2. November 2024

Die all­täg­li­chen, in ihrer Ten­denz immer­glei­chen Nach­rich­ten zu Sym­pto­men der gro­ßen Krank­heit zu ver­dich­ten, ist für den Dia­ris­ten all­mäh­lich so attrak­tiv wie eine Fuß­wan­de­rung durch Treib­sand ohne Ziel. Er muss sich dafür, wie es im Blö­den­deutsch unse­res Epöch­leins heißt, stets von Neu­em selbst moti­vie­ren. Oft besiegt frei­lich die Erschlaf­fung – es gäbe psy­cho­lo­gisch rele­van­te­re Begrif­fe – die Selbst­er­mun­te­rung so spie­lend wie Real Madrid den BVB. Zumal der Dia­rist der Ansicht ist, alles längst gesagt und zumin­dest mit sei­nen die all­ge­mei­ne Ent­wick­lung betref­fen­den Pro­gno­sen meis­tens rich­tig gele­gen zu haben; wozu also immer wie­der von Neu­em in die Bütt steigen?

Wo sogar schon die hal­tungs­stärks­ten Oppor­tu­nis­ten schmerz­haft umschwenken?

Die Kom­men­ta­re waren fast noch besser.

Das war übri­gens nie­mals anders. Der Wech­sel zur ande­ren Mei­nung oder ins ande­re Lager ist immer nur eine Fra­ge des rich­ti­gen Zeit­punkts; dann kann das Per­so­nal, das sich am neu­en Ort unter neu­er Fah­ne zusam­men­fin­det, nahe­zu iden­tisch und unter sich bleiben.

***

Der Cha­rak­ter von Ent­schä­di­gungs- bzw. Wie­der­gut­ma­chungs­for­de­run­gen, wenn sie mit dem Zeit­geist als Rücken­wind gestellt wer­den, gleicht jenem von Erpres­sun­gen. Wer ein­mal nach­gibt, wird sich stän­dig mit neu­en Ansprü­chen kon­fron­tiert sehen. Es war klar, dass es bei der Rück­ga­be der Ben­in-Bron­zen nicht blei­ben wür­de (so wie es klar ist, dass nach den Here­ro, die die deut­schen Offer­ten zur Ent­schä­di­gung für einen Völ­ker­mord, von dem sie selbst erst ein Drei­vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter durch die Deut­schen erfuh­ren, schließ­lich ange­nom­men haben, die nächs­ten Stäm­me, Völ­ker­schaf­ten und deren Ober­india­ner bereit­ste­hen, sich für irgend­et­was ent­schä­di­gen zu las­sen, das damals als Üblich­keit und Nor­ma­li­tät galt und jetzt nur noch ent­spre­chend umeti­ket­tiert wer­den muss).

Allein für das ein­fühl­sa­me „Nofre­te­te will” hat der taz-Redak­teur einen Jour­na­lis­ten­preis ver­dient (auch wenn ihm Ameno­phis IV. für die­se Imper­ti­nenz den Kopf abschla­gen lie­ße). Aber war­um soll­te Nofre­te­te das wol­len? Der ein­zi­ge, wenn auch nur for­ma­le Grund bestün­de dar­in, dass sie Herr­sche­rin eines Rei­ches war, das zwar nicht mehr exis­tiert und mit den aktu­el­len Bewoh­nern des Lan­des nichts zu tun hat, aber dort lag, wo inzwi­schen eben Ara­ber leben, genau­er seit dem mitt­le­ren 7. Jahr­hun­dert, also fast 2000 Jah­re nach dem Tod der Pha­rao­nin. Wäh­rend die Ben­in-Bron­zen tat­säch­lich in ihr eth­nisch-kul­tu­rel­les Her­kunfts­ge­biet zurück­ge­kehrt sind, exis­tiert für die Büs­te der Gro­ßen König­li­chen Gemah­lin Nefe­ret-iti Nefer-nefe­ru-Aton nichts der­glei­chen mehr am Nil – mit Aus­nah­me der Kop­ten. Die ägyp­ti­schen Chris­ten, die in ihrer Urhei­mat von der mus­li­mi­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft unter­drückt wer­den und regel­mä­ßi­ge Ter­ror­an­schlä­ge ertra­gen müs­sen, dürfen gene­tisch als die Nach­fah­ren der Pha­rao­nen gel­ten, als die eigent­li­chen Ägyp­ter. Ihr Name lei­tet sich ab vom grie­chi­schen Αἰγύπτιοι (Aigyp­tioi). Das Kop­ti­sche bil­det nicht nur eine Brücke zur Spra­che des anti­ken Wun­der­lan­des, son­dern, wie mich vor vie­len Jah­ren ein Ägyp­to­lo­ge belehr­te, Kop­tisch ist Alt­ägyp­tisch. (Wäh­rend der Hel­le­ni­sie­rung ihres Lan­des unter den Pto­le­mä­ern in den drei vor­christ­li­chen Jahr­hun­der­ten übernahmen die Ägyp­ter die grie­chi­sche Schrift, sie behiel­ten nur jene sie­ben Lau­te, für die sich im Grie­chi­schen kei­ne Buch­sta­ben fan­den.) Cham­pol­li­on ver­moch­te die Hie­ro­gly­phen nur des­halb zu ent­zif­fern, weil er das Kop­ti­sche beherrschte.

Als die Ara­ber in den Jah­ren 640ff. in Ägyp­ten ein­dran­gen, isla­mi­sier­ten sie das Land, und die Urein­woh­ner, die längst chris­tia­ni­siert waren, wur­den immer mehr zur Min­der­heit. Mit den kul­tu­rel­len Hin­ter­las­sen­schaf­ten der Pha­rao­nen hat­ten die neu­en Herr­scher nichts zu schaf­fen, so wenig wie sich der durch­schnitt­li­che ara­bisch­stäm­mi­ge Fran­zo­se für die Opé­ra, Not­re-Dame oder den Lou­vre inter­es­siert. All die Tem­pel, Pyra­mi­den, Obe­lis­ke und Sta­tu­en waren in ihren Augen heid­ni­sches Gerüm­pel, taug­lich allen­falls als Stein­bruch für ihre eige­nen Bau­ten, und wenn die neu­en Bewoh­ner des Nil­lan­des in der Lage gewe­sen wären, ver­gleich­bar kühn zu bau­en wie die alten, gäbe es die Pyra­mi­den von Gizeh heu­te nicht mehr. Der Diplo­mat, Kunst­samm­ler und spä­te­re Lou­vre-Direk­tor Vivant Denon, der am Napo­le­on-Feld­zug nach Ägyp­ten teil­nahm – durch den das Land am Nil sozu­sa­gen aus sei­nem jahr­hun­der­te­lan­gen Schlaf erweckt wur­de –, hat berich­tet, dass die Bedui­nen und Fel­la­chen die ägyp­ti­schen Mumi­en als Brenn­ma­te­ri­al für ihre Lager­feu­er oder schlicht als Sitz­ge­le­gen­heit benutz­ten. Die alten Ägyp­ter hat­ten ja alles mumi­fi­ziert, was lief, kroch oder fleuch­te, nicht nur Men­schen, son­dern auch Hun­de, Kat­zen, Affen, Vögel, Kro­ko­di­le, sogar Stie­re, da gab es spä­ter eini­ges zu ver­hei­zen. Über die archi­tek­to­ni­schen Gepflo­gen­hei­ten der ara­bi­schen Nil­land­be­woh­ner notier­te der Fran­zo­se: „Sie bau­en so wenig wie mög­lich. Nie bes­sern sie aus: einer Mau­er droht der Ein­sturz, sie stüt­zen sie, sie fällt wirk­lich, gut, so hat man eini­ge Zim­mer weni­ger im Haus, sie rich­ten sich neben den Trüm­mern ein; das Gebäu­de selbst ver­sinkt end­lich, sie ver­las­sen den Fleck.”

Hät­te es damals bereits die Tali­ban gege­ben, außer den Pyra­mi­den wäre wohl wenig vom alten Ägyp­ten übriggeblieben, aber viel­leicht haben auch die schie­re Monu­men­ta­li­tät der archi­tek­to­ni­schen und bild­haue­ri­schen Hin­ter­las­sen­schaf­ten, die Här­te des Mate­ri­als und die Unlust der neu­en Ägyp­ter zur kör­per­li­chen Betä­ti­gung Schlim­me­res ver­hin­dert. Das ist übrigens kei­ne „Islam­kri­tik”; die Euro­pä­er gin­gen mit den Res­ten der Anti­ke jahr­hun­der­te­lang nicht anders um. Cha­teau­bri­and schrieb, nach­dem er 1806 den Posei­don­tem­pel auf Kap Suni­on an der Süd­spit­ze Atti­kas besucht hat­te, in sein Tage­buch: „Um mich her­um waren Grä­ber, Schwei­gen, Zer­stö­rung, Tod und eini­ge grie­chi­sche Matro­sen, die sor­gen­frei und gedan­ken­los auf Grie­chen­lands Trüm­mern schlie­fen.” Auch für die chris­tia­ni­sier­ten Kop­ten waren die Zeug­nis­se der alt­ägyp­ti­schen Reli­gi­on kaum mehr als heid­ni­sches Blendwerk.

Erst als ver­rück­te Euro­pä­er anfin­gen, die Relik­te des Pha­rao­nen­rei­ches zu ber­gen, zu ver­schif­fen, pri­vat zu sam­meln oder in ihren Muse­en aus­zu­stel­len und für deren Erwerb Geld zu bezah­len, erst als Bil­dungs­rei­sen­de als Vor­läu­fer der heu­ti­gen Tou­ris­ten an den Rui­nen auf­tauch­ten, erkann­ten die Ein­hei­mi­schen, dass es hier etwas zu ver­die­nen gab. Seit­her pochen die Ägyp­ter dar­auf, dass das pha­rao­ni­sche Erbe ihnen gehö­re, und küm­mern sich um des­sen Pfle­ge. In die­ser Rei­hen­fol­ge voll­zog sich die „Aneig­nung”. (Im Übri­gen war Ägyp­ten nie eine euro­päi­sche Kolo­nie – wenn, dann eine osmanische.)

Das Ber­li­ner Ägyp­ti­sche Muse­um beru­fe sich – noch? – dar­auf, „for­mal im Recht zu sein”, weil es die Büs­te 1913 auf legi­ti­mem Wege erwor­ben habe, notiert die taz. „Tat­säch­lich hät­te die ägyp­ti­sche Regie­rung über den Gerichts­weg kei­ne Chan­ce, die Büs­te zurück­zu­be­kom­men, genau­so wenig, wie die grie­chi­sche Regie­rung per Kla­ge­weg die Par­the­non-Frie­se aus dem Bri­ti­schen Muse­um oder die tür­ki­sche Regie­rung den Per­ga­mon-Altar wie­der­erlan­gen kann.” Davon abge­se­hen, dass auch der Per­ga­mon-Altar – der übri­gens einen Sieg über gewalt­tä­ti­ge Migran­ten fei­ert – nicht den Tür­ken gehört, die erst Jahr­hun­der­te nach des­sen Met­zung das Land erober­ten, son­dern wenn, dann jenen Grie­chen, die dort vor­her sie­del­ten. Das eigent­li­che Ver­dienst besteht aber in der Wert­schät­zung, Erfor­schung, Aus­gra­bung und Kon­ser­vie­rung sol­cher Arte­fak­te, in der Ent­rät­se­lung ihres Sinns, der Ent­schlüs­se­lung der toten Spra­chen, und die­ses Ver­dienst gehört den Euro­pä­ern. Ohne ihr Inter­es­se an frem­den, viel­fach schon ins Ver­ges­sen­sein abge­sun­ke­nen Kul­tu­ren, das heu­te als „Aneig­nung” geschmäht wird, gäbe es vie­le Kunst­schät­ze gar nicht mehr. Das genau passt den Post­ko­lo­nia­lis­ten aber nicht, sie möch­ten gern eine Untat, einen Raub, ein Ver­bre­chen dar­aus machen.

Des­we­gen erklärt der von in die Jah­re gekom­me­nen Jugend­li­chen fabri­zier­te Kin­der­stür­mer aus Kreuz­berg im Namen der Woke­ness die Rechts­la­ge für etwas, das auf poli­ti­schem Wege kor­ri­giert wer­den kön­ne. Nein: müs­se. Und des­we­gen ruft der Arti­kel am Ende auch den deut­schen Ober­göt­zen an: „Als die Rück­ga­be der Nofre­te­te schon ein­mal kurz bevor­stand, ent­schied übri­gens Adolf Hit­ler 1933 per­sön­lich, er wer­de den Kopf der Köni­gin nie­mals auf­ge­ben. ‚Es ist ein Meis­ter­werk’, sag­te er damals.”
Bei­sei­te: Ist nicht alles, was der Satan aus Brau­nau gesagt hat, falsch?
Das Fass der „Raub­kunst” ist eines ohne Boden. Der erwähn­te Mon­sieur Denon gehör­te zu den größ­ten Kunst­räu­bern aller Zei­ten; er requi­rier­te im Auf­tra­ge Napo­le­ons, was er sich in des­sen Namen in den fran­zö­sisch besetz­ten Gebie­ten unter den Nagel rei­ßen konn­te. Zu allen Zei­ten wech­sel­ten Kunst­schät­ze auch gewalt­sam ihre Besit­zer, wobei unter den heu­te gel­ten­den spin­ner­ten Prä­mis­sen auch der Rei­che, der dem Armen etwas abkauft, struk­tu­rell gewalt­tä­tig han­delt. Wer das rück­wir­kend kor­ri­gie­ren will, müss­te die hal­be Welt­ge­schich­te kor­ri­gie­ren. Die­se Guten und Edlen wol­len die gro­tes­ken Maß­stä­be der Iden­ti­ty Poli­tics jetzt auch auf die his­to­ri­schen Kunst­wer­ke und deren angeb­lich recht­mä­ßi­ge Besit­zer anwen­den, also die­sel­be Glo­ba­li­sie­rung, die sie im Fal­le der aktu­el­len Völ­ker­wan­de­rung begrü­ßen, beim Kul­tur­be­sitz rück­gän­gig machen. Im Grun­de müss­ten sämt­li­che Völ­ker­kun­de­mu­se­en nicht nur umbe­nannt, son­dern geschlos­sen und ihre Expo­na­te resti­tu­iert wer­den; des­glei­chen die isla­mi­schen oder asia­ti­schen Kunst­samm­lun­gen in Euro­pa. Die Reno­vie­rungs­kos­ten für das Ber­li­ner Per­ga­mon­mu­se­um kann sich die ohne­hin klam­me Stadt spa­ren, raus das Zeug in die Her­kunfts­län­der! Das Isch­tar-Tor gehört dem Irak! Doch außer den Beklopp­ten in Euro­pens Mit­te, den ewi­gen Stre­bern und nun­mehr, im Final­zu­stand, Stre­bern im end­gül­ti­gen Besiegt­sein, wird wohl nie­mand mitspielen.

***

Apro­pos Ober­india­ner. Sie haben sicher­lich aus Funk und Fern­se­hen erfah­ren, dass nun auch Udo Lin­den­berg (des­sen Songs ich als Teen­ager moch­te, den ich aber inzwi­schen für einen uner­träg­lich pein­li­chen Fall von Regres­si­on hal­te) den Rei­ni­gungs­kom­man­dos der Woke­ness zum Opfer gefal­len ist, weil er in sei­nem Lied „Son­der­zug nach Pan­kow”, also vor einem hal­ben Men­schen­le­ben, den Genos­sen Erich Hon­ecker den „Ober­india­ner” der DDR genannt hat­te. Die Stif­tung Hum­boldt-Forum zu Ber­lin fand die­se For­mu­lie­rung „dis­kri­mi­nie­rend und ras­sis­tisch” und strich sie aus dem Text für irgend­ein Chor­fes­ti­val; wann der Stif­tungs­na­mens­pa­tron folgt, soll­te eine Fra­ge der Zeit sein. Mer­ke: Nur ein Schwar­zer darf „Neger” (oder Schlim­me­res), nur ein Indi­ge­ner darf „India­ner” sagen!

Nun aber begab es sich und trug sich zu, dass …

Genannt wer­den wol­len bedeu­tet ja, dass Bleich­ge­sich­ter wie der beson­ders, ja gera­de­zu unge­sund blei­che Herr Lin­den­berg das Wort gebrau­chen sol­len. Was jetzt?

Bekannt­lich stammt der Name von Kolum­bus – oder viel­leicht war es auch jemand aus sei­ner Mann­schaft –, der ange­sichts der ers­ten kari­bi­schen Ein­ge­bo­re­nen der irri­gen Mei­nung war, Bewoh­ner Ost-Indi­ens vor sich zu haben und sie des­halb India­ner nannte.

Der ame­ri­ka­ni­sche Autor Tony Hil­ler­man, der als Fach­mann für india­ni­sche Kul­tur galt, erzählt in sei­nen Memoi­ren eine köst­li­che Anek­do­te. Die Sze­ne spielt in den frü­hen 1970er Jah­ren. An der „Smit­h­so­ni­an Insti­tu­ti­on“ in Washing­ton war eine Abtei­lung for arti­facts from tri­bal histo­ry gegrün­det und ein Indi­an als Direk­tor ernannt wor­den. Als des­sen Mann­schaft sich der Öffent­lich­keit vor­stell­te, lau­te­te eine der ers­ten Fra­gen aus dem Publi­kum, wel­che Bezeich­nung die Leu­te auf dem Podi­um bevor­zug­ten. Zuerst ant­wor­te­te ein Hopi: „Er sag­te, sein Volk bevor­zu­ge es, als Hopi ange­spro­chen zu wer­den, aber wenn ihr unse­ren Stamm nicht kennt, nennt uns ein­fach India­ner.” Dann mel­de­te sich ein Che­ro­kee und wies auf das Pro­ble­ma­ti­sche am Begriff „Indi­ge­nous Peo­p­le” hin, er sag­te: „Da die west­li­che Welt kei­ne indi­ge­nen Pri­ma­ten besitzt, von denen die Mensch­heit abstammt, deu­te­te dies dar­auf hin, dass wir uns aus etwas ande­rem ent­wi­ckelt haben könn­ten – viel­leicht aus Kojoten…“

Den Abschluss mach­te ein Nava­jo mit der Bemer­kung: „Wir sind alle glück­lich, dass Colum­bus nicht geglaubt hat, er sei auf den Jung­fern-Inseln gelandet.”

Das Schlimms­te an die­sen Woken ist ihre inqui­si­to­ri­sche Humorlosigkeit.

PS: Ich habe die­se Geschich­te schon ein­mal zum Bes­ten gege­ben, in mei­nem Pod­cast zur Kul­tu­rel­len Aneig­nung. „War­um”, fragt La Rou­ch­efou­cauld, „haben wir ein so gutes Gedächt­nis für die kleins­ten Ein­zel­hei­ten unse­rer Erleb­nis­se, und ein so schwa­ches für die vie­len Gele­gen­hei­ten, bei denen wir sie schon ein und der­sel­ben Per­son erzählt haben?”

Gilt hier also nicht. Sonst aber bedenk­lich oft.

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Fin­de den Fehler.

Ich mei­ne nicht die ange­pass­te Kommasetzung.

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Das führt uns zum The­ma Num­mer eins.

Der „gewalt­sa­me Tod” darf kein gefun­de­nes Fres­sen für ras­sis­ti­sche Het­zer wer­den. Die ein­zi­ge ange­mes­se­ne Ges­te (für einen Alman) besteht dar­in, dass er (m/w/d) Ker­zen auf­stellt – viel­leicht auch ein paar auf Vor­rat kauft, es geht ja erst rich­tig los, und unse­re Grü­nen ach­ten sehr auf siche­re will­kom­mens­kul­tu­rel­le Nach­schub­li­ni­en – und sodann gegen die Nazis demons­triert, die sol­che sel­te­nen Taten zu instru­men­ta­li­sie­ren suchen, bevor er (m/w/d) sich guten Gewis­sens um den aktu­el­len Stand sei­nes Geschlechts­ein­trags kümmert.

Als 2013 im nie­der­säch­si­schen Kirch­wey­he ein 25jähriger Deut­scher von einem damals noch nicht so genann­ten Gold­stück zu Tode geprü­gelt wur­de, berief der SPD-Bür­ger­meis­ter sofort eine Son­der­sit­zung des „Prä­ven­tiv­ra­tes und des Run­den Tisches gegen Rechts und für Inte­gra­ti­on“ ein, um den Anfän­gen zu weh­ren. Damals schrieb Akif Pirinçci sei­nen legen­dä­ren Arti­kel „Das Schlach­ten hat begon­nen”, die treff­lichs­te Pro­gno­se in der Geschich­te der Nach­wen­de-Bun­des­re­pu­blik seit Sie­fer­les etwas tief­grün­di­ge­rem „Epo­chen­wech­sel” und noch deut­lich vor Schol­zens „Zei­ten­wen­de”, die letzt­lich Pirin­çcis eige­ne Schlach­tung ein­lei­te­te. Von Kirch­wey­he spannt sich der Bogen in irgend­wann prak­tisch jedes deut­sche Kaff, jede deut­sche Klein- und Groß­stadt, wo das Schlach­ten sich fort­ge­setzt hat bzw. fortsetzt.

Wo will­kom­mens­kul­tu­rell geho­belt wird, fal­len halt Spä­ne. Dem­nächst hart, aber fair kri­ti­siert in der ARD und im stern.

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Ob auch die fol­gen­den Fäl­le durch Ker­zen­auf­stel­len als getilgt und men­tal bewäl­tigt gel­ten dür­fen, war bei Redak­ti­ons­schluss noch nicht bekannt.

„In Deutsch­land”, schreibt die Welt, „wer­den immer mehr Men­schen bei islam­feind­li­chen Straf­ta­ten ver­letzt. Das geht aus einer Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Anfra­ge der Abge­ord­ne­ten Petra Pau (Die Lin­ke) her­vor. Danach zähl­ten die Poli­zei­be­hör­den in den ers­ten drei Quar­ta­len die­ses Jah­res bun­des­weit 42 Ver­letz­te durch Straf­ta­ten, bei denen ein islam­feind­li­ches Motiv ange­nom­men wird, dar­un­ter sind vier Schwerverletzte.”

Der Arti­kel erfüllt die qua­li­täts­jour­na­lis­ti­schen Stan­dards, aus ihm erfährt der so leicht ver­führ­ba­re Leser­laie kei­ner­lei miss­ver­ständ­li­che Details, bei­spiels­wei­se nach wel­chen Kri­te­ri­en die­se Sta­tis­tik zusam­men­ge­stellt wur­de. Wenn sich Tür­ken mit Kur­den prü­geln, was in Kein-schö­ner-Land bis­wei­len pas­sie­ren soll: Fällt das unter „Gewalt gegen Mus­li­me”? Oder haben wir es mit Fäl­len der Kate­go­rie: „Wider Erwar­ten gewann der Ange­grif­fe­ne” zu tun? Inter­es­sant ist auch die Bemer­kung, ein „islam­feind­li­ches Motiv” (hier folgt ein Link auf die Welt-Sei­te „Ras­sis­mus”) wer­de „häu­fig erst im Lau­fe der Ermitt­lun­gen erkannt”, wes­halb es sich „um vor­läu­fi­ge Zah­len” handele.

Was nun Frau Paus gewiss mit ersterben­der Stim­me vor­ge­tra­ge­ne War­nung vor die­ser spe­zi­el­len Form der Gewalt betrifft, emp­fand ich einen Leser­kom­men­tar in jeder­lei Hin­sicht als erschöp­fend: „42 Ver­letz­te in drei Quar­ta­len? Das ist doch umge­kehrt die Tagesausbeute.”

Schließ­lich gibt es (immer noch) viel mehr Deut­sche, die ver­letzt wer­den können!

Wor­über unse­re SED-Poli­ti­ke­rin sich nicht echauf­fier­te, war die fol­gen­de, nahe­zu zeit­gleich ver­öf­fent­lich­te Statistik.

Nun ver­hält es sich ja nicht so, dass sie uns nicht gesagt hät­ten, wie dras­tisch sich die­ses Land ver­än­dern wer­de. Und mal unter uns: Es ist doch gleich, wer die deut­schen Mädels ver­ge­wal­tigt, ob nun Klaus oder Ach­med (außer für Klaus, der müss­te län­ger dafür ein­sit­zen). Reden wir nicht von der Dun­kel­zif­fer wäh­rend des Hoch­am­tes der sexu­el­len Beläs­ti­gung, dem Oktoberfest!

Das Wet­ter.

 

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