„Würdig, schön, als ästhetisch beruhigende Erscheinungen wirken Menschen fast immer nur, solange sie schweigen. Tun sie den Mund auf, ist es meist aus mit der Achtung vor ihnen. Die Würde und Schönheit der Tiere ist sehr an die Tatsache gebunden, daß sie nicht sprechen können.“
Thomas Mann
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Verschwörungstheoretiker sind Sinnsucher. So wie das Gehirn in eine dem Menschen vor Augen kommende chaotische Anordnung von Dingen spontan eine Struktur hineininterpretiert und im Unbekannten bekannte Muster entdeckt, versucht der Verschwörungstheoretiker, einer blödsinnigen Welt Sinn abzugewinnen, indem er einschneidende Ereignisse auf heimliche Planung zurückführt und maßgeblichen Personen ein vorausschauend-gezieltes Handeln unterstellt, das deren Fähigkeiten in der Regel weit übersteigt. Für wie finster er die Absichten der Verschwörer auch halten mag, bleibt ihm doch der Trost, dass Menschen bewusst und nicht schiere Zufälle über den Lauf der Dinge entscheiden.
Der Verschwörungstheoretiker hält den Auftritt der Clowns im Zirkus für ein Shakespeare’sches Königsdrama.
Niemand hat eine höhere Meinung von der Intelligenz des Menschen als der Verschwörungstheoretiker.
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Es wird Zeit, dass sich das G aus dem Myzel LGBTQIA+ davonstiehlt, bevor es selbst als heteronormativ und männlichkeitsversessen eingebrandmauert wird.
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Neues aus der Welt der Schwachköpfe.
Es ist ja nicht so, dass Habeck jemanden wegen Beleidigung angezeigt und die Sache vor Gericht gebracht hat, sondern die Polizei hat auf seinen Wink hin Hausdurchsuchungen veranstaltet wie in einer Diktatur. Wer Linke an die Macht lässt, endet immer in einem Gesinnungsstaat. Wer Linke an die Macht lässt, wird mit einer politischen Polizei, Spitzeln und rund um die Uhr laufender Propaganda belohnt. Wer Linke an die Macht lässt und sich dann wundert, dass Linke linke Politik machen, ist ein Schwachkopf. Wenn die Habecks dieser Welt könnten, wie sie wollten, sie würden den Rechtsstaat sofort abschaffen, durch einen linke Diktatur ersetzen und zu guter Letzt reinen Gewissens mit einem „Gitarrensolo-Gesicht” (so ein Habeck-Groupie in der Zeit) Haftbefehle unterschreiben.
„Was bringt Ehren? Sich wehren!” (Schrieb Goethe, der noch keine Vorstellungen von Lumpenjournalismus hatte, im „Divan”). Der mutige Vizekanzler wehrt sich. Er lässt gezielt im Netz nach Beleidigungen suchen, denn er liebt doch alle, alle Menschen.
Diesen werwölfischen Mutmenschen und Phrasendreschautomaten samt seiner Medienclaque nicht zu hassen, wäre eine echte Herausforderung für einen Fakir. Der autoritäre grüne Fatzke erträgt es nicht, wenn ihn jemand von ganz unten einen Schwachkopf nennt. Und Merzens Friedrich, by the way, will mit diesen Lemuren koalieren.
Es wäre etwas anderes, wenn wir es mit dem dummen Gelaber einer total verzogenen Tussi zu tun hätten.
„Dem Volk gehört hier alle Macht” – „Quasi.”
„Wer hat sich das nur ausgedacht?” – „Die Stasi.”
(Lilli Berlin)
Es gibt zwar kein Volk, aber dessen Verhetzung droht in Permanenz.
Der juristische Schienenwolf ist im Einsatz. Sie wollen ihre letzten Monate nutzen und noch möglichst großen Flurschaden anrichten.
„In Deutschland herrscht keine Meinungsfreiheit mehr.” – „Lügen Sie schon wieder? Wollen Sie einen Strafbefehl?”
Die heißeste Kandidatin auf den Titel Hausdurchsuchung des Jahres ist aber diese.
(Link)
Ein Land, das die Grünen hat, muss Schreckliches durchmachen.
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„Ich kann keine Sprüche über Grünen-Politiker bringen, die sind jetzt intelligent.”
(Bernd Zeller)
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„Vermutlich wird Deutschland, wenn die Namensgeber längst außer Amtes oder verblichen sind, weiter chronisch an ‚Long Merkel’, ‚Long Baerbock’ und ‚Long Habeck’ leiden.”
(Leser ***)
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Die Habilitationsschrift ist das eine, die Rehabilitationsschrift das andere.
Gestatten: Thomas Mann, Dr. h.c. rehabil. Dank Letzterer postum vor Buddenbrookhausdurchsuchungen gefeit.
Hören wir, was unsere demokratische Housekeeperin damit meint.
„Thomas Mann hat 1912 angefangen, den ‚Zauberberg’ zu schreiben. Als 1914 der Krieg ausbricht, muss er das alles an die Seite legen. Er muss sich jetzt über den Krieg, das Deutsche Reich, seine eigene deutsche Identität Gedanken machen und schreibt einen schrecklichen Text, ‚Betrachtungen eines Unpolitischen’, in dem er sich den Krieg schönredet. Und als die ‚Betrachtungen’ 1918, nur ein paar Tage vor Kriegsende erscheinen, ist er der Mann von gestern, der den Schuss nicht gehört hat. Er ist ein Reaktionär, ein Konservativer und steht ausgesprochen vertrottelt da in den frühen Jahren der Weimarer Republik.”
Für eine frisch-fromm-fröhliche Maid, die (m/w/d) heutzutage in Besteverland ein Museum leiten oder anderswo steuerfinanziert herumzeitgeistern will, wäre es natürlich ein Riesenmalheur, ja eine Katastrophe, „von gestern” zu sein, „den Schuss nicht gehört” zu haben und „ausgesprochen vertrottelt” in den späten Jahren der Berliner Republik gegenzutrenden, weshalb sie als ausdressierte germanistische Pudeldame die „Betrachtungen eines Unpolitischen” reflexhaft „einen schrecklichen Text” nennt, denn offiziell hat es sich so zu verhalten. Ich entsinne mich noch der Tiraden meines alten Ostberliner Bekannten Wolfgang Harich, der es furchtbar fand, dass dieses schreckliche Buch in die DDR-Gesamtausgabe der Mann’schen Essays aufgenommen worden war, woran man sieht, dass zwischen Kommunisten und Demokraten manchmal kein Blatt Papier passt, speziell wenn es sich um Unseredemokraten handelt, die in ihrer Jugend ja sehr oft selbst Kommunisten, Maoisten oder andersartige Linksextreme waren („Stalin war so ein Typ wie wir”, trötete, leider von Stalin nicht mehr korrigierbar, der für dergleichen Schwachkopfgelaber damals bereits nicht mehr hinreichend juvenile Fischerjockel). Was immer Frau Heuer meinen muss, ich schätze die „Betrachtungen” sehr und halte sie, neben dem Josephsroman, für Manns bestes Werk.
„Aber Thomas Mann ist klug genug”, fährt die Interviewte fort, „die Demokratie als große Chance zu begreifen.”
Das meint eigentlich: Thomas Mann war so klug wie ich (und der Steinmeier). Er ist einer von uns. Wir gehören der gleichen Kirche an. #wirsindviele. #wirsindmehr.
Freilich: Die Demokratie ist ein Mechanismus, um zu Mehrheiten und damit zu einer Regierung zu kommen, die man auf demselben Wege auch wieder loswerden kann (außer in Deutschland anno 2024), eine sehr unvollkommene, störanfällige, ästhetisch und intellektuell unbefriedigende, durchaus missbrauchbare Einrichtung, und ein Mensch von Geschmack hat große Schwierigkeiten, sich mit ihr zu arrangieren, tut’s aber dann seufzend aus dem von Churchill genannten vielzitierten Grund. Demokratie lebt nicht, wie es Ihnen politische Gauner und autoritäre Charaktere täglich einzureden versuchen, vom Vertrauen, sondern vom Misstrauen. Demokratie und Vertrauen sind wie Hund und Katze oder Regierung und Opposition; ist Ihnen aufgefallen – natürlich ist es Ihnen aufgefallen –, dass das Gerede von Vertrauen als Demokratiefundament mit der Delegitimierung der Opposition Hand in Hand geht? Demokratie ist organisiertes Misstrauen in die Regierung mit der Möglichkeit, sie abzuwählen. Doch der gute Deutsche macht eine Religion daraus, eine Idolatrie, die Staatsform, an der kein Zweifel ist, und zu der bzw. ihren mysteriösen „Werten” er sich mit jener Inbrunst bekennt, aus welcher gerade hierzulande jederzeit der Verfolgungseifer gegenüber dem falschmeinenden Nächsten erwächst.
Menschen, die einen Mehrheitsermittlungsmodus verehren, statt ihn mit einem Achselzucken und ironischem Lächeln hinzunehmen, ist jedenfalls nicht zu trauen.
Weiter mit Caren Heuer (Reflexionen über die Bedeutung ihres Vornamens im woken amerikanischen „Diskurs” verkneife ich mir): „Diese ganze Reflektion über gutes politisches Gemeinleben fließt dann ein in den ‚Zauberberg’. Als dieser Roman erscheint, der auch ein Hoch auf die Menschenliebe ist, auf den Humanismus, rehabilitiert er sich politisch, und der Roman wird ein unglaublicher Erfolg.”
Diese Verbindung – der „Zauberberg” hat Mann politisch rehabilitiert und wurde (sie suggeriert: deshalb) zum großen Erfolg – hat die Maid exklusiv für sich. Es gehört zum Stoff der germanistischen Klippschule, dass Manns Rede „Von deutscher Republik”, gehalten im Oktober 1922 zu Berlin, zwei Jahre vor dem Erscheinen des Davos-Romans, seinen Sinneswandel vom Monarchisten zum Republikaner markiert. Ob es eine echte Metanoia war, stehe dahin. Eher handelte es sich wohl um eine Spielart des Zauberlehrling-Syndroms, auch „Beifall von der falschen Seite“ spielte eine Rolle, spätestens nach der Ermordung Walther Rathenaus (die Mann als „schweren Choc” erlebte); in den drei Jahren nach dem Weltkriegsende fielen schließlich fast so viele Menschen politisch motivierten Mordanschlägen zum Opfer wie hundert Jahre später im besten Deutschland aller Zeiten indigene Almans den Kollateralfolgen der staatlich verordneten Menschenliebe.
Nebenbei: Der Hosenanzug gewordenen Hauptfluchtursache genügt der Blutzoll noch nicht.
Also Mädels, nicht herumzicken, Beine breit, Bringschuld abtragen!
Zurück zur Menschenliebe. Ich sitze gerade im Zug nach Wien und habe meine kommentierte Ausgabe nicht griffbereit, doch dass der „Zauberberg” nun großartig politisch interpretiert wurde, ist mir nicht erinnerlich, es wäre für ein literarisches Werk ja auch das ästhetische Todesurteil (und so dumm, dergleichen amusische Kriterien anzulegen, sind die meisten Leser außerhalb der Feuilletons bis heute nicht). Lediglich die linke Kritik, die literarische Kriterien immer absichtsvoll mit politischen bzw. pädagogischen Programmen verwechselt, hat den Sanatoriumsroman politisch beurteilt und ihn, von Brecht bis zur Gruppe 47, als ein „bourgeoises” Werk abgelehnt und verworfen. Dass dieses Mann’sche Opus „ein Hoch auf die Menschenliebe” sei, ist mir bei meinen zahlreichen Lektüren nicht aufgefallen – außer in jenem trivialen, für nahezu jeden Roman geltenden Sinn, dass dort eben Menschen agieren und ein paar davon liebenswürdig sein mögen –, es handelt sich ja eher um einen Besuch im Totenreich, und was den darin waltenden „Humanismus” betrifft, ist dessen Anwalt Lodovico Settembrini ein etwas nervender Zeitgenosse und eine halbe Karikatur.
„Ich glaube nicht, daß es Wesen und Pflicht des Schriftstellers sei, sich ‚mit Geheul’ der Hauptrichtung anzuschließen, in der die Kultur sich eben fortbewegt.“
Das war jetzt nicht Frau Heuer, sondern Thomas Mann.
„Ich liebe nicht ‚Führer’, und auch ‚Lehrer’ liebe ich nicht, zum Beispiel ‚Lehrer der Demokratie’. Am wenigsten aber liebe und achte ich jene Kleinen, Nichtigen, Spürnäsigen, die davon leben, daß sie Bescheid wissen und Fährte haben, jenes Bedienten- und Läufergeschmeiß der Zeit, das unter unaufhörlichen Kundgebungen der Geringschätzung für alle weniger Mobilen und Behenden dem Neuen zur Seite trabt.“
Und zwar schreibt er das in den schrecklichen „Betrachtungen eines Unpolitischen”.
„Sie sind nichts.“
Eben. Das ist sogar ihr Ziel bzw. Schicksal. Die Regression ins kuschelige Kollektiv der glücklichen Nichtse.
Eine von solchen Nichtsen fast frenetisch flatulierte Floskel lautet, ein Autor sei „heute noch” oder „gerade heute wieder aktuell”. Werfen wir unter diesem nichtigen Aspekt einen Blick in Manns „schrecklichen Text”. Dort steht beispielsweise geschrieben, dass „das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können” und dass „der vielverschrieene ‚Obrigkeitsstaat’ die dem deutschen Volke angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt“.
Das ist zweifellos so geblieben. Die Treue zu Kaiser und Führer mag zwar passé sein – sicher ist das nicht –, doch der gute Deutsche bzw. deutsche Gute (m/w/d) ist flexibel, Hauptsache, er kann mit den Wölfinnen und Wölfen heulen; denken Sie an die zahlreichen Demonstrationen gegen „Rechts” nach dem erfundenen Potsdamer „Geheimtreffen”, die unter dem unfreiwillig selbstironischen Motto „Nie wieder ist jetzt” stattfanden. „Das weiß nichts von Toleranz, sondern ist hart, trennend, doktrinär bis zur Guillotine, humorlos, ohne Liebe in Wahrheit trotz alles Liebesgeschreis, ohne Musik, ohne Weichheit, zelotisch-schönrednerisch – abscheulich.“ Das war wieder Thomas Mann. „Es ist der pfäffische Dünkel, durch Glauben etwas Besseres zu sein, die selbstgerechte Bigotterie des Missionars und Pharisäers, verbunden mit beständiger Aggressivität gegen die Elenden, welche nicht ‚glauben’.“ Der Dichter spricht von den „generösen Zauber- und Schwindelworten Menschheit, Freiheit, Gleichheit, Revolution, Fortschritt“. Ja, darf der das denn?
Als Reactionär bin ich befriedigt über gewisse Konstanten in den Nationalcharakteren. Zu jenen darf man auch rechnen, dass „die deutsche Selbstkritik schnöder, bösartiger, radikaler, gehässiger ist als die jedes anderen Volkes, eine schneidend ungerechte Art von Gerechtigkeit, eine zügellose, sympathielose, lieblose Herabsetzung des eigenen Landes nebst inbrünstiger, kritikloser Verehrung anderer“.
An einer anderen Stelle der schrecklichen Schrift beschreibt Thomas Mann, worin für den unpolitischen Menschen der Grund besteht, „der politischen Aufklärung geistig die Gefolgschaft zu verweigern”, nämlich: „Ihr öliger Edelmut, ihre selbstgefällige Gläubigkeit werden einen solchen Menschen anwidern, nicht nur weil er das ‚Glück’, das diese Aufklärung verheißt, als unmöglich erkennt, sondern weil es ihm als gar nicht wünschbar, als menschenunwürdig, geist- und kulturwidrig, kuhfriedlich-wiederkäuerhaft und seelenlos erscheint.“ Dieses – der Feuilletonist würde schreiben „elitäre” – Distinktionsbedürfnis durchzieht den gesamten schrecklich gleichheitswidrigen Text. Folgerichtig findet sich darin auch die Feststellung, „der Gefahr einer völligen Nivellierung, journalistisch-rhetorischen Verdummung und Verpöbelung” lasse sich „einzig mit einer Erziehung begegnen, deren herrschender Begriff, wie Goethe es in der Pädagogischen Provinz verlangt, die Ehrfurcht sein müßte“. So wie Ricarda the opposite of sex ist, ist Ehrfurcht das Gegenteil der Wokeness.
Noch ein paar Zitate.
Zum Gottwort der Gottlosen: „Das Soziale ist ein sittlich sehr fragwürdiges Gebiet; es herrscht Menagerieluft darin.“
Zur Selbstwahrnehmung progressiver deutscher Literaten: „Was Deutschland betrifft, so läßt die satirische Selbstkritik, die es durch seinen Literaten an sich übt, keinen Zweifel darüber, daß es sich als das eigentlich häßliche Land, das Land der Häßlichen fühlt: Dies ist die Manifestation seines ‚Geistes’.“
Zu Annalena und ihren Schwestern: „Man versteht sich kaum auf die Demokratie, wenn man sich auf ihren femininen Einschlag nicht versteht.“
Zu Habeck: „Da er die Wahrheit zu besitzen glaubt, so steht es um seine Wahrheitsliebe nicht gut; denn wer mit der Wahrheit, sozusagen, verheiratet ist, der hat den Stand des Liebhabers und Werbenden natürlich weit hinter sich.“
Zum Schluss: „Es ist eine Albernheit, zu glauben, daß unter einer Republik ‚menschenwürdiger’ gelebt werde als unter einer Monarchie. Dennoch ist man Politiker nur um den Preis, daß man dies glaubt.“
Und Buddenbrookhausmeisterin!
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Zum Vorigen.
Der Literaturwissenschaftler Günter Scholdt schreibt mir, er sei „einverstanden damit, eher andere als politische Motive für den Bestsellerstatus des Romans auszumachen. ‚Der Zauberberg’ las sich zunächst einmal als blutiger literarischer Spaß eines Autors, der auf vertrackte Art mit ‚Entsetzen Scherz’ trieb – auch als Mittel emotionaler Selbstdistanzierung. Uns erwartet eine Bildungs‑, Medizin- bzw. Arztsatire, dargeboten als ‚Besuch im Totenreich’ mit reizvollen mythologischen Anspielungen. Europäische Kulturtraditionen werden gemustert und ironisch relativiert. Die internationale High Society lockt als Thema. Subtile Erotik spielt hinein, und manche lebensvoll karikierte Figur ließ sich entschlüsseln. ‚Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.’
Tagespolitik gehört allerdings (besonders gegen Romanende) auch dazu. Insofern wäre Ihre Diagnose, dass lediglich die Linke in ihrer Vermengung von ästhetischer mit sozialpädagogischer Wertung das Werk politisch begriff, relativierend zu ergänzen. Schon vor Jahrzehnten haben mein germanistischer Kollege und Freund Dr. Dirk Walter und ich diesen Zusammenhang untersucht (‚Sterben für die Republik?’ Zur Deutung von Thomas Manns ‚Zauberberg’, in: Wirkendes Wort 30 /1980, S. 108–122). Als Fazit ergab sich dabei, dass der ‚Zauberberg’ die literarische Rechte durch die Beanspruchung des Kriegserlebnisses für Gesinnungsrepublikaner (und die Botschaft besonders im Schnee- oder Lindenbaum-Kapitel) stark provozierte. Wütende (Presse-)Angriffe v.a. von Werner Beumelburg und Friedrich Georg Jünger belegen, dass diese Kreise – wie berechtigt oder repräsentativ für das ganze Buch auch immer – die politische Botschaft sehr ernst nahmen.”
Scholdt verweist überdies auf sein Buch „Die Autorenschlacht. Weimars Literaten streiten über den Ersten Weltkrieg“ (Schnellroda 2015), wo er über den „Zauberberg” notierte, Thomas Mann interpretiere darin „den Krieg in republikfreundlicher Weise um”. Speziell der Wachtraum Hans Castorps im berühmten „Schnee”-Kapitel, die „Vision einer idealen (Staats-)Landschaft”, in deren Hintergrund das schreckliche Blutmahl der Hexen stattfindet, offenbare „das Geschichts- und Weltbild des Autors (…) als Idee eines deutschen Weges, der – gemäß Manns Wunschdenken – durch Tod zum Leben, durch Krieg und Schreckensherrschaft zu Frieden und Demokratie führen soll”.
Das habe ich nie so gelesen, sondern viel genereller, schneesturmvernebelt-gesamtmenschheitlicher gewissermaßen. Und leicht „einen im Tee” hatte der tagträumend verharrende Skipilot Castorp ja obendrein. Bezeichnenderweise vergisst er die gesamte Vision später im Sanatorium sofort wieder. Aber gut, von mir aus, mag es sich so verhalten.
„Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend”, heißt es weiter, „daß der Fortschrittsmann Settembrini alle früheren Einflußpersonen überlebt und schließlich den jungen Castorp persönlich in den Krieg entläßt. Die Vorstellung von der positiven Funktion des Krieges als Durchgangsstadium zur Neugeburt weist Thomas Mann als Vertreter der Konservativen Revolution aus, allerdings in neuer Lesart. An die Stelle des Traums von der nationalen und soldatischen Gemeinschaft tritt die Republik, und sei es auch nur in der vom Autor verklärten Erscheinungsform. Damit kennzeichnet den Zauberberg neben der kaum übersehbaren Selbstrechtfertigung seines Autors die sozialpädagogische Absicht der Überredung. Mann versucht ehemalige Gesinnungsgenossen für die neue Staatsform zu gewinnen, indem er ihnen mit Castorp, der schon nicht mehr für Altes, sondern für die Republik stirbt, eine Identifikationsfigur anbietet.”
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Da lacht mein Biologistenherz.
Das deutsche Buchgewerbe stemmt sich mit vehementer Vielfalt dagegen.
(Hugendubel in München)
Die Memoiren von Sleepy Joe dauern wohl noch ein bisschen.
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Eine Empfehlung zum Wochenende: Warum Deutschland eine „postbürgerliche, postnationale, postdemokratische und vulgärdekadente Gesellschaft” ist, erklärt sehr luzide und in trefflich gesetzten Worten der Soziologe Friedrich Pohlmann hier.