Radu Lupu spielt Schubert

 

Die Suche nach dem idea­len Inter­pre­ten eines Kla­vier­werks ist womög­lich ein etwas arti­fi­zi­el­les, viel­leicht sogar ver­snob­tes Unter­fan­gen, aber es schärft das Ohr, schult den Geschmack und führt zuwei­len mit­ten ins Glück. Als ich vor zwei Jah­ren die­se Kolum­ne zu schrei­ben begann, kann­te ich den Namen Radu Lupu noch nicht ein­mal – dem Auto­di­dak­ten sind nicht nur die erstaun­lichs­ten Din­ge bekannt, son­dern auch unbe­kannt –; heu­te weiß ich, dass ich in ihm den Schu­bert-Spie­ler schlecht­hin gefun­den habe.

Ich habe lan­ge über­legt, mit wel­chem Wort man die Kunst des Rumä­nen am bes­ten cha­rak­te­ri­sie­ren könn­te, und ich habe mich für „Rein­heit“ ent­schie­den. Radu Lupu hat gewis­ser­ma­ßen das Rein­heits­ge­bot ins Schu­bert-Spiel ein­ge­führt. Bei ihm ist nichts extrem wie bei Afan­as­siev (zumin­dest bei den Ein­spie­lun­gen, live hör­te ich ihn anders), nichts zu ver­spielt wie gele­gent­lich bei Bren­del, nichts „zu dick“ wie manch­mal bei Rich­ter (des­sen Andan­te sos­ten­uto aus der B‑Dur-Sona­te aller­dings noch mehr an die Nie­ren geht als die etwas tro­cke­ne­re und schnel­le­re Ver­si­on Lupus). Es ist eine Rein­heit ohne den gerings­ten Anflug von Küh­le, das unter­schei­det Radu Lupus Dar­bie­tun­gen von vie­len zwar per­fek­ten, aber leicht ste­ri­len Inter­pre­ta­tio­nen, mit denen zeit­ge­nös­si­sche Pia­nis­ten gern auf­war­ten. Die Trau­rig­keit und tie­fe Schwer­mut der Schubert’schen Musik bleibt in sei­nem Spiel erhal­ten. Im Gun­de ist er eine Art Car­los Klei­ber des Pia­nos. Jeder sei­ner Töne besitzt sei­ne eige­ne Digni­tät und „steht“ unver­gleich­lich im Raum. Wenn Lupu ein For­tis­si­mo anschlägt, dann dröhnt es nicht, son­dern klingt, und zwar jeder ein­zel­ne Ton des Akkords für sich (man lau­sche nur der bra­chia­len Wie­der­ho­lung des Haupt­mo­tivs am Ende des ers­ten Sat­zes der G‑Dur-Sona­te).

Jetzt bin ich wie­der­um der Mode gefolgt und rede die gan­ze Zeit vom Inter­pre­ten statt vom Kom­po­nis­ten. Aber was soll ein arm­se­li­ger Sprach-Klemp­ner zu Schu­bert auch schrei­ben? Etwa zum erwähn­ten Andan­te sos­ten­uto? Dass es das Tiefs­te, das Schmerz­lichs­te, das Schöns­te von der Welt ist? Wor­te, nur Worte…

 

Radu Lupu spielt Schu­bert. 4 CD’s (Dec­ca)

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Dezem­ber 2011

Vorheriger Beitrag

Richard Strauss: Salome

Nächster Beitrag

Wiedervorlage: Deine Mutter!

Ebenfalls lesenswert

Chopin: Scherzi

Die vier Scher­zi zäh­len zu den ein­drucks­volls­ten und ver­we­gens­ten Schöp­fun­gen Cho­pins. Der gött­li­che Pole hat die­ses Gen­re zwar…