Horowitz spielt Chopin

 

Es gibt ein sehr dum­mes Vor­ur­teil über Fré­dé­ric Cho­pin, das sich auf den Begriff „Salon­mu­sik“ zusam­men­schnur­ren lässt. Ich gehör­te sel­ber ein­mal zu den­je­ni­gen, die die­sen Non­sens geglaubt und sogar behaup­tet haben. Mea maxi­ma cul­pa. Cho­pin ist ein Gott. Nie­mand hat schö­ne­re Musik fürs Kla­vier geschrie­ben, nie­mand hat die­ses Instru­ment mehr „aus­ge­reizt“ als er. Man darf sein Urteil eben nicht nur auf drei, vier Wal­zer oder Noc­turnes und den etwas abge­nu­del­ten (gleich­wohl groß­ar­ti­gen), u.a. bei Sta­lins Beer­di­gung geschmet­ter­ten Trau­er­marsch aus der b‑Moll-Sona­te stützen.

Jeder bedeu­ten­de und auch jeder unbe­deu­ten­de Pia­nist spielt Cho­pin, inso­fern gibt es eine rie­sen­gro­ße Aus­wahl an ver­schie­de­nen Auf­nah­men. Drei Vir­tuo­sen gel­ten als her­aus­ra­gen­de Cho­pin-Inter­pre­ten (kei­ne Dis­kus­sio­nen jetzt!): Horo­witz, Rubin­stein und Cortot.

Horo­witz war eine Natur­ge­walt am Flü­gel, ob er die Tas­ten lieb­kos­te und mit Kat­zen­pföt­chen über sie wan­der­te, oder ein Gewum­mer und Gedröh­ne ent­fach­te wie kaum jemand sonst je an die­sem Instru­ment. Die Colum­bia-Auf­nah­men, fast alle aus den Sech­zi­gern und frü­hen Sieb­zi­gern des vori­gen Jahr­hun­derts, geben einen guten Quer­schnitt sowohl Cho­pins wie der Fähig­kei­ten sei­nes beru­fe­nen Inter­pre­ten. Da Cho­pin sei­ne Zyklen, mit Aus­nah­me der Pré­ludes, nicht en bloc schuf, ist auch die Mischung – Noc­turnes, Mazur­ken, Wal­zer, Pré­ludes, eine Bal­la­de, ein Scher­zo, vier Polo­nai­sen und die besag­te Sona­te – eher reprä­sen­ta­tiv als will­kür­lich. Allein die Polo­nai­sen wür­den den Kauf die­ser CDs voll­auf loh­nen. Horo­witz war einer­seits einer der sub­lims­ten Pia­nis­ten, ander­seits ein gro­ßer Zam­pa­no und eine veri­ta­ble Ram­pen­sau, er wuss­te genau, wo ein Effekt zu set­zen war. Wie er etwa das The­ma zu Beginn der fis-Moll-Polo­nai­se spielt (der Tril­ler in der Rech­ten!) oder die Glis­san­di (die eigent­lich kei­ne sind) der in As-Dur! Wenn Sie jeman­den ken­nen, der depres­siv ist oder sich umbrin­gen wol­len, spie­len sie ihm die­se bei­den Stü­cke vor.

Horo­witz plays Cho­pin. The Com­ple­te Colum­bia Recor­dings, 3 CDs (Sony)

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei

Vorheriger Beitrag

Gieseking spielt Beethoven-Sonaten

Nächster Beitrag

Bach: Matthäus-Passion

Ebenfalls lesenswert