Beethoven: Diabelli-Variationen

 

Joa­chim Kai­ser hat ein­mal über Beet­ho­vens Dia­bel­li-Varia­tio­nen gesagt, dass von ihnen kei­ne schlech­ten Ein­spie­lun­gen exis­tier­ten, weil sie für mit­tel­klas­si­ge Pia­nis­ten viel zu kom­pli­ziert sei­en. Dem ers­ten Teil die­ser Aus­sa­ge kann ich zustim­men: Es wäre mir bis vor kur­zem schwer­ge­fal­len, mich zwi­schen Ser­kin, Arrau, Anda, Demi­den­ko oder Pol­li­ni auf eine Emp­feh­lung fest­zu­le­gen. Erst das Auf­tau­chen von Soko­lov in mei­nem pia­nis­ti­schen Wahr­neh­mungs­kos­mos macht mir die Ent­schei­dung leicht. Was den ande­ren Teil von Kai­sers Fest­stel­lung angeht, mag es frei­lich sein, dass die­ses Rie­sen­werk auch des­we­gen die zwei­te Rei­he der Inter­pre­ten nicht anzieht, weil man mit ihm die Säle nicht oder nicht mehr voll­be­kommt (oder bekä­me), weil es zu wenig ein­gän­gig, zu sper­rig, zu publi­kum­sent­rückt ist.

Die Dia­bel­li-Varia­tio­nen sind ein Spät­werk Beet­ho­vens, ihre Ent­ste­hung fällt in die Zeit der letz­ten Kla­vier­so­na­te Op. 111, der Mis­sa solem­nis, der Neun­ten Sym­pho­nie. Der spä­te Beet­ho­ven: Was ist nicht alles über die­sen Gequäl­ten und Ent­rück­ten geschrie­ben (und gefa­selt) wor­den. Schnur­ren wir es auf eine Fra­ge zusam­men: War je ein Künst­ler frei­er? Das aben­teu­er­li­che Schick­sal, wel­ches er dem hüb­schen, klei­nen Wal­zer Dia­bel­lis zumu­tet, die­se 33fache Tran­szen­die­rung des Bana­len, über­trifft womög­lich noch das Geschick des Ari­et­ta-The­mas im zwei­ten Satz von Opus 111 (wenn­gleich an schie­rer Schön­heit wohl doch nicht ganz). Die Anfor­de­run­gen an den Pia­nis­ten sind sowohl im ath­le­tisch-tech­ni­schen als auch im spi­ri­tu­el­len Sin­ne enorm. Was nun Soko­lov angeht, der nur Live-Mit­schnit­te auf­nimmt: Sein Spiel strotzt einer­seits vor Kraft (etwa Var. 1 „Alla mar­cia maes­to­so”), schwel­ge­ri­schem Klang (Var. 7 „Un poco più alle­gro” oder 19 „Alle­gro pesan­te e riso­lu­to”), tech­ni­scher Bril­lanz (23 „Alle­gro assai”) und ist zugleich von einer Sen­si­ti­vi­tät und emo­tio­na­len Tie­fe, die einen glatt mit dem Tode ver­söh­nen könn­te (Var. 14 „Gra­ve e maes­to­so” und, der wohl eigent­li­che Höhe­punkt, Var. 31 „Lar­go, mol­to espres­si­vo”). Hören, stau­nen, versinken!

Lud­wig van Beet­ho­ven: Dia­bel­li-Varia­tio­nen. Gri­go­ry Soko­lov, Kla­vier (Opus 111/Indigo)

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei

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