Gestatten: Tell. Roger Tell

Roger Köp­pel ist der ori­gi­nells­te und maul­korball­er­gischs­te Jour­na­list im deutsch­spra­chi­gen Raum. Nun zieht er mit Pau­ken und Trom­pe­ten in die Schwei­zer Bun­des­po­li­tik ein

„Tötet Roger Köp­pel!” stand in gro­ßen Let­tern über einer kaput­ten Bril­le, wie der Welt­wo­che-Chef eine trägt. Der Mord­auf­ruf erschien Anfang Sep­tem­ber im Schwei­zer Stra­ßen­ma­ga­zin Sur­pri­se, ver­ant­wort­lich zeich­ne­te der deutsch­schwei­ze­ri­sche soge­nann­te Skan­dal­künst­ler Phil­ipp Ruch, Anfüh­rer der Grup­pe Zen­trum für Poli­ti­sche Schön­heit. „Er muss ster­ben”, erläu­ter­te Ruch in einem Inter­view, „im Namen der Menschheit.”

Die Akti­on der links­fa­schis­ti­schen Schön­heits­ver­brei­ter, selbst­re­dend als Kunst dekla­riert, rich­te­te sich gegen den „größ­te Unru­he­stif­ter der Schwei­zer Medi­en­sze­ne” (FAZ), einen Mann, des­sen Kar­rie­re seit Kur­zem etwas Sym­bo­li­sches inne­wohnt. In sei­ner Schwei­zer Hei­mat trat der 50-Jäh­ri­ge für die natio­nal­kon­ser­va­ti­ve SVP an und gewann als Neu­ling die Rekord­zahl von 178 090 Stimmen.

Köp­pel hat­te auf Platz 17 der SVP-Lis­te kan­di­diert, kei­ne Wahl­pla­ka­te von sich kle­ben las­sen und nur, wenn er ein­ge­la­den wur­de, ein paar Vor­trä­ge gehal­ten. Nun ist er Schwei­zer Natio­nal­rat, ein Intel­lek­tu­el­ler auf Platz eins einer Bau­ern- und Bür­ger­par­tei. Selbst poli­ti­sche Geg­ner trau­en ihm einen stei­len Auf­stieg zu. In Deutsch­land wäre eine sol­che Per­so­na­lie wohl unmög­lich; man kennt der­glei­chen allen­falls aus dem Frank­reich der 1970er Jahre.

Köp­pel nennt sein poli­ti­sches Man­dat eine „gro­ße Bür­de”. Er sei in die Poli­tik getrie­ben wor­den von der fal­schen Poli­tik, ver­si­chert er. Man wol­le die Schweiz an die EU ver­scha­chern und ihre Kern­wer­te ver­kau­fen: Unab­hän­gig­keit, Neu­tra­li­tät, direk­te Demo­kra­tie. Die SVP – Wahl­kampf­mot­to „Frei blei­ben!” – wol­le die EU als Part­ner, nicht als Vor­mund. Außer­dem ist er dage­gen, dass „die Flücht­lings­ka­te­go­rien ver­wischt” wer­den. „Es gibt eine extrem hohe Zuwan­de­rung in die Schweiz, dar­über herrscht ein weit ver­brei­te­tes Unbe­ha­gen und der Wunsch nach Kor­rek­tur.” Nicht abschot­ten sol­le sich Hel­ve­ti­en, son­dern regu­lie­ren und selbst bestim­men, wer kommt.

Köp­pel ist ein schlan­ker, leb­haf­ter Mann, des­sen char­man­ter schwei­ze­ri­scher Sing­sang sein habi­tu­el­les Hell­wach­sein nur leicht ein­schränkt. Wer ihm eine SMS schreibt, muss damit rech­nen, die Ant­wort um fünf Uhr früh zu erhal­ten, und wahr­schein­lich war er davor schon jog­gen. Kol­le­gen beschrei­ben ihn als extrem ehr­gei­zig. Der Ver­eh­rer des SVP-Zug­pferds und Unter­neh­mers Chris­toph Blo­cher ist ein Anhän­ger des schwei­ze­ri­schen Miliz­sys­tems, das den Typus Berufs­po­li­ti­ker ablehnt: „Es darf kei­nen Gegen­satz zwi­schen beruf­li­chem und poli­ti­schem Leben geben.” Kei­nes­falls will er die Füh­rung der Welt­wo­che abge­ben. Sei­ne Gat­tin Bich-Tien, die als Vier­jäh­ri­ge aus Viet­nam in die Schweiz kam, wird wis­sen, was das bedeu­tet. Sie hat mit dem mani­schen Arbei­ter drei Kin­der – und ihren Job als Port­fo­lio-Spe­zia­lis­tin bei der UBS aufgegeben.

Will der Poli­ti­ker Köp­pel ein­mal Blo­cher als das Gesicht der SVP beer­ben? „Die Fuß­stap­fen sind zu groß.”

Köp­pels Vater war Mau­rer, die Mut­ter erle­dig­te in sei­nem Betrieb die Buch­füh­rung. Im Teen­ager-Alter ver­lor er bei­de Eltern und muss­te früh ler­nen, auf eige­nen Füßen zu ste­hen. Er stu­dier­te poli­ti­sche Phi­lo­so­phie nd schrieb sei­ne Magis­ter­ar­beit über den Staats­recht­ler Carl Schmitt, den wegen sei­ner kur­zen Liai­son mit den Natio­nal­so­zia­lis­ten hef­ti­ger Schwe­fel­ge­ruch umgibt. „Intel­li­genz“, kom­men­tiert Köp­pel die Lek­ti­on Schmitt, „schützt vor Dumm­heit nicht.“

Sei­ne jour­na­lis­ti­sche Kar­rie­re begann Köp­pel im Sport­teil der „Neu­en Zür­cher Zei­tung“. Roger de Weck hol­te ihn ins Feuil­le­ton des links­li­be­ra­len Zür­cher Tages-Anzei­gers, wo er zuerst Film­kri­ti­ken schrieb und dann die Lei­tung des wöchent­li­chen Maga­zins der Zei­tung über­nahm, in dem er recht unver­fro­ren gegen die poli­ti­sche Linie des Haupt­blat­tes anschrieb. „De Weck hat mich damals geholt, um den 68er- Mief aus dem Tages-Anzei­ger zu ver­trei­ben”, sagt er heu­te. Als 35-Jäh­ri­ger stieg der Quer­kopf in die Chef­re­dak­ti­on auf.

2001 über­nahm er die etwas ver­schnarch­te Welt­wo­che und wan­del­te sie in ein pro­vo­kan­tes Maga­zin um, dem seit­her Links­li­be­ra­le ver­übeln, dass es oft die Geschmacks­gren­zen des Main­streams ver­letzt. 2004 bot ihm der Sprin­ger Ver­lag die Chef­re­dak­ti­on der Welt an. Als er zu Sprin­ger nach Ber­lin kam, „tauch­te dort ein Non­kon­for­mist auf, der in dem etwas ein­ge­schla­fe­nen Laden wie ein Glüh­würm­chen wirk­te“, erin­nert sich ein ehe­ma­li­ger Kol­le­ge. „Er ver­füg­te über ech­te geis­ti­ge Sou­ve­rä­ni­tät.“ Es sei frei­lich abseh­bar gewe­sen, dass er nicht lan­ge blei­ben wer­de, zu fremd habe er in sei­ner neu­en Umge­bung gewirkt.

Die markt­li­be­ra­len und staats­skep­ti­schen Kom­men­ta­re des neu­en Welt-Chefs fie­len bis ins Kanz­ler­amt auf. Bei einem infor­mel­len Abend­essen erklär­te Ange­la Mer­kel, dass in einer Demo­kra­tie das Ver­trau­en in die Poli­tik essen­ti­ell sei. „Ver­zei­hung, Frau Mer­kel“, habe Köp­pel sie unter­bro­chen, „aber Demo­kra­tie lebt vom Miss­trau­en, sie ist die Staats­form des insti­tu­tio­na­li­sier­ten Miss­trau­ens gegen den Staat und die Poli­ti­ker.” Die Kanz­le­rin habe ihn „ange­schaut wie einen, der gera­de von den Schwei­zer Ber­gen her­ab­ge­stie­gen ist”.

Dort­hin stieg der Liber­tin prompt wie­der zurück, als ihm der Tes­si­ner Mil­lio­när Tito Tett­aman­ti die Welt­wo­che, die wirt­schaft­lich ins Schlin­gern gera­ten war, zum Kauf anbot. Zehn Mil­lio­nen Fran­ken sol­len der Preis gewe­sen sein. Mit Erspar­tem und einem Dar­le­hen erwarb Köp­pel sein Herz­blatt. Die Gerüch­te sind nie ver­stummt, er habe auch von Blo­cher Geld bekommen.

Herr Köp­pel?

„Die­se Unter­stel­lung lässt eher auf nie­de­re Moti­ve der Kri­ti­ker schlie­ßen. Ich bin ein zu 100 Pro­zent unab­hän­gi­ger Unternehmer.”

Die ori­gi­nel­le Eigen­art der Zeit­schrift blieb bestehen. Wel­ches Blatt sonst, um nur ein Bei­spiel zu nen­nen, bräch­te es fer­tig, par­al­lel zum Afgha­ni­stan-Krieg ein Inter­view mit einem Tali­ban-Füh­rer zu dru­cken, in dem erör­tert wird, wie man ein Berg­land wie die Schweiz am bes­ten ver­tei­digt?

Herr Köp­pel, sind Sie Pro­tes­tant? „Klar.” Kirch­gän­ger? „Weni­ger. Aber theo­lo­gisch inter­es­siert.” Was bedeu­tet Pro­tes­tan­tis­mus für Sie? „Die Absa­ge, Gott für welt­li­che Zwe­cke zu instrumentalisieren.”

Als sei­nen deut­schen Lieb­lings­au­tor nennt Köp­pel übri­gens Schil­ler. Der habe im Wil­helm Tell „bes­ser erklärt, was unser Schwei­zer­sein aus­macht, als jeder Schwei­zer. Ein abso­lut aktu­el­les Buch!”

Erschie­nen in: Focus 44/2015

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