Bach & Buxtehude: Kantaten

Bachs Kan­ta­ten „Ich will den Kreuz­stab ger­ne tra­gen“ (BWV 56) und „Ich habe genug“ (BWV 82) sind kei­ne 300 Jah­re alt und kom­men doch aus unend­li­cher Fer­ne. Auf den heu­ti­gen Hörer mögen die lebens­mü­den Tex­te des unbe­kann­ten Ver­fas­sers anstö­ßig, ja ver­blen­det wir­ken: „Mit Freu­de sag ich, Welt, zu dir: Ich habe genug.“ – „Da leg ich den Kum­mer auf ein­mal ins Grab,/ Da wischt mir die Trä­nen mein Hei­land selbst ab.“ – „Ich freue mich auf mei­nen Tod,/ Ach, hätt er sich schon eingefunden./ Da ent­komm ich aller Not/ Die mich noch auf der Welt gebun­den.“ Die letzt­zi­tier­te Arie ist mit „viva­ce“ über­schrie­ben – „leben­dig“. Mit die­ser freu­di­gen und tän­ze­ri­schen Todes­be­grü­ßung endet BWV 82. Es fin­det sei­ne Ent­spre­chung im ver­gleich­bar fide­len „End­lich, end­lich wird mein Joch wie­der von mir wei­chen müs­sen“ aus BWV 56. Hier heißt die Oboe mit einer fröh­li­chen Wei­se Freund Hein willkommen.

Bei­de Kan­ta­ten sind frap­pie­ren­de Zeug­nis­se pro­tes­tan­ti­scher Todes­sehn­sucht – prä­zi­ser: der Sehn­sucht, die Welt zu ver­las­sen und sich mit Jesus zu ver­ei­nen. Ihr fried­vol­ler und pri­va­ter Cha­rak­ter erscheint sehr sym­pa­thisch im Ver­gleich etwa zum mör­de­ri­schen Trei­ben aktu­el­ler Lebens­mü­der mit Jen­seits­am­bi­tio­nen. Aber vor der mys­ti­schen Ver­ei­ni­gung mit dem Hei­land steht das Erdul­den aller Erden­qua­len. Die Stü­cke erin­nern dar­an, wie unse­re Alt­vor­dern gene­ra­tio­nen­lang gedul­det und gelit­ten haben, um unse­re Exis­tenz über­haupt zu ermög­li­chen. Zutiefst ergrei­fend ist das „Schlum­mert ein, ihr mat­ten Augen,/ Fal­let sanft und selig zu“ aus BWV 82; es ist, als wenn eine lie­be­vol­le Hand durch die Jahr­hun­der­te greift, um ein dasein­ser­schöpf­tes Augen­paar zum letz­ten­mal zu schließen.

Der Über­gang von sol­cher Lebens­att­heit zu Bux­te­hu­des Ver­to­nun­gen des über­aus lebens­hung­ri­gen Hohe­lieds Salo­mo­nis trägt durch­aus sur­rea­les Geprä­ge. Bekannt­lich sah Bach in Bux­te­hu­de eine Art Vor­gän­ger und pil­ger­te eigens nach Lübeck, um ihn zu hören; inso­fern ist die Paa­rung ange­mes­sen. Dar­ge­bo­ten wer­den hier die Kan­ta­ten „Ich bin eine Blu­me zu Saron“ und „Ich such­te des Nachts“. Es sind rät­sel­haf­te, teils hei­te­re, teils ver­son­ne­ne Stü­cke, aus denen noch die deut­sche Renais­sance zu spre­chen scheint und denen zugleich etwas schwer beschreib­bar Exo­ti­sches inne­wohnt.
 
Bach/Buxtehude: Kan­ta­ten; Diet­rich Fischer-Die­skau, Karl Rich­ter (Fischer-Die­skau-Edi­ti­on 17/Deutsche Grammophon)


Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, März 2015

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