6. September 2024

„What­a­bou­tism ist die Anwen­dung der Kom­pa­ra­tis­tik ent­ge­gen dem Wil­len des Hegemons.”
(Leser ***)

***

Ist der radi­ka­le Islam, den man hier­zu­lan­de, in der von den Ismen bevor­zug­ten Welt­ge­gend, den „Isla­mis­mus” nennt, rechts oder links?

Mir fällt zu die­ser Fra­ge spon­tan der alte Witz mit per­ma­nent aus­tausch­ba­rem Per­so­nal (und Ort) ein, wel­cher der­zeit zum Bei­spiel lau­ten könnte:

Wenn die umstrit­te­nen Grü­nen-Poli­ti­ker Anton Hof­rei­ter und Robert Habeck – bei­na­he hät­te ich Ricar­da Lang (wie breit) geschrie­ben und wäre ver­klagt wor­den, puh! – zugleich vom Ber­li­ner Fern­seh­turm sprän­gen, wer käme als ers­ter unten an?

Ist das nicht egal?

Ist es nicht eben­so egal, in wel­che der bei­den Schub­la­den der radi­ka­le Islam gehört? Ich mei­ne, nein. Neu­er­dings wol­len uns die Lin­ken ein­re­den, dass die Schwe­fel­par­tei und die „Isla­mis­ten” prak­tisch am sel­ben uralt-ver­gam­mel­ten Holz wüch­sen; man fin­det genug Bei­spie­le auf X. Das übli­che Framing also, mit wel­chem man die AfD einer­seits für gefähr­lich erklä­ren und ihr zugleich die Legi­ti­ma­ti­on zur Islam­kri­tik abspre­chen will, die statt­des­sen – nie­mand übernimmt.

Die Fra­ge kam mir wie­der in den Sinn, als ich auf X die­se Pos­tings sah.

Am 10. Janu­ar 2015, drei Tage nach dem Anschlag auf die Pari­ser Sati­re­zeit­schrift Char­lie Heb­do, ver­such­te ich, im Rah­men mei­ner limi­tier­ten Mög­lich­kei­ten zu begrün­den, war­um ich den radi­ka­len Islam eher für links als für rechts hal­te, oder, um es ganz kon­kret zu for­mu­lie­ren: für eine Spiel­art des Bol­sche­wis­mus und nicht des Faschis­mus. Da ich bis­lang noch nichts Geschei­te­res zu die­ser Fra­ge gele­sen habe, rücke ich den Text hier ein.

„Dani­el Cohn-Ben­dit hat die Atten­tä­ter von Paris aus einem offen­bar tief­ver­wur­zel­ten Reflex her­aus als ‚Faschis­ten’ bezeich­net. Damit lie­fer­te er zwar kei­ne brauch­ba­re Erklä­rung der Blut­tat, brach­te aber eine Zeit in Erin­ne­rung, wo nahe­zu alles ‚faschis­tisch’ (oder ‚faschis­to­id’) gehei­ßen wur­de, was nicht der schran­ken­lo­sen und inson­der­heit sexu­el­len Selbst­ver­wirk­li­chung der ihrer rest­lo­sen Befrei­ung ent­ge­gen­stre­ben­den Erdenkin­der eilends den Weg frei mach­te: der Staat, die Poli­zei, die Kir­che, die repres­si­ven Gesell­schafts­struk­tu­ren, der bürgerlich-autoritäre Cha­rak­ter, das Patri­ar­chat, die Fami­lie, Hier­ar­chien, Klotüren und die ‚Betre­ten verboten!’-Schilder vor öffent­li­chen Rasen­flä­chen. Alles Böse war faschistisch.

Aber ist der radi­ka­le Isla­mis­mus ein ‚Faschis­mus’? Immer­hin spricht auch der deutsch-ägy­pi­sche Autor Hamed Abdel-Samad, ein Kri­ti­ker des poli­ti­schen Islam und ehe­ma­li­ger Mus­lim­bru­der, in sei­nem aktu­el­len Buch vom ‚isla­mi­schen Faschis­mus’, und vor ihm haben, beson­ders nach dem 11. Sep­tem­ber 2001, aber ver­ein­zelt auch schon im Zusam­men­hang mit Cho­mei­nis Got­tes­staat, ver­schie­de­ne Publi­zis­ten und sogar der welt­wei­se Geor­ge W. Bush einen ‚Isla­mo-Faschis­mus’ ins rhe­to­ri­sche Spiel gebracht.

Ich hal­te die­se Wort­wahl für ver­fehlt. Es han­delt sich um ein Kraft­wort, das Auf­se­hen machen und eine gewis­se Hilf­lo­sig­keit bei der Deu­tung von Gewalt­phä­no­me­nen überspielen soll. Wir mei­nen es ernst mit unse­rer Ver­ur­tei­lung, soll das hei­ßen; die­se Figu­ren sind wirk­lich und wahr­haf­tig böse, so böse, dass wir sie sogar mit dem Aller­bö­ses­ten, das die Welt je gese­hen hat, in Ver­bin­dung brin­gen. Zugleich ver­ne­beln wir ein biss­chen, dass es ein Import­pro­blem ist, indem wir ein ori­gi­när euro­päi­sches Eti­kett draufkleben.

Der Isla­mis­mus ist eine Kriegs­er­klä­rung nicht nur an die west­li­che Welt, ihre Lebens­art und ihre Wert­vor­stel­lun­gen im All­ge­mei­nen, son­dern auch an die Res­te jener bürgerlichen Gesell­schaft, die der his­to­ri­sche Faschis­mus gegen den kol­lek­ti­vis­ti­schen Sturm­lauf der radi­ka­len Lin­ken zu ret­ten ver­such­te. Streng­ge­nom­men gibt es den Faschis­mus ja nur ‚in sei­ner Epo­che’ (Ernst Nol­te), und die währ­te von 1919 (oder mei­net­we­gen auch 1915) bis 1945. Eine darüber hin­aus­ge­hen­de Ver­wen­dung des Begrif­fes ist stets mehr Meta­pher, Kraft­wort oder Denun­zia­ti­on als Deu­tung. Vor allem stimmt beim Isla­mis­mus die Rich­tung der Aggres­si­on nicht mit der faschis­ti­schen überein. Zwar ist der Isla­mis­mus eben­so reak­tiv, wie der Faschis­mus es war (der Begriff des ‚Anti­fa­schis­mus’ hat das erfolg­reich ver­schlei­ert), aber der Isla­mis­mus kämpft gewis­ser­ma­ßen ‚von unten’, der Faschis­mus dage­gen ‚von oben’. Die Isla­mis­ten sind eigent­lich die Avant­gar­dis­ten eines poten­ti­el­len Eman­zi­pa­ti­ons­kol­lek­tivs, die sich zum Amok­lauf ent­schlos­sen haben, weil ihnen die Her­ren­welt mit allen ihren Regeln und Wert­vor­stel­lun­gen nicht passt oder nicht zugäng­lich ist, wäh­rend die Faschis­ten jener Her­ren­welt ange­hör­ten, und sei es nur als Dienst­bo­ten, und sie um jeden Preis ver­tei­di­gen woll­ten (ich rede hier vom Faschis­mus; der Natio­nal­so­zia­lis­mus ist wegen der deut­schen Nie­der­la­ge im Ers­ten Welt­krieg ein spe­zi­el­ler Fall).

Wenn der Faschis­mus-Begriff überhaupt in der Gegen­wart einen Sinn haben soll, folgt man am bes­ten der prä­gnan­ten Defi­ni­ti­on, Faschis­mus sei die bürgerliche Gesell­schaft im Bela­ge­rungs­zu­stand. Sekun­där­phä­no­me­ne wie Führerprinzip, Gewalt­kult, Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus, Erhe­bung des Kol­lek­tivs über den Ein­zel­nen nach innen und über alle ande­ren Kol­lek­ti­ve nach außen sind dane­ben bloß sozu­sa­gen Uni­form­far­ben. Wenn der Faschis­mus im Sin­ne die­ser Defi­ni­ti­on eine Zukunft hat, dann als Euro­fa­schis­mus, als Selbst­er­hal­tungs­extre­mis­mus, das heißt, er wäre genau­so reak­tiv, aber defen­si­ver als das Ori­gi­nal. Vor allem wäre er deut­lich harm­lo­ser, auf tech­ni­sche Mit­tel und Auxi­li­ar­kräf­te ange­wie­sen, weil sein Trä­ger­kol­lek­tiv überwiegend aus Senio­ren bestünde. Ver­ges­sen wir ihn.

Der Isla­mis­mus lie­ße sich, wenn man denn unbe­dingt einen Ter­mi­nus aus unse­rer Welt­ge­gend ver­wen­den will, wahr­schein­lich bes­ser als Isla­mo­bol­sche­wis­mus cha­rak­te­ri­sie­ren, denn er ist ein Auf­stand der his­to­risch Abge­häng­ten, Zukurz­ge­kom­me­nen und dabei zugleich von einer Heils­idee Durchglühten, eine von Kadern geführte Bewe­gung, die die Mas­sen erfas­sen und in eine phan­tas­ti­sche, vor­mo­der­ne Mär­chen­welt hin­ein eman­zi­pie­ren oder sogar erlö­sen will. Sie ver­heißt die Befrei­ung des revo­lu­tio­nä­ren, durch die Idee rein gewor­de­nen Kol­lek­tivs aus den Ban­den von Fremd­be­stim­mung und Deka­denz, und sie nimmt ten­den­zi­ell jeden auf, der bereit ist, ihr bei­zu­tre­ten und das Glau­ben­be­kennt­nis zu spre­chen. Ihre Ver­tre­ter träu­men von der Welt­re­vo­lu­ti­on, von der Errich­tung einer para­die­si­schen Glo­bal­kom­mu­ne der Glei­chen unterm grünen statt roten Ban­ner. Offen­bar ist die­se soli­da­ri­sche Gemein­schaft der Kämp­fen­den und von einer gerech­ten Mis­si­on Erfüllten, die­se Kom­mu­ne der aus­er­wähl­ten Rei­nen, die mit der bis­he­ri­gen, abge­leb­ten, durch und durch ver­dor­be­nen Welt Schluss machen will, etwas, das auf vie­le jun­ge Män­ner eine enor­me Anzie­hungs­kraft ausübt.

Eine Poin­te? Nein, ich weiß kei­ne. Viel­leicht nur die, dass sich die Rein­heits­zwangs­vor­stel­lun­gen sogar über den Tod hin­aus erstre­cken, bis ins ver­hei­ße­ne Para­dies, wo bekannt­lich um die 70 Jung­frau­en des im Kampf gefal­le­nen Mär­ty­rers erge­benst har­ren. Also für mich wäre das nichts (und hier tren­nen sich auch die Wege der Bol­sche­wi­ken und Dschi­ha­dis­ten). Was für ein grau­en­haf­ter Stress, 70 unbe­fleck­te Mai­den in die Lie­bes­kunst einzuführen! Wozu erst ein Mar­ty­ri­um erdul­den, wenn danach gleich das nächs­te folgt?”

Ein the­sen­stüt­zen­des Zitat will ich noch herbeistemmen:

„Erst die von der kapi­ta­lis­ti­schen Skla­ve­rei, von den unge­zähl­ten Greu­eln, Bru­ta­li­tä­ten, Wider­sin­nig­kei­ten und Gemein­hei­ten der kapi­ta­lis­ti­schen Aus­beu­tung befrei­ten Men­schen (wer­den) sich nach und nach gewöh­nen, die ele­men­ta­ren, von alters her bekann­ten und seit Jahr­tau­sen­den in allen Vor­schrif­ten gepre­dig­ten Regeln des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­le­bens einzuhalten.“

Hat das Cho­mei­ni gesagt oder Bin Laden? Oder doch Lenin?

Der Pas­sus steht in „Staat und Revolution“.

***

Leser *** mel­det Wider­spruch gegen mei­ne Inter­pre­ta­ti­on an: „Für mich als Phi­lo­so­phen stellt sich meist nicht die Fra­ge gesell­schaft­li­cher Bedeu­tung von Wor­ten, viel­mehr jene nach dem Wort­sin­ne selbst, da die deut­sche Spra­che (wie das Sans­krit) als Spra­che der Phi­lo­so­phen ohne­hin dazu neigt, die Wahr­heit offenzulegen.

Faschis­mus stammt als Wort­ur­sprung vom Waf­fen­bün­del aus Schwer­tern, Lan­zen und Äxten mit Leder­rie­men gebün­delt, der Fas­zie, wel­che im Mili­tär­la­ger auf­ge­stellt waren. Ein­gang fand dies in die Kunst, bei­spiels­wei­se auf der Glo­ri­et­te in Wien, Schön­brunn. (Übri­gens hie­len die US-Prä­si­den­ten Clin­ton bis Oba­ma Anspra­chen zwi­schen zwei sol­cher Fas­zi­en, aller­dings scheint dies nur noch in der Erin­ne­rung oder alten Dru­cken auf­find­bar, das Netz ist gerei­nigt.) In der Ana­to­mie wur­de der Begriff Fas­zie für Mus­kel­strän­ge über­nom­men. Faschis­mus steht also für abso­lu­te pyra­mi­da­le Herr­schaft und unbe­ding­ten Gehor­sam (im Kriege).
Der Wider­sa­cher des Faschis­mus ist der den alten euro­päi­schen Völ­kern inne­woh­nen­de Frei­heits­geist, die Demo­kra­tie, nicht ‚unse­re’, son­dern jene des Volks­ent­schei­des und der Subsidiarität.
Wenn­gleich ein dün­nes Eis, wür­de ich die Fra­ge, ob der Islam faschis­ti­sche Ten­den­zen auf­weist, in Rich­tung des Einen Wah­ren Buches stel­len, wel­ches für die gesam­te Mensch­heit gel­ten soll (und hier­in liegt die Über­grif­fig­keit) und sozu­sa­gen die Spit­ze der Pyra­mi­de in einem isla­mi­schen Faschis­mus ein­neh­men wür­de, dem sich ja, per Defi­ni­ti­on, jeder Mos­lem zu unter­wer­fen hat.
Inwie­weit nun die­se faschis­ti­sche Grund­struk­tur lebens­welt­lich umge­setzt ist, bleibt von einer Betrach­tung der Orga­ni­sa­ti­on des Islam in der Welt zu beleuchten.
Zu den ‚Ein­zel­fäl­len’ der indi­vi­du­el­len Aus­le­gung des Buches und Mis­si­ons­ei­fe­rei mit Mes­sern liegt der Usprung mög­li­cher­wei­se in klei­nen mili­tan­ten Struk­tu­ren, gemischt mit der Eigen­tüm­lich­keit des Lebens­lau­fes des Reli­gi­ons­grün­ders in fried­li­cher und krie­ge­ri­scher Phase.
Wes­halb es weni­ger christ­li­che und bud­dhis­ti­sche Anschlä­ge gab, mag in der Idol­funk­ti­on ihrer Grün­der liegen.
Der Witz der Geschich­te ist: Wenn man nun die Begrif­fe Rechts als Unan­tast­bar­keit des Eigen­tu­mes und Links als Abschaf­fung allen Eigen­tu­mes ver­kürzt betrach­tet, so ist genau das Sab­bat­jahr und das Jubel­jahr, wel­ches allen drei abra­ha­mi­ti­schen Reli­gio­nen als Regel gege­ben ist, das Anti­dot: Es geht dar­in um die maxi­ma­le Pri­va­ti­sie­rung selbst genutz­ten Eigen­tu­mes, bei maxi­ma­ler Sozia­li­sie­rung jener Infra­struk­tur, die man nicht mehr selbst bewirt­schaf­tet und nur noch als Aus­beu­tungs­ka­pi­tal gegen ande­re ver­wen­det. Als Phi­lo­soph fra­ge ich mich, wie es mög­lich ist, daß die­ser blin­de Fleck im Auge all jener Anhän­ger so unge­se­hen bleibt, und wie die Obe­ren die­ser Reli­gio­nen dies bewerkstelligen.
Die Defi­ni­ti­on des Faschis­mus mag auch zei­gen, wie absurd es ist, die ein­zi­ge Par­tei, die Volks­ent­schei­de for­dert, als faschis­tisch zu bezeichnen.”
Das über­zeugt mich nicht wirk­lich, geehr­ter Herr ***, zumal die Schrift­gläu­big­keit unter den Bol­sche­wis­ten wie über­haupt unter den Lin­ken jener der Mos­lems nicht unver­wandt ist, wäh­rend es für Faschis­ten – die Nazis sind eine Aus­nah­me und waren auch min­des­tens so links wie rechts – der­glei­chen nicht gibt.
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