Böse Menschen haben keine Grundrechte

Uner­wünsch­te Ansich­ten wer­den in Deutsch­land immer mehr stig­ma­ti­siert. Der Angriff auf die Frei­heit kommt auch aus der Mit­te der Gesell­schaft

Noch unter jedem Regime“, notier­te der Apho­ris­ti­ker Johan­nes Gross, „gehör­te der Maul­korb zur kor­rek­ten deut­schen Stra­ßen­be­klei­dung.“ Der­zeit sind wie­der ein­mal bemer­kens­wert vie­le recht­schaf­fe­ne Ver­fech­ter von Gesin­nungs­dres­sur und dis­kur­si­vem Lei­nen­zwang unter­wegs, um ein beschränk­tes Reper­toire erwünsch­ter („hilf­rei­cher“) Ansich­ten durch­zu­set­zen, was vor allem so läuft, dass abwei­chen­de Ansich­ten stig­ma­ti­siert oder sank­tio­niert wer­den. Vier Beispiele.

Die phil.Cologne, „das inter­na­tio­na­le Fes­ti­val der Phi­lo­so­phie“, hat den aus­tra­li­schen Bio­ethik-Pro­fes­sor Peter Sin­ger erst ein- und dann wie­der aus­ge­la­den, weil er soge­nann­te „umstrit­te­ne“ Ansich­ten ver­tritt. Das ist offen­bar für einen Phi­lo­so­phen nicht vor­ge­se­hen. Sin­ger hält unter ande­rem die Tötung schwerstbehin­der­ter Neu­ge­bo­re­ner für dis­ku­ta­bel. Für sei­nen Aus­schluss hat­te spe­zi­ell eine Initia­ti­ve namens „Kein Forum für den ‚Euthanasie’-Befürworter Peter Sin­ger“ getrom­melt, deren Akti­vi­tä­ten sich im Wesent­li­chen auf Empö­rungs­be­kun­dun­gen beschrän­ken. Die Lei­tung der phil.Cologne begrün­de­te den Ver­zicht auf den Aus­tausch von Argu­men­ten mit dem Hin­weis auf ihr „huma­nis­tisch-eman­zi­pa­to­ri­sches Selbst­ver­ständ­nis“, wel­ches schwe­rer wie­ge als die freie Rede. Eine bemer­kens­wer­te Aussage.

Schäu­men­de Empö­rung lös­te im Mai auch eine Kolum­nis­tin des west­fä­li­schen Anzei­gen­blat­tes „OWL am Sonn­tag“ aus. Die Diplom­so­zio­lo­gin hat­te in ihrer Rubrik „Guter Rat am Sonn­tag“ einem um sel­bi­gen fra­gen­den Leser emp­foh­len, sei­ne bei­den Töch­ter, sechs und acht Jah­re alt, im Zwei­fel eben nicht an der Hoch­zeit sei­nes schwu­len Bru­ders teil­neh­men zu las­sen, wenn er befürch­te, dass die Kin­der dadurch „ver­wirrt“ wer­den könn­ten. Dies tat sie aus­ge­rech­net in der Woche, als nahe­zu sämt­li­che Medi­en zu einer Kam­pa­gne für die Homo-Ehe nach iri­schem Vor­bild (natür­lich ohne Volks­ab­stim­mung) ansetz­ten und sie qua­si als den Schluss­stein der Zivi­li­sa­ti­on prie­sen. Nach­dem in sozia­len Netz­wer­ken ein offen­bar gut orga­ni­sier­ter Wut­sturm aus­brach, übte die Redak­ti­on beflis­sen Selbst­kri­tik, nann­te den Text „eine gra­vie­ren­de jour­na­lis­ti­sche Fehl­leis­tung“ und trenn­te sich mit sofor­ti­ger Wir­kung von ihrer Kolum­nis­tin. Der Chef­re­dak­teur bedau­er­te in einer Erklä­rung, dass der Bei­trag „Gefüh­le ver­letzt“ habe. Die Kolum­ne wur­de ein­ge­stellt. Wer künf­tig vor­sätz­lich oder arg­lis­tig die Ver­bind­lich­keit der Teil­nah­me an einer Homo-Trau­ung bestrei­ten will, ist hier­mit gewarnt. Der grü­ne Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Vol­ker Beck, der sei­ne ver­letz­ten Gefüh­le ver­mut­lich kaum mehr zäh­len kann, ver­kün­de­te via Twit­ter Genug­tu­ung über die Abstra­fung der Kolumnistin.

Einen Monat zuvor hat­ten zwei eben­falls lin­ke Poli­ti­ker eben­falls Genug­tu­ung über eine Art Raus­schmiss bekun­det. Anhän­ger des 1. FC Köln hat­ten ver­sucht, den AfD-Vor­sit­zen­den Bernd Lucke samt sei­ner Frau zum Ver­las­sen des ICE zu zwin­gen, und zwar mit den Wor­ten: „Wir wol­len kei­ne Nazis hier!“ Der SPD-Poli­ti­ker Sascha Vogt, Mit­glied des Bun­des­vor­stands und frü­he­rer Juso-Chef, twit­ter­te enthu­si­as­miert: „Heu­te mag ich den eff­zeh gleich dop­pelt.“ Lob für die Akti­on kam auch von Nie­ma Mov­as­sat, einem Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten der Links­par­tei. Auf Twit­ter schrieb er: „FC-Fans woll­ten Lucke aus dem ICE wer­fen. Ver­ständ­li­che Akti­on und dan­ke für den Mut!“ Auf sei­ner Web­site stellt sich Mov­as­sat vor mit den Wor­ten: „100 % sozi­al. 100 % fried­lich.“ So einer ist auf Boden­trup­pen irgend­wie angewiesen.

Wäh­rend anders­wo das Raus­schmei­ßen in Mode kommt, wol­len trend­be­wuss­te Münch­ner gar nicht erst her­ein­las­sen. „Kein Bier für Neo­na­zis“ heißt heu­te die Paro­le in der eins­ti­gen Haupt­stadt der Bewe­gung. Die Stadt schrieb alle 7000 Gast­wir­te an und for­dert sie auf, rechts­extre­me Gäs­te aus ihren Loka­len, Bier­kel­lern und Hotels fern­zu­hal­ten. „Mün­chen ist bunt! … auch in Gast­stät­ten und Hotels“ heißt die Kam­pa­gne der Stadt und des Baye­ri­schen Hotel- und Gast­stät­ten­ver­bands Deho­ga. Gera­de in Mün­chen bestehe eine his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung, „rech­te Umtrie­be schon im Keim zu ersti­cken“, ver­si­cher­te Miri­am Heigl von der städ­ti­schen „Fach­stel­le gegen Rechts­extre­mis­mus“. Wenn ein Wirt sei­ne Räu­me „Nazis“ zur Ver­fü­gung stel­le, wer­de die Deho­ga infor­miert, die dann mit den Braue­rei­en rede. Die könn­ten Wir­ten in sol­chen Fäl­len auch die Kon­zes­si­on ent­zie­hen. Wie man als anstän­dig Geblie­be­ner veri­ta­ble „Neo­na­zis“ und ihre rechts­po­pu­lis­ti­schen Milch­brü­der erkennt, wur­de so wenig end­aus­dis­ku­tiert wie die Fra­ge, wer eigent­lich defi­niert, was rechts, rechts­extrem oder voll­na­zi ist. Da der Kampf gegen die Neo­na­zis sich metho­disch durch­aus an den ech­ten Nazis zu ori­en­tie­ren scheint, böten sich viel­leicht deut­lich sicht­ba­re Auf­nä­her auf der Klei­dung an?

Solch ideo­lo­gi­sche Gän­ge­lei ist kei­nes­wegs auf Deutsch­land beschränkt. Im ver­gan­ge­nen Jahr rief der „Euro­päi­sche Rat für Tole­ranz und Ver­söh­nung“ in einem Sta­tut dazu auf, „kon­kre­te Maß­nah­men zu ergrei­fen zum Kampf gegen Into­le­ranz“. Der Tat­be­stand der Into­le­ranz bestehe bereits, wenn jemand sich zum Bei­spiel über Femi­nis­tin­nen lus­tig mache („hol­ding it to ridi­cu­le“). Ins­be­son­de­re die Medi­en sind gehal­ten, ihren Bei­trag zu leis­ten: „Die Regie­rung möge dafür sor­gen, dass die öffent­li­chen Sen­der (TV und Radio) einen vor­ge­schrie­be­nen Pro­zent­satz ihrer Pro­gram­me der Ver­brei­tung eines Kli­mas der Tole­ranz widmen.“

Neu­er­lich ste­hen wir vor dem Phä­no­men, dass die Tole­ranz­er­zwin­ger die Spra­che von Dik­ta­to­ren spre­chen – und vor der Fra­ge, wer eigent­lich das bun­te Sam­mel­su­ri­um von Into­le­ranz­kri­te­ri­en defi­niert und ihren Gel­tungs­rah­men fest­legt. Natür­lich weiß jeder die Ant­wort: Dafür gibt es in einem Rechts­staat die Geset­ze – und nichts außer­dem. Alles ande­re ist Gou­ver­nan­ten­an­ma­ßung bis hin zum Gesin­nungs­ter­ror. Längst sind ergeb­nis­of­fe­ne Dis­kus­sio­nen durch das Vor­zei­gen von kon­for­mis­ti­schen Affek­ten ersetzt wor­den. Dass jemand empört ist – oder so tut -, dass jeman­des „Gefüh­le“ ver­letzt wur­den (sofern er nicht gera­de ein christ­li­cher hete­ro­se­xu­el­ler bio­deut­scher Spie­ßer ist), dass sich jemand dis­kri­miert „fühlt“, gilt als Ankla­ge und Urteils­spruch in einem. Wobei die eigent­li­chen Absah­ner die selbst beru­fe­nen Anwäl­te sind. Wenn die freie Rede beschnit­ten wird, steckt nicht guter Wil­le dahin­ter, son­dern Macht­an­spruch, Lob­by­is­mus und Ran­ge­lei um staat­li­che Fördermittel.

Ein frei­er Mensch sagt, was er meint. Wenn es mög­lichst vie­le tun, ist alles gut. Ansons­ten droht uns eine Art mode­ra­te DDR.

Erschie­nen in: Focus 24/2015

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