aus diesen Soziotopen – die tatsächlich eher abgeschottet als weltoffen sind – lässt sich leicht Kosmopolitismus und Diversität predigen. Den Kontakt zu den sozial Abgehängten, egal ob heimischen oder migrantischen Hintergrunds, meidet man dort ähnlich penibel wie ein frommer Moslem den Wein oder die Grazien den Heiko.
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Zum Vorigen.
„Von kognitiv Nachrangigen lässt man sich so lange Vorschriften machen, wie sie Macht über einen haben. Ansonsten hält man Abstand”, konstatiert Heinsohn.
Ich gestatte mir, präzisierend hinzuzusetzen: Wer sich im Ernstfall von den ethnisch ähnlichen Dummen distanziert, könnte sich dereinst unter der Fuchtel von ethnisch unähnlichen kognitiv Nachrangigen wiederfinden.
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Rechte Hetzer verbreiten die Verschwörungstheorie, in Deutschland finde ein Bevölkerungsaustausch statt. Tatsächlich handelt es sich aber lediglich um einen regional begrenzten Verwaltungsaustausch.
Wer die sämtliche Maßnahmen sturheil vollstreckenden deutschen Behörden in der Coronakrise beobachtet (hier ein paar Beispiele), kommt ohnehin zu dem Schluss, dass ein bisschen Korruption und Schlamperei diesem Land ganz gut tun würde – in autoritären Systemen ist die Korruption bekanntlich das letzte Refugium der Freiheit.
Wie aber soll das funktionieren mit dem Beamtenaustausch? Natürlich, wie bei den Frauenquoten, über Diskriminierung. Das heißt, die Gruppenzugehörigkeit und nicht die Eignung entscheidet über die Einstellung, wie das bei den Grünen ja schon seit Jahren läuft, und die sitzen immerhin in Berlin und womöglich bald im Bund in der Regierung, so falsch kann es also nicht sein. „Noch vor der Wahl im Herbst will Rot-Rot-Grün ein entsprechendes Gesetz verabschieden: Migrationshintergrund wird als positives Einstellungsmerkmal eingeführt”, schreibt der Tagesspiegel. Das heißt, diejenigen, die schon länger hier leben, müssen zugunsten von Kandidaten mit dem existenzveredelnden Hintergrund auf den einen oder anderen öffentlichen Job verzichten, weil sie unkritisch weiß, strukturell rassistisch sowie Nachkommen von Konquistadoren sind und ihre Großeltern Hitler nicht verhindert haben. „Soweit sind wir, Noten, Vaterlandsliebe, Fleiß, ein anständiger Lebenslauf, alles futsch”, kommentiert Leser ***, der mir diesen Link zuschickte. (Aber wer will denn mit guten Noten und einem anständigen Lebenslauf in die Berliner Verwaltung?)
„Wir haben den Anspruch, dass alle Menschen in dieser Stadt die gleichen Chancen haben”, erklärte die Senatorin für Arbeit, Integration und Soziales, Elke Breitenbach, dem Tagesspiegel. „Strukturelle Diskriminierung nehmen wir nicht hin.” Die Stirn muss man haben: Die strukturelle Diskriminierung der Eingeborenen einführen, um eine angebliche strukturelle Diskriminierung von Migranten zu beenden. Frau Breitenbach, die als Politikwissenschaftlerin, Gewerkschaftssekretärin, Arbeitslose und ABM-Fachkraft in der Gedenkstätte Sachsenhausen Diskriminierungserfahrungen sammelte, bevor sie in die Politik wechselte, kommt übrigens von der Linkspartei.
Theoretisch – ich verweise auf Gunnar Heinsohn – wäre es nicht schlecht, wenn die Berliner Behörden mit intelligenten und fleißigen Ostasiaten bereichert würde, aber darauf wird es wohl nicht hinauslaufen; die benötigen zum einen keine Quote, weil sie ja intelligent und fleißig sind, und besonders viele von ihnen wohnen aus dem identischen Grunde nicht in der einstigen sowie künftigen DDR-Hauptstadt.
Als nächstes sollte Berlin eine Migrantenquote bei Flugzeugingenieuren und Herzchirurgen einführen.
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Obwohl wir derzeit mit zweiten oder dritten Lockdown kujoniert werden, obwohl die Polizei inzwischen Kindergeburtstage auflöst und Rodelbahnen räumt, um den Inzidenzwert und die Zahl der Grippetoten zu senken, obwohl, obwohl, obwohl:
Alle Einschränkungen, lesen wir enthusiasmiert, „gelten nicht für Zuwanderer aus dem Ausland, wenn sie über die Grenze kommen und sich ‚Flüchtlinge’ nennen.” Auch Familien werden munter zusammengeführt, wie groß sie immer sein mögen, denn speziell im Orient gilt die Familie eben noch etwas!
Dem deutschen Publikum, lesen wir weiter, sei es „kaum noch möglich, sich ein realistisches Bild von der Massen-Zuwanderung aus dem Ausland zu machen. Das ist auch schon deswegen nicht akzeptabel, weil Experten davon ausgehen, dass rund 50 bis 80 Prozent aller dieser Zugewanderten dauerhaft Sozialleistungen erhalten, weil diese ‚Flüchtlinge’ nicht willens oder in der Lage sind, offiziell einer Beschäftigung nachzugehen.”
Der Rest findet bestimmt demnächst ein warmes Quotenplätzchen in der hauptstädtischen Verwaltung. Und nun freue dich, Berlin!
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Nur mit der Frauenquote dürfte es schwierig werden.
Aber die meisten Kerle suchen ja Schutz, nicht Arbeit.
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Überhaupt, unsere diskreten Journalisten! „Sollten Sie”, bittet Leser ***, „diese Meldung schon an anderer Stelle gefunden haben (z.B. in Deutschlands Leitmedien), lassen Sie mich wissen wo.” Diese nämlich:
Eine Demonstration von „Allochthonen” – das sind Personen bzw. in solchen Fällen verlässlich Gruppen von Menschen gebietsfremder Her- und Abkunft, was sie in Europa dattelpalmenhoch über die Autochthonen erhebt – ist im lauschigen Brüssel „entartet”: Die Social Justice Warriors bewarfen den königlichen Konvoi mit Steinen, während sich der Monarch im Fahrzeug befand; ein Polizist wurde schwer dabei verletzt.
Vielleicht nimmt sich Majestät nach der monarchiekritischen Aktion mal die Berliner Verwaltung zum Vorbild dafür, wie man Menschen, die Teilhabe, Wiedergutmachung und Respekt fordern, aber trotzdem einen Job wollen, einen verschafft, damit sie nicht mit Steinen werfen müssen.
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„Ich fürchte, ich (demnächst 72 Jahre alt) werde die endgültige Umwandlung Deutschlands in eine Demokratur noch erleben. Das hätte ich mir nie vorstellen können.
Bemerkenswert finde ich, wie der dritte deutsche Staat innerhalb hundert Jahren ohne nennenswerte bürgerliche Gegenwehr erneut scheitert.”
(Leserzuschrift an Publico)
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Kein Tag ohne Donald!
Der Diktator ist derjenige, der die Zensur ausübt. Das beschreibt recht gut die Lage.
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„Und ein Engel sprach zu mir: Gehe hin und zitiere sie. Da ging ich hin und zitierte sie.”
Karl Kraus
„Mit wem hat man es zu tun, wenn man einer verschleierten Frau begegnet? Sorgfalt hat sie auf ihre Kleidung verwendet, ihr ist nicht gleichgültig, wie sie sich zeigt. Sie schützt sich vor zudringlichen Augen und will ihrerseits nicht aufdringlich sein. Mit einem Blick ordnen wir ihre Erscheinung einem elementaren moralischen Gefühl zu, für das der Begriff der Scham steht. Diese Regung ist nicht gesellschaftsfeindlich.”
Also meinte Patrick Bahners-Duck in seinem beschämungskritischen Sermon „Die Panikmacher” (S. 105; das Foto ist übrigens in München aufgenommen).
Eine Seite weiter heißt es: „In Tücher eingehüllt wird normalerweise das Kostbare.” Gilt eigentlich auch der Umkehrschluss?
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Leser *** „kam die Idee, den alten sieben Kardinalsünden die sieben Kardinalsünden der Gegenwart gegenüberzustellen. Mir gefällt die alte Liste (trotz der eher schwachen Punkte 5–7) besser, auch wenn Wichtiges fehlt, z.B. Machtgier, Willensschwäche*, Dummheit …
- Habsucht
- Stolz
- Neid
- Zorn
- Unkeuschheit
- Unmäßigkeit
- Trägheit oder Überdruss (acedia)
Die sieben Kardinalsünden heute:
- Rassismus
- Nationalismus
- Islamophobie
- Homophobie
- Sexismus
- Klimaleugnung (Leugnung der menschengemachten Erderwärmung)
- Coronaleugnung
Alle diese Kardinalsünden gelten als typisch rechts (‚rechts’ bzw. ‚demokratiefeindlich’ ist der alles Böse umfassende Oberbegriff) und führen zu den verschiedensten Formen menschenfeindlicher Diskriminierung, zu ‚Hass’ und ‚Hetze’ ”.
* Muss das nicht, geehrter Herr ***, „Willkommensschwäche” heißen?
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Die fetten, kinderschänderischen Kapaune, die ihren Schäfchen die Christenverfolgung in Nordafrika als Teil des interreligiösen Dialogs verkaufen –
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Der Wunsch, jünger oder noch einmal jung zu sein, ist so alt wie die Menschenwelt. Wohl kein in die Jahre gekommener Sterblicher verspürt nicht mitunter diese Sehnsucht in sich. Unterstellen wir einmal, sie könne erfüllt werden. Wie wünschenswert wäre es überhaupt, wieder jung zu sein? In diesem Fall müsste freilich ein Mindestmaß an Wunschlogik gelten. Es wäre unsinnig, wenn ein Mensch sich zugleich wünschte, ein Anderer zu sein. Die Logik würde gebieten, dass man nur sein eigenes Leben noch einmal leben dürfte. Und auch das keineswegs mit dem inzwischen erlangten Wissen – das wäre ja den Altersgenossen gegenüber extrem unfair, man stünde sozusagen unter Weisheitsdoping; außerdem könnte ein Mensch, der in die Vergangenheit zurückreist, jederzeit den Lauf der Geschichte ändern –, sondern exakt mit dem Erkenntnisstand von damals.
Die Frage müsste also lauten: Willst du dein gesamtes Leben in haargenau derselben Weise noch einmal leben? Willst du, gewissermaßen als ein Sitzenbleiber des Daseins, die gesamte Klasse wiederholen? Das große Da capo erleben, das Nietzsche, der Künder der Ewigen Wiederkehr, in die ekstatischen Worten fasste: „ ‚War D a s – das Leben?’ will ich zum Tode sprechen. ‚Wohlan! Noch ein Mal!’ ”
Mag sein, dass Freund Heins Nahen bei besonders Empfindsamen einen solch gewaltigen Fluchtreflex auslöst, doch die Frage sei nicht an den Todesnahen, sondern nur an den etwas Gealterten gerichtet, auch nicht an Gefolterte, Kriegskrüppel oder anderweitig Gezeichnete, ich stelle sie nicht einmal dem Allerwelts-Zeitgenossen, dem sich der Bandscheibenvorfall als schmerzlichste Erfahrung einprägte, sondern – dies ist ja mein Diarium – mir. Das Ganze noch einmal? Die schreckliche Hilflosigkeit der frühen Jahre? Die endlose Bevormundung durch Eltern, Betreuer, Lehrer, überhaupt Ältere? Noch einmal den Terror der Zubettgehzeiten, Essenszeiten, Unterrichtszeiten, Fernsehzeiten, Spielzeiten, Sportzeiten, Schlafenszeiten erleben? Die Hölle der anderen, vom Kindergarten an, mit ihren Hackordnungen, ihrem Stumpfsinn, ihren Primitivitäten, ihren unerträglichen Gerüchen und der jederzeit bis zur Gewalttätigkeit steigerbaren Aversion gegenüber dem Außenseiter? Noch einmal ein Teenager sein mit seiner närrischen Peer-Group-Identität, diesem Einheitsdenken, dem Kollektivdruck beim Meinen, Sichkleiden, Ausschließen, Hänseln? Noch einmal all den hochtrabenden Unsinn denken müssen, der einem Heranwachsenden durch die Rübe rauscht? Noch einmal zurück in die dumme und formlose Jugendmeute, das Jahrhundert in die Schranken fordernd? Noch einmal die eigenen Prahlereien hören müssen und die der anderen, das alberne ewige Konkurrieren der Kerle, die ständigen Schwanzvergleiche? Wünscht tatsächlich jemand, sich selbst als Pubertierendem wiederzubegegnen? Die grauenhafte Sprache der Jugend noch einmal sprechen? Die grauenhafte Musik noch einmal hören? Die schlechten Gespräche noch einmal führen, den miserablen Fusel noch einmal trinken? Noch einmal der Tölpel sein, der seine blamablen Debüts bei den Mädels gibt? Noch einmal Rügen vor dem Fahnenappell, Selbstkritik vor der Klasse, jahrelange sozialistische Propagandamast (dass sie, was mich betrifft, in der DDR stattfand, spielt insofern keine Rolle, als die besagte Mast heute smarter und zugleich totaler ist). Noch einmal anderthalb Jahre Angebrülltwerden bei der Nationalen Volksarmee? Noch einmal Zurückweisungen, Liebeskummer, Misserfolge, Geschmacklosigkeiten, Filmrisse und intellektuelle Clownerien?
Gewiss, zu jeder Bilanz gehört die Kehrseite, auch an Triumphen, Genüssen, Eroberungen, unvergesslichen Momenten und existentiellen Sonnenaufgängen kommt einiges auf die Waage. Allein dass man die Matthäus-Passion zum ersten Mal hören könnte, zum ersten Mal in die Scrovegni-Kapelle eintreten, die Meninas zum ersten Mal erblicken, die Lippen dem ersten Château Margaux entgegenspitzen…
Ah die Jugend! Das Fell ist seidig, die Muskeln sind geschmeidig, man verträgt kolossale Mengen und kann nächtelang Dinge tun, von denen man keine Ahnung hat. Aber was er mit diesem Leben anfangen soll, erkennt der Mensch gemeinhin erst im Alter.
„Die Menge von Dummköpfen und Narren, die ich einmal bewundern konnte!”, notierte Cioran in sein Tagebuch. „Wenn ich an meine Vergangenheit denke, überkommt mich die Scham. So viele Faszinationen, die mich disqualifizieren.”
Die radikale Gegenposition legte Schiller dem Marquis von Posa in dessen nicht ganz redlichen Mund. Posa bittet, Don Carlos auszurichten:
Sagen Sie
Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend
Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,
Nicht öffnen soll dem tötenden Insekte
Gerühmter besserer Vernunft das Herz
(…) daß er nicht
Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit
Begeisterung, die Himmelstochter, lästert.
Schiller begann die Arbeit am „Carlos” im Alter von 24 Jahren und schloss ihn mit 28 ab; Cioran hatte die 60 überschritten, als er den zitierten Passus niederschrieb. Wer hat nun recht? „Objektiv” wahrscheinlich beide. Die Jugend hat in sich ihr Recht wie das Alter. Gleichwohl pflichte ich Cioran bei, denn am Ende einer Reise ist man klüger als am Anfang, so groß die Vorfreude und der Enthusiasmus zu Beginn auch sein mögen. Die Jugend, gerade auch die künstlich in die Länge gezogene, ist im Mittel unendlich viel dümmer als das Alter, und ich empfinde es als ein großes Glück, ihr für immer entwachsen zu sein, zu welchem Preis auch immer.
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Ich kann leider nicht alle Bücher lesen, die mir zugesendet werden. Aber vielleicht mag ja der eine oder andere Eckladenbesucher an meiner Stelle einsteigen in eine Lektüre, die mit dem Satz anhebt: „Dreißig Jahre dauerte der Lockdown nun bereits, und er war eine Erfolgsgeschichte”. (Sandra Kristin Meier, „Karl – 2050”, Satirische Dystopie)