Dinu Lipatti spielt Bach, Mozart, Scarlatti, Schubert

 

Immer, wenn ich Dinu Lipat­ti spie­len höre, ent­steht in mir das Bedürf­nis, die Hän­de zu fal­ten. So unge­fähr muss es den Alten ergan­gen sein, wenn sie einem Men­schen begeg­ne­ten, von dem sie annah­men, ein Gott habe ihn gezeugt. Das trau­ri­ge Schick­sal des rumä­ni­schen Pia­nis­ten – er starb 1950 33jährig an Krebs – spricht frei­lich gegen ein solch erha­be­nes Pedi­gree. Das Spiel die­ses gleich­wohl Geseg­ne­ten ist frei von Erden­schwe­re, mühe­los, beseelt, nicht bloß ohne Makel, son­dern gleich­sam auch ohne die gerings­te Mög­lich­keit eines Makels, von einem silb­ri­gen Glanz umge­ben, äthe­risch… – ich bre­che ab, denn mei­ne arm­se­li­gen Wor­te treffen’s ohne­hin nicht.

Lipat­ti nahm 1933, damals 16, am inter­na­tio­na­len Kla­vier­wett­be­werb in Wien teil und wur­de nur Zwei­ter, zum Ärger des Jury­mit­glieds Alfred Cor­tot, der unter Pro­test die Jury ver­ließ und ihn als sei­nen Schü­ler mit­nahm (eine rei­zen­de Par­al­le zum War­schau­er Cho­pin-Preis 1980, wo die Juro­rin Mar­tha Arge­rich hin­schmiss, weil Ivo Pogo­re­lich nicht in die End­run­de kam). Was gäbe man dar­um, die­sen bei­den Jahr­hun­dert­pia­nis­ten beim Unter­richt lau­schen zu dür­fen. Immer­hin ist auch Lipat­tis Kunst in eini­gen Schall­plat­ten­auf­nah­men geret­tet, Mono natür­lich, aber dem lich­ten Klang tut es kei­nen soge­nann­ten Abbruch. Die hier bespro­che­ne ver­eint die mit allem Recht der Welt als legen­där gel­ten­de Auf­nah­me von Bachs B‑Dur Par­ti­ta mit vier Bach-Bear­bei­tun­gen, zwei Scar­lat­ti-Sona­ten, Mozarts a‑Moll-Sona­te sowie, als Live-Mit­schnitt von sei­nem letz­ten öffent­li­chen Auf­tritt in Besancon, zwei Schu­bert­schen Impromp­tus. Jedes Stück ist ein Wun­der. Die­ser Mann konn­te am Kla­vier alles, sein Lega­to ist Zau­be­rei. Den­noch fie­le einem bei sei­nem Spiel nie­mals der Begriff Vir­tuo­si­tät ein. Die über­ir­di­sche Prä­zi­si­on und Eben­mä­ßig­keit etwa, mit wel­cher der vom Tode Gezeich­ne­te Schu­berts Es-Dur Impromp­tu spielt (wenig spä­ter muss­te er das Kon­zert abbre­chen) – gegen sol­che Höhen ist Vir­tuo­si­tät Lüne­bur­ger Heide.

Dinu Lipat­ti: Bach, Mozart, Scar­lat­ti, Schu­bert, Gre­at Recor­dings Of The Cen­tu­ry (EMI)

 

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