27. Dezember 2023

Aus etho­lo­gi­scher Sicht besteht eine grund­le­gen­de Gemein­sam­keit zwi­schen Men­schen, die sich folg­sam der Gen­der­spra­che bedie­nen, sol­chen, die einen Penis­be­sit­zer wie Tes­sa Gan­se­rer für eine Frau hal­ten – bezie­hungs­wei­se es öffent­lich fin­gie­ren – , sowie jenen, die ein­wan­dern­de Gewalt­tä­ter und Sozi­al­hil­fe­ab­grei­fer zu einer kul­tu­rel­len Berei­che­rung ihres Lan­des erklä­ren, wobei die­ses Gemein­sa­me mit­nich­ten in einer ver­meint­li­chen Welt­of­fen­heit oder Tole­ranz zu suchen ist, son­dern in ihrem Dressiertsein.

Das Wesen der Dres­sur ist die ritua­li­sier­te Gewöh­nung des Pro­ban­den an unna­tür­li­che, sei­nen Instink­ten oder Inter­es­sen zuwi­der­lau­fen­de Hand­lun­gen, für deren folg­sa­me Aus­füh­rung er eine Beloh­nung erhält, wäh­rend Wider­spens­tig­keit eine Bestra­fung nach sich zieht. Irgend­wann erreicht sein erzwun­ge­nes Ver­hal­ten einen Grad von Selbst­ver­ständ­lich­keit, der es ganz natür­lich erschei­nen lässt.

Ist es aber nicht. Und des­halb schreib ich’s wie­der und wieder.

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– War­um soll­ten wir die­se Mei­nung veröffentlichen?
– Aus dem ein­zi­gen Grund: weil es nicht Ihre ist.
Wäre ein sol­ches Gespräch zwi­schen einem Autor und einem Chef­re­dak­teur oder lei­ten­den Redak­teur in einer deut­schen Redak­ti­on denkbar?

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Der ägyp­ti­sche Fuß­bal­ler Moha­med Salah, der beim FC Liver­pool spielt, ist einer der bes­ten Stür­mer der Welt. In der Weih­nachts­zeit wur­de er im Netz beschimpft, obwohl er noch am 23. Dezem­ber den Aus­gleich gegen den Tabel­len­füh­rer Arse­nal Lon­don erzielt hatte.

Es ging um etwas anderes.

Salah ist Mos­lem – man erkennt mus­li­mi­sche Fuß­bal­ler übri­gens bei der ent­hemm­ten Ver­si­on des Tor­ju­bels oder beim Tri­kot­tausch dar­an, dass sie nicht täto­wiert sind, denn sie haben Allah ihren Leib unver­än­dert bzw. unver­schan­delt zurück­zu­er­stat­ten –, und als ein sol­cher hat er nach der Ansicht vie­ler ande­rer Mos­lems kei­nen Weih­nachts­baum auf­zu­stel­len und das Ding erst recht nicht noch oben­drein auf Insta­gram zu pos­ten. Dabei ist der Baum nicht mal ein christ­li­ches Wahr­zei­chen, son­dern ein Relikt der heid­ni­schen Win­ter­son­nen­wend­fei­er. Man kann durch­aus sagen, dass es sich um ein kul­tu­rel­les und kein reli­giö­ses Sym­bol han­delt. Über­dies lebt Salah in Eng­land, also in Euro­pa. Sei­ne Frau zeigt sich aber in der Öffent­lich­keit stets mit Kopf­tuch, auch auf einem älte­ren Foto vor dem Weih­nachts­baum übri­gens. Es ist den From­men nicht genug, sie müs­sen ihres­glei­chen kon­trol­lie­ren und ins Kol­lek­tiv pres­sen. „Ein jeder von euch ist ein Hir­te, ein jeder ist für sei­ne Her­de ver­ant­wort­lich“, gebie­tet ein Hadith.

Salah bekam natür­lich auch posi­ti­ve Kom­men­ta­re, sicher­lich über­wie­gend von euro­päi­schen Euro­pä­ern. Der Zufall woll­te es, dass ich par­al­lel zu die­ser Nach­richt in Karl­heinz Weiß­manns Weih­nachts­epis­tel „Kul­tur­kampf um den Weih­nachts­baum” ein bemer­kens­wer­tes Zitat las, das die­sen Sym­bol­kon­flikt auf den Punkt bringt. Es stammt von einem baye­ri­schen Unter­neh­mer mit türkischen Wur­zeln namens Mus­ta­fa Isik, der von sei­ner Fami­lie fol­gen­des berich­tet hat (in Weiß­manns Wor­ten): „Da gab es die reli­giö­se Reser­ve sei­ner Mut­ter gegenüber dem christ­li­chen Weih­nachts­baum und den eher lin­ken Unwil­len sei­nes Vaters und die Gedan­ken­lo­sig­keit vie­ler in sei­ner com­mu­ni­ty, die Weih­nach­ten fei­ern woll­ten wie alle, und den eige­nen hin­hal­ten­den Wider­stand, bis die ein­ge­bo­re­ne Ehe­frau sich beklag­te und die Kin­der zur Welt kamen und zuletzt das Ein­ge­ständ­nis, daß der Weih­nachts­baum das Sym­bol ist, ‚an dem sich alles kris­tal­li­siert, was Inte­gra­ti­on betrifft: Hast du einen, bist du dabei.’ ”

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Der­sel­be Kul­tur­kampf, ein ande­rer Ort.

Weih­nach­ten im bes­ten Deutsch­land, das es ja gab.

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Das ging schnell.

Auch Polen hat sich ent­schie­den, das bes­te Polen, das es ja gab, wer­den zu wollen.

Und wo Woke hobeln, fal­len eben Späne.

Die Glo­ba­lis­ten­ma­rio­net­te Tusk (eng­lisch: Stoß­zahn, Hau­er; nein Lui­sa, die Glo­ba­lis­ten sind nicht die Juden, son­dern die Glo­ba­lis­ten) und sei­ne Cote­rie haben es anschei­nend sehr eilig mit dem Köp­fe­rol­len­las­sen, weil sie wis­sen, dass sich die­se unna­tür­li­che Koali­ti­on beim erst­bes­ten Anlass zer­strei­ten und aus­ein­an­der­lau­fen wird.

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Hin und wie­der ver­schränkt sich die and­res­sier­te Akzep­tanz für kul­tu­rel­le Berei­che­rung mit den and­res­sier­ten Gebo­ten der Oppo­si­ti­ons­be­kämp­fung zu einem bei­na­he form­voll­endet kon­tra­punk­ti­schen Zusammenspiel.

Hossa!

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Freund ***, gewis­ser maso­chis­ti­scher Nei­gun­gen nicht gänz­lich unver­däch­tig, liest jeden Tag nach dem Auf­wa­chen die „Lage am Mor­gen” auf der Web­sei­te des Spie­gel – ich schrieb schon ein­mal kopf­schüt­telnd dar­über –, weil er meint, dass die­se Kolum­nen als noto­ri­sche Assem­bla­ge aus poli­ti­schem Kon­for­mis­mus, den Leser ankum­peln­der Befind­lich­keits­aus­stül­pung und sprach­li­cher Limi­tiert­heit zum Blö­des­ten gehör­ten, was der deut­sche Jour­na­lis­mus zu bie­ten habe, und er sich das als Kul­tur­mensch so wenig ent­ge­hen las­sen dür­fe wie ein Pia­no­ma­ne zum Bei­spiel die Meis­ter­wer­ke des Hip-hop. Fin­det er eine „Mor­gen­la­ge” ganz beson­ders her­aus­ra­gend, sen­det er mir den Link, beglei­tet von enthu­si­as­mier­ten Aus­ru­fen. Manch­mal fal­le ich dar­auf her­ein und kli­cke ihn an. So auch heute.

Aus dem zwang­haft oder auch zwangs­ar­bei­ter­haft per­sön­lich gehal­te­nen Teil, der sich dies­mal mit dem „Zau­ber der letz­ten Tage im Jahr” beschäf­tigt, rücke ich hier zwei Absät­ze ein:

„Ich wün­sche Ihnen, dass Sie die­se Lage am Mor­gen aus­ge­schla­fen am Mit­tag lesen. Weil Sie die letz­te Woche im Jahr frei haben, noch im Pyja­ma, mit dem zwei­ten Kaf­fee in der Hand, auf dem hei­mi­schen Sofa Ihre Basis chil­lend. Glau­ben Sie mir: Sie haben es ver­dient. Ich hof­fe, dass Sie Zeit haben, das Jahr zu ver­dau­en. Und halb­wegs gedank­lich abzuschließen.

Für vie­le Men­schen mögen die Weih­nachts­ta­ge die Gele­gen­heit sein, etwas abge­schot­tet von der aktu­el­len Welt­la­ge ‚mal in Ruhe’ nach­zu­den­ken. Ich sehe das anders – und set­ze da voll auf die Magie in den ‚Tagen dazwi­schen’. Wenn der Weih­nachts­stress vor­bei, der ihn (in vie­len Fäl­len) aus­lö­sen­de Fami­li­en­be­such abge­reist ist und man mit der ein­ge­üb­ten Vor­freu­de auf Sil­ves­ter blickt.”

An der Relo­ti­us­spit­ze scheint es nie­man­den mehr zu geben, der Arti­kel gegen­liest; wahr­schein­lich weil alle damit beschäf­tigt sind, den jeweils nächs­ten zu klo­nen. Unse­re Autorin sitzt also im Pyja­ma auf dem hei­mi­schen Sofa und „chillt” ihre „Basis” – ich neh­me an, sie meint den Hin­tern*. Und wäh­rend die Maid sich um die Ent­span­nung ihres Wur­zel­chakras küm­mert, „ver­daut” sie das ver­stri­che­ne Jahr. Bei die­ser schö­nen Gele­gen­heit beschei­nigt sie dem vir­tu­el­len Gesamt­le­ser mit dem gön­ne­ri­schen Charme einer Elle-Kolum­nis­tin, er habe es sich ver­dient, ein Glei­ches zu tun. Natür­lich lässt sie sich die nicht direkt vom Pres­se­amt ange­ord­ne­te, aber inner­jour­na­lis­tisch unge­mein ange­sag­te Kla­ge über den angeb­li­chen Fami­li­en­weih­nachts­stress nicht ent­ge­hen (wie­der zwei Zei­len geschun­den). Im alten Spie­gel hät­te Hans Det­lev Becker den Text mit einem Begleit­zet­tel zurück­ge­hen las­sen, auf dem zu lesen stün­de: „Ist der Mensch, der das geschrie­ben hat, noch bei uns beschäftigt?”

Das Fräu­lein­wun­der hat übri­gens die Axel Sprin­ger Jour­na­lis­ten­schu­le „mit Sta­tio­nen bei Hör­zu, Ham­bur­ger Abend­blatt, Welt am Sonn­tag und Bild” besucht, dann wur­de sie Poli­tik­re­dak­teu­rin bei der Zeit „mit den The­men­schwer­punk­ten Außen- und Sicher­heits­po­li­tik”. Sie ist „Ensem­ble­mit­glied der anti­ras­sis­ti­schen Lese- und Büh­nen­show ‚Hate Poet­ry’ ”, also wenn sie nicht daheim im Pyja­ma chillt, ist sie oben­drein im Wider­stand aktiv. Beim Spie­gel fun­giert sie als stell­ver­tre­ten­de Res­sort­lei­te­rin Ausland.

Ihr Wer­de­gang demons­triert nicht nur die inzwi­schen über sämt­li­che Redak­tio­nen und Ver­la­ge sich erstre­cken­de belie­bi­ge Aus­tausch­bar­keit der Redak­teu­re – die aktu­el­le Chef­re­dak­teu­rin des Focus etwa, die so unbe­kannt ist wie alle Chef­re­dak­teu­re heut­zu­ta­ge, war vor­her fast zwan­zig Jah­re beim stern, einer lin­ken Gesin­nungs­pos­til­le mit Unter­hal­tungs­teil; es ist egal –, son­dern auch deren inhalt­li­che Fle­xi­bi­li­tät, wes­halb sie Tex­te pro­du­zie­ren, die ein­an­der glei­chen wie ein Borken‑, Mai- oder Mist­kä­fer dem ande­ren. Sofern nur Gesin­nung, Hal­tung und Jah­res­end­ver­dau­ung stim­men, führt ein gera­der Weg von der Hör­zu zur Außen­po­li­tik und von Sprin­ger zum Spie­gel.

Was sie nicht mehr kön­nen müs­sen, liegt auf der Hand: schreiben.

* „Eigent­lich sagt man ’sei­ne Base chil­len’ ”, unter­weist mich Freund ***, als Mitt­zwan­zi­ger für Aus­läu­fer der Spät­pu­ber­tät noch erreich­bar, „aber die Autorin ist Jahr­gang ’77 und wohl schon zu alt für zwei Angli­zis­men in einem Halb­satz, sie ist auf hal­bem Wege steckengeblieben.”

Es han­delt sich also nicht nur um ein Ran­wan­zen an den Leser als sol­chen, son­dern spe­zi­ell und beson­ders schmie­rig an den juve­nil-seni­len Benut­zer einer soge­nann­ten Jugendsprache.

 

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