22. November 2024

„Wür­dig, schön, als ästhe­tisch beru­hi­gen­de Erschei­nun­gen wir­ken Men­schen fast immer nur, solan­ge sie schwei­gen. Tun sie den Mund auf, ist es meist aus mit der Ach­tung vor ihnen. Die Wür­de und Schön­heit der Tie­re ist sehr an die Tat­sa­che gebun­den, daß sie nicht spre­chen können.“
Tho­mas Mann

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Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker sind Sinn­su­cher. So wie das Gehirn in eine dem Men­schen vor Augen kom­men­de chao­ti­sche Anord­nung von Din­gen spon­tan eine Struk­tur hin­ein­in­ter­pre­tiert und im Unbe­kann­ten bekann­te Mus­ter ent­deckt, ver­sucht der Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker, einer blöd­sin­ni­gen Welt Sinn abzu­ge­win­nen, indem er ein­schnei­den­de Ereig­nis­se auf heim­li­che Pla­nung zurück­führt und maß­geb­li­chen Per­so­nen ein vor­aus­schau­end-geziel­tes Han­deln unter­stellt, das deren Fähig­kei­ten in der Regel weit über­steigt. Für wie fins­ter er die Absich­ten der Ver­schwö­rer auch hal­ten mag, bleibt ihm doch der Trost, dass Men­schen bewusst und nicht schie­re Zufäl­le über den Lauf der Din­ge entscheiden.

Der Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker hält den Auf­tritt der Clowns im Zir­kus für ein Shakespeare’sches Königsdrama.

Nie­mand hat eine höhe­re Mei­nung von der Intel­li­genz des Men­schen als der Verschwörungstheoretiker. 

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Es wird Zeit, dass sich das G aus dem Myzel LGBTQIA+ davon­stiehlt, bevor es selbst als hete­ro­nor­ma­tiv und männ­lich­keits­ver­ses­sen ein­ge­brand­mau­ert wird.

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Neu­es aus der Welt der Schwachköpfe.

Es ist ja nicht so, dass Habeck jeman­den wegen Belei­di­gung ange­zeigt und die Sache vor Gericht gebracht hat, son­dern die Poli­zei hat auf sei­nen Wink hin Haus­durch­su­chun­gen ver­an­stal­tet wie in einer Dik­ta­tur. Wer Lin­ke an die Macht lässt, endet immer in einem Gesin­nungs­staat. Wer Lin­ke an die Macht lässt, wird mit einer poli­ti­schen Poli­zei, Spit­zeln und rund um die Uhr lau­fen­der Pro­pa­gan­da belohnt. Wer Lin­ke an die Macht lässt und sich dann wun­dert, dass Lin­ke lin­ke Poli­tik machen, ist ein Schwach­kopf. Wenn die Habecks die­ser Welt könn­ten, wie sie woll­ten, sie wür­den den Rechts­staat sofort abschaf­fen, durch einen lin­ke Dik­ta­tur erset­zen und zu guter Letzt rei­nen Gewis­sens mit einem „Gitar­ren­so­lo-Gesicht” (so ein Habeck-Grou­pie in der Zeit) Haft­be­feh­le unterschreiben.

„Was bringt Ehren? Sich weh­ren!” (Schrieb Goe­the, der noch kei­ne Vor­stel­lun­gen von Lum­pen­jour­na­lis­mus hat­te, im „Divan”). Der muti­ge Vize­kanz­ler wehrt sich. Er lässt gezielt im Netz nach Belei­di­gun­gen suchen, denn er liebt doch alle, alle Menschen.

Die­sen wer­wöl­fi­schen Mut­men­schen und Phra­sen­dre­sch­au­to­ma­ten samt sei­ner Medi­en­claque nicht zu has­sen, wäre eine ech­te Her­aus­for­de­rung für einen Fakir. Der auto­ri­tä­re grü­ne Fatz­ke erträgt es nicht, wenn ihn jemand von ganz unten einen Schwach­kopf nennt. Und Mer­zens Fried­rich, by the way, will mit die­sen Lemu­ren koalieren.

Es wäre etwas ande­res, wenn wir es mit dem dum­men Gela­ber einer total ver­zo­ge­nen Tus­si zu tun hätten.

„Dem Volk gehört hier alle Macht” – „Qua­si.”
„Wer hat sich das nur aus­ge­dacht?” – „Die Stasi.”
(Lil­li Berlin)

Es gibt zwar kein Volk, aber des­sen Ver­het­zung droht in Permanenz.

Der juris­ti­sche Schie­nen­wolf ist im Ein­satz. Sie wol­len ihre letz­ten Mona­te nut­zen und noch mög­lichst gro­ßen Flur­scha­den anrichten.

„In Deutsch­land herrscht kei­ne Mei­nungs­frei­heit mehr.” – „Lügen Sie schon wie­der? Wol­len Sie einen Strafbefehl?”

Die hei­ßes­te Kan­di­da­tin auf den Titel Haus­durch­su­chung des Jah­res ist aber diese.

(Link)

Ein Land, das die Grü­nen hat, muss Schreck­li­ches durchmachen.

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„Ich kann kei­ne Sprü­che über Grü­nen-Poli­ti­ker brin­gen, die sind jetzt intelligent.”
(Bernd Zeller)

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„Ver­mut­lich wird Deutsch­land, wenn die Namens­ge­ber längst außer Amtes oder ver­bli­chen sind, wei­ter chro­nisch an ‚Long Mer­kel’, ‚Long Baer­bock’ und ‚Long Habeck’ leiden.”
(Leser ***)

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Die Habi­li­ta­ti­ons­schrift ist das eine, die Reha­bi­li­ta­ti­ons­schrift das andere.

Gestat­ten: Tho­mas Mann, Dr. h.c. reha­bil. Dank Letz­te­rer pos­tum vor Bud­den­brook­h­aus­durch­su­chun­gen gefeit.

Hören wir, was unse­re demo­kra­ti­sche House­kee­pe­rin damit meint.

„Tho­mas Mann hat 1912 ange­fan­gen, den ‚Zau­ber­berg’ zu schrei­ben. Als 1914 der Krieg aus­bricht, muss er das alles an die Sei­te legen. Er muss sich jetzt über den Krieg, das Deut­sche Reich, sei­ne eige­ne deut­sche Iden­ti­tät Gedan­ken machen und schreibt einen schreck­li­chen Text, ‚Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen’, in dem er sich den Krieg schön­re­det. Und als die ‚Betrach­tun­gen’ 1918, nur ein paar Tage vor Kriegs­en­de erschei­nen, ist er der Mann von ges­tern, der den Schuss nicht gehört hat. Er ist ein Reak­tio­när, ein Kon­ser­va­ti­ver und steht aus­ge­spro­chen ver­trot­telt da in den frü­hen Jah­ren der Wei­ma­rer Republik.”

Für eine frisch-fromm-fröh­li­che Maid, die (m/w/d) heut­zu­ta­ge in Bestever­land ein Muse­um lei­ten oder anders­wo steu­er­fi­nan­ziert her­um­zeit­geis­tern will, wäre es natür­lich ein Rie­sen­mal­heur, ja eine Kata­stro­phe, „von ges­tern” zu sein, „den Schuss nicht gehört” zu haben und „aus­ge­spro­chen ver­trot­telt” in den spä­ten Jah­ren der Ber­li­ner Repu­blik gegen­zu­tren­den, wes­halb sie als aus­dres­sier­te ger­ma­nis­ti­sche Pudel­da­me die „Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen” reflex­haft „einen schreck­li­chen Text” nennt, denn offi­zi­ell hat es sich so zu ver­hal­ten. Ich ent­sin­ne mich noch der Tira­den mei­nes alten Ost­ber­li­ner Bekann­ten Wolf­gang Harich, der es furcht­bar fand, dass die­ses schreck­li­che Buch in die DDR-Gesamt­aus­ga­be der Mann’schen Essays auf­ge­nom­men wor­den war, wor­an man sieht, dass zwi­schen Kom­mu­nis­ten und Demo­kra­ten manch­mal kein Blatt Papier passt, spe­zi­ell wenn es sich um Unse­re­de­mo­kra­ten han­delt, die in ihrer Jugend ja sehr oft selbst Kom­mu­nis­ten, Mao­is­ten oder anders­ar­ti­ge Links­extre­me waren („Sta­lin war so ein Typ wie wir”, trö­te­te, lei­der von Sta­lin nicht mehr kor­ri­gier­bar, der für der­glei­chen Schwach­kopf­ge­la­ber damals bereits nicht mehr hin­rei­chend juve­ni­le Fischer­jo­ckel). Was immer Frau Heu­er mei­nen muss, ich schät­ze die „Betrach­tun­gen” sehr und hal­te sie, neben dem Josephs­ro­man, für Manns bes­tes Werk.

„Aber Tho­mas Mann ist klug genug”, fährt die Inter­view­te fort, „die Demo­kra­tie als gro­ße Chan­ce zu begreifen.”

Das meint eigent­lich: Tho­mas Mann war so klug wie ich (und der Stein­mei­er). Er ist einer von uns. Wir gehö­ren der glei­chen Kir­che an. #wir­s­ind­vie­le. #wir­s­ind­mehr.

Frei­lich: Die Demo­kra­tie ist ein Mecha­nis­mus, um zu Mehr­hei­ten und damit zu einer Regie­rung zu kom­men, die man auf dem­sel­ben Wege auch wie­der los­wer­den kann (außer in Deutsch­land anno 2024), eine sehr unvoll­kom­me­ne, stör­an­fäl­li­ge, ästhe­tisch und intel­lek­tu­ell unbe­frie­di­gen­de, durch­aus miss­brauch­ba­re Ein­rich­tung, und ein Mensch von Geschmack hat gro­ße Schwie­rig­kei­ten, sich mit ihr zu arran­gie­ren, tut’s aber dann seuf­zend aus dem von Chur­chill genann­ten viel­zi­tier­ten Grund. Demo­kra­tie lebt nicht, wie es Ihnen poli­ti­sche Gau­ner und auto­ri­tä­re Cha­rak­te­re täg­lich ein­zu­re­den ver­su­chen, vom Ver­trau­en, son­dern vom Miss­trau­en. Demo­kra­tie und Ver­trau­en sind wie Hund und Kat­ze oder Regie­rung und Oppo­si­ti­on; ist Ihnen auf­ge­fal­len – natür­lich ist es Ihnen auf­ge­fal­len –, dass das Gere­de von Ver­trau­en als Demo­kra­tie­fun­da­ment mit der Dele­gi­ti­mie­rung der Oppo­si­ti­on Hand in Hand geht? Demo­kra­tie ist orga­ni­sier­tes Miss­trau­en in die Regie­rung mit der Mög­lich­keit, sie abzu­wäh­len. Doch der gute Deut­sche macht eine Reli­gi­on dar­aus, eine Ido­la­trie, die Staats­form, an der kein Zwei­fel ist, und zu der bzw. ihren mys­te­riö­sen „Wer­ten” er sich mit jener Inbrunst bekennt, aus wel­cher gera­de hier­zu­lan­de jeder­zeit der Ver­fol­gungs­ei­fer gegen­über dem falsch­mei­nen­den Nächs­ten erwächst.

Men­schen, die einen Mehr­heits­er­mitt­lungs­mo­dus ver­eh­ren, statt ihn mit einem Ach­sel­zu­cken und iro­ni­schem Lächeln hin­zu­neh­men, ist jeden­falls nicht zu trauen.

Wei­ter mit Caren Heu­er (Refle­xio­nen über die Bedeu­tung ihres Vor­na­mens im woken ame­ri­ka­ni­schen „Dis­kurs” ver­knei­fe ich mir): „Die­se gan­ze Reflek­ti­on über gutes poli­ti­sches Gem­ein­le­ben fließt dann ein in den ‚Zau­ber­berg’. Als die­ser Roman erscheint, der auch ein Hoch auf die Men­schen­lie­be ist, auf den Huma­nis­mus, reha­bi­li­tiert er sich poli­tisch, und der Roman wird ein unglaub­li­cher Erfolg.”

Die­se Ver­bin­dung – der „Zau­ber­berg” hat Mann poli­tisch reha­bi­li­tiert und wur­de (sie sug­ge­riert: des­halb) zum gro­ßen Erfolg – hat die Maid exklu­siv für sich. Es gehört zum Stoff der ger­ma­nis­ti­schen Klipp­schu­le, dass Manns Rede „Von deut­scher Repu­blik”, gehal­ten im Okto­ber 1922 zu Ber­lin, zwei Jah­re vor dem Erschei­nen des Davos-Romans, sei­nen Sin­nes­wan­del vom Mon­ar­chis­ten zum Repu­bli­ka­ner mar­kiert. Ob es eine ech­te Met­a­noia war, ste­he dahin. Eher han­del­te es sich wohl um eine Spiel­art des Zau­ber­lehr­ling-Syn­droms, auch „Bei­fall von der fal­schen Sei­te“ spiel­te eine Rol­le, spä­tes­tens nach der Ermor­dung Walt­her Rathen­aus (die Mann als „schwe­ren Choc” erleb­te); in den drei Jah­ren nach dem Welt­kriegs­en­de fie­len schließ­lich fast so vie­le Men­schen poli­tisch moti­vier­ten Mord­an­schlä­gen zum Opfer wie hun­dert Jah­re spä­ter im bes­ten Deutsch­land aller Zei­ten indi­ge­ne Almans den Kol­la­te­ral­fol­gen der staat­lich ver­ord­ne­ten Menschenliebe.

Neben­bei: Der Hosen­an­zug gewor­de­nen Haupt­flucht­ur­sa­che genügt der Blut­zoll noch nicht.

Also Mädels, nicht her­um­zi­cken, Bei­ne breit, Bring­schuld abtragen!

Zurück zur Men­schen­lie­be. Ich sit­ze gera­de im Zug nach Wien und habe mei­ne kom­men­tier­te Aus­ga­be nicht griff­be­reit, doch dass der „Zau­ber­berg” nun groß­ar­tig poli­tisch inter­pre­tiert wur­de, ist mir nicht erin­ner­lich, es wäre für ein lite­ra­ri­sches Werk ja auch das ästhe­ti­sche Todes­ur­teil (und so dumm, der­glei­chen amu­si­sche Kri­te­ri­en anzu­le­gen, sind die meis­ten Leser außer­halb der Feuil­le­tons bis heu­te nicht). Ledig­lich die lin­ke Kri­tik, die lite­ra­ri­sche Kri­te­ri­en immer absichts­voll mit poli­ti­schen bzw. päd­ago­gi­schen Pro­gram­men ver­wech­selt, hat den Sana­to­ri­ums­ro­man poli­tisch beur­teilt und ihn, von Brecht bis zur Grup­pe 47, als ein „bour­geoi­ses” Werk abge­lehnt und ver­wor­fen. Dass die­ses Mann’sche Opus „ein Hoch auf die Men­schen­lie­be” sei, ist mir bei mei­nen zahl­rei­chen Lek­tü­ren nicht auf­ge­fal­len – außer in jenem tri­via­len, für nahe­zu jeden Roman gel­ten­den Sinn, dass dort eben Men­schen agie­ren und ein paar davon lie­bens­wür­dig sein mögen –, es han­delt sich ja eher um einen Besuch im Toten­reich, und was den dar­in wal­ten­den „Huma­nis­mus” betrifft, ist des­sen Anwalt Lodo­vico Settem­b­ri­ni ein etwas ner­ven­der Zeit­ge­nos­se und eine hal­be Karikatur.

„Ich glau­be nicht, daß es Wesen und Pflicht des Schrift­stel­lers sei, sich ‚mit Geheul’ der Haupt­rich­tung anzu­schlie­ßen, in der die Kul­tur sich eben fortbewegt.“

Das war jetzt nicht Frau Heu­er, son­dern Tho­mas Mann.

„Ich lie­be nicht ‚Füh­rer’, und auch ‚Leh­rer’ lie­be ich nicht, zum Bei­spiel ‚Leh­rer der Demo­kra­tie’. Am wenigs­ten aber lie­be und ach­te ich jene Klei­nen, Nich­ti­gen, Spürn­ä­si­gen, die davon leben, daß sie Bescheid wis­sen und Fähr­te haben, jenes Bedien­ten- und Läu­fer­ge­schmeiß der Zeit, das unter unauf­hör­li­chen Kund­ge­bun­gen der Gering­schät­zung für alle weni­ger Mobi­len und Behen­den dem Neu­en zur Sei­te trabt.“

Und zwar schreibt er das in den schreck­li­chen „Betrach­tun­gen eines Unpolitischen”.

„Sie sind nichts.“

Eben. Das ist sogar ihr Ziel bzw. Schick­sal. Die Regres­si­on ins kusche­li­ge Kol­lek­tiv der glück­li­chen Nichtse.

Eine von sol­chen Nicht­sen fast fre­ne­tisch fla­tu­lier­te Flos­kel lau­tet, ein Autor sei „heu­te noch” oder „gera­de heu­te wie­der aktu­ell”. Wer­fen wir unter die­sem nich­ti­gen Aspekt einen Blick in Manns „schreck­li­chen Text”. Dort steht bei­spiels­wei­se geschrie­ben, dass „das deut­sche Volk die poli­ti­sche Demo­kra­tie nie­mals wird lie­ben kön­nen” und dass „der viel­ver­schrieene ‚Obrig­keits­staat’ die dem deut­schen Vol­ke ange­mes­se­ne, zukömm­li­che und von ihm im Grun­de gewoll­te Staats­form ist und bleibt“.

Das ist zwei­fel­los so geblie­ben. Die Treue zu Kai­ser und Füh­rer mag zwar pas­sé sein – sicher ist das nicht –, doch der gute Deut­sche bzw. deut­sche Gute (m/w/d) ist fle­xi­bel, Haupt­sa­che, er kann mit den Wöl­fin­nen und Wöl­fen heu­len; den­ken Sie an die zahl­rei­chen Demons­tra­tio­nen gegen „Rechts” nach dem erfun­de­nen Pots­da­mer „Geheim­tref­fen”, die unter dem unfrei­wil­lig selbst­iro­ni­schen Mot­to „Nie wie­der ist jetzt” statt­fan­den. „Das weiß nichts von Tole­ranz, son­dern ist hart, tren­nend, dok­tri­när bis zur Guil­lo­ti­ne, humor­los, ohne Lie­be in Wahr­heit trotz alles Lie­bes­ge­schreis, ohne Musik, ohne Weich­heit, zelo­tisch-schön­red­ne­risch – abscheu­lich.“ Das war wie­der Tho­mas Mann. „Es ist der pfäf­fi­sche Dün­kel, durch Glau­ben etwas Bes­se­res zu sein, die selbst­ge­rech­te Bigot­te­rie des Mis­sio­nars und Pha­ri­sä­ers, ver­bun­den mit bestän­di­ger Aggres­si­vi­tät gegen die Elen­den, wel­che nicht ‚glau­ben’.“ Der Dich­ter spricht von den „gene­rö­sen Zau­ber- und Schwin­del­wor­ten Mensch­heit, Frei­heit, Gleich­heit, Revo­lu­ti­on, Fort­schritt“. Ja, darf der das denn?

Als Reac­tion­är bin ich befrie­digt über gewis­se Kon­stan­ten in den Natio­nal­cha­rak­te­ren. Zu jenen darf man auch rech­nen, dass „die deut­sche Selbst­kri­tik schnö­der, bös­ar­ti­ger, radi­ka­ler, gehäs­si­ger ist als die jedes ande­ren Vol­kes, eine schnei­dend unge­rech­te Art von Gerech­tig­keit, eine zügel­lo­se, sym­pa­thie­lo­se, lieb­lo­se Her­ab­set­zung des eige­nen Lan­des nebst inbrüns­ti­ger, kri­tik­lo­ser Ver­eh­rung anderer“.

An einer ande­ren Stel­le der schreck­li­chen Schrift beschreibt Tho­mas Mann, wor­in für den unpo­li­ti­schen Men­schen der Grund besteht, „der poli­ti­schen Auf­klä­rung geis­tig die Gefolg­schaft zu ver­wei­gern”, näm­lich: „Ihr öli­ger Edel­mut, ihre selbst­ge­fäl­li­ge Gläu­big­keit wer­den einen sol­chen Men­schen anwi­dern, nicht nur weil er das ‚Glück’, das die­se Auf­klä­rung ver­heißt, als unmög­lich erkennt, son­dern weil es ihm als gar nicht wünsch­bar, als men­schen­un­wür­dig, geist- und kul­tur­wid­rig, kuh­fried­lich-wie­der­käu­er­haft und see­len­los erscheint.“ Die­ses – der Feuil­le­to­nist wür­de schrei­ben „eli­tä­re” – Distink­ti­ons­be­dürf­nis durch­zieht den gesam­ten schreck­lich gleich­heits­wid­ri­gen Text. Fol­ge­rich­tig fin­det sich dar­in auch die Fest­stel­lung, „der Gefahr einer völ­li­gen Nivel­lie­rung, jour­na­lis­tisch-rhe­to­ri­schen Ver­dum­mung und Ver­pö­be­lung” las­se sich „ein­zig mit einer Erzie­hung begeg­nen, deren herr­schen­der Begriff, wie Goe­the es in der Päd­ago­gi­schen Pro­vinz ver­langt, die Ehr­furcht sein müß­te“. So wie Ricar­da the oppo­si­te of sex ist, ist Ehr­furcht das Gegen­teil der Woke­ness.

Noch ein paar Zitate.

Zum Gott­wort der Gott­lo­sen: „Das Sozia­le ist ein sitt­lich sehr frag­wür­di­ges Gebiet; es herrscht Mena­ge­rie­luft darin.“

Zur Selbst­wahr­neh­mung pro­gres­si­ver deut­scher Lite­ra­ten: „Was Deutsch­land betrifft, so läßt die sati­ri­sche Selbst­kri­tik, die es durch sei­nen Lite­ra­ten an sich übt, kei­nen Zwei­fel dar­über, daß es sich als das eigent­lich häß­li­che Land, das Land der Häß­li­chen fühlt: Dies ist die Mani­fes­ta­ti­on sei­nes ‚Geis­tes’.“

Zu Anna­le­na und ihren Schwes­tern: „Man ver­steht sich kaum auf die Demo­kra­tie, wenn man sich auf ihren femi­ni­nen Ein­schlag nicht versteht.“

Zu Habeck: „Da er die Wahr­heit zu besit­zen glaubt, so steht es um sei­ne Wahr­heits­lie­be nicht gut; denn wer mit der Wahr­heit, sozu­sa­gen, ver­hei­ra­tet ist, der hat den Stand des Lieb­ha­bers und Wer­ben­den natür­lich weit hin­ter sich.“

Zum Schluss: „Es ist eine Albern­heit, zu glau­ben, daß unter einer Repu­blik ‚men­schen­wür­di­ger’ gelebt wer­de als unter einer Mon­ar­chie. Den­noch ist man Poli­ti­ker nur um den Preis, daß man dies glaubt.“

Und Bud­den­brook­haus­meis­te­rin!

***

Zum Vori­gen.

Der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Gün­ter Scholdt schreibt mir, er sei „ein­ver­stan­den damit, eher ande­re als poli­ti­sche Moti­ve für den Best­sel­ler­sta­tus des Romans aus­zu­ma­chen. ‚Der Zau­ber­berg’ las sich zunächst ein­mal als blu­ti­ger lite­ra­ri­scher Spaß eines Autors, der auf ver­track­te Art mit ‚Ent­set­zen Scherz’ trieb – auch als Mit­tel emo­tio­na­ler Selbst­di­stan­zie­rung. Uns erwar­tet eine Bildungs‑, Medi­zin- bzw. Arzt­sa­ti­re, dar­ge­bo­ten als ‚Besuch im Toten­reich’ mit reiz­vol­len mytho­lo­gi­schen Anspie­lun­gen. Euro­päi­sche Kul­tur­tra­di­tio­nen wer­den gemus­tert und iro­nisch rela­ti­viert. Die inter­na­tio­na­le High Socie­ty lockt als The­ma. Sub­ti­le Ero­tik spielt hin­ein, und man­che lebens­voll kari­kier­te Figur ließ sich ent­schlüs­seln. ‚Wer vie­les bringt, wird man­chem etwas bringen.’

Tages­po­li­tik gehört aller­dings (beson­ders gegen Roma­nen­de) auch dazu. Inso­fern wäre Ihre Dia­gno­se, dass ledig­lich die Lin­ke in ihrer Ver­men­gung von ästhe­ti­scher mit sozi­al­päd­ago­gi­scher Wer­tung das Werk poli­tisch begriff, rela­ti­vie­rend zu ergän­zen. Schon vor Jahr­zehn­ten haben mein ger­ma­nis­ti­scher Kol­le­ge und Freund Dr. Dirk Wal­ter und ich die­sen Zusam­men­hang unter­sucht (‚Ster­ben für die Repu­blik?’ Zur Deu­tung von Tho­mas Manns ‚Zau­ber­berg’, in: Wir­ken­des Wort 30 /1980, S. 108–122). Als Fazit ergab sich dabei, dass der ‚Zau­ber­berg’ die lite­ra­ri­sche Rech­te durch die Bean­spru­chung des Kriegs­er­leb­nis­ses für Gesin­nungs­re­pu­bli­ka­ner (und die Bot­schaft beson­ders im Schnee- oder Lin­den­baum-Kapi­tel) stark pro­vo­zier­te. Wüten­de (Presse-)Angriffe v.a. von Wer­ner Beu­mel­burg und Fried­rich Georg Jün­ger bele­gen, dass die­se Krei­se – wie berech­tigt oder reprä­sen­ta­tiv für das gan­ze Buch auch immer – die poli­ti­sche Bot­schaft sehr ernst nahmen.”

Scholdt ver­weist über­dies auf sein Buch „Die Autoren­schlacht. Wei­mars Lite­ra­ten strei­ten über den Ers­ten Welt­krieg“ (Schnell­ro­da 2015), wo er über den „Zau­ber­berg” notier­te, Tho­mas Mann inter­pre­tie­re dar­in „den Krieg in repu­blik­freund­li­cher Wei­se um”. Spe­zi­ell der Wachtraum Hans Cas­torps im berühm­ten „Schnee”-Kapitel, die „Visi­on einer idea­len (Staats-)Landschaft”, in deren Hin­ter­grund das schreck­li­che Blut­mahl der Hexen statt­fin­det, offen­ba­re „das Geschichts- und Welt­bild des Autors (…) als Idee eines deut­schen Weges, der – gemäß Manns Wunsch­den­ken – durch Tod zum Leben, durch Krieg und Schre­ckens­herr­schaft zu Frie­den und Demo­kra­tie füh­ren soll”.

Das habe ich nie so gele­sen, son­dern viel gene­rel­ler, schnee­sturm­ver­ne­belt-gesamt­mensch­heit­li­cher gewis­ser­ma­ßen. Und leicht „einen im Tee” hat­te der tag­träu­mend ver­har­ren­de Ski­pi­lot Cas­torp ja oben­drein. Bezeich­nen­der­wei­se ver­gisst er die gesam­te Visi­on spä­ter im Sana­to­ri­um sofort wie­der. Aber gut, von mir aus, mag es sich so verhalten.

„Es ist in die­sem Zusam­men­hang bezeich­nend”, heißt es wei­ter, „daß der Fort­schritts­mann Settem­b­ri­ni alle frü­he­ren Ein­fluß­per­so­nen über­lebt und schließ­lich den jun­gen Cas­torp per­sön­lich in den Krieg ent­läßt. Die Vor­stel­lung von der posi­ti­ven Funk­ti­on des Krie­ges als Durch­gangs­sta­di­um zur Neu­ge­burt weist Tho­mas Mann als Ver­tre­ter der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on aus, aller­dings in neu­er Les­art. An die Stel­le des Traums von der natio­na­len und sol­da­ti­schen Gemein­schaft tritt die Repu­blik, und sei es auch nur in der vom Autor ver­klär­ten Erschei­nungs­form. Damit kenn­zeich­net den Zau­ber­berg neben der kaum über­seh­ba­ren Selbst­recht­fer­ti­gung sei­nes Autors die sozi­al­päd­ago­gi­sche Absicht der Über­re­dung. Mann ver­sucht ehe­ma­li­ge Gesin­nungs­ge­nos­sen für die neue Staats­form zu gewin­nen, indem er ihnen mit Cas­torp, der schon nicht mehr für Altes, son­dern für die Repu­blik stirbt, eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur anbietet.”

***

Da lacht mein Biologistenherz.

Das deut­sche Buch­ge­wer­be stemmt sich mit vehe­men­ter Viel­falt dagegen.

(Hugen­du­bel in München)

Die Memoi­ren von Slee­py Joe dau­ern wohl noch ein bisschen.

***

Eine Emp­feh­lung zum Wochen­en­de: War­um Deutsch­land eine „post­bür­ger­li­che, post­na­tio­na­le, post­de­mo­kra­ti­sche und vul­gär­de­ka­den­te Gesell­schaft” ist, erklärt sehr luzi­de und in treff­lich gesetz­ten Wor­ten der Sozio­lo­ge Fried­rich Pohl­mann hier.

 

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