Der in Nischni Nowgorod geborene Russe Daniil Trifonov ist 25 Jahre alt und gilt bereits als einer der bedeutendsten Pianisten der Gegenwart. 2010 errang er den 3. Preis beim Warschauer Chopin-Wettbewerb. Ein Jahr darauf stieg er endgültig in den Olymp des Virtuosentums auf und holte neben dem Rubinstein-Preis auch noch den 1. Preis beim internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Wer sich in dieser Liga mehrfach Lorbeeren erspielt, muss kolossale Nerven haben und eine pianistische Ausnahmebegabung sein.
Trifonov ist ein blasser Jüngling mit strähnigen Haaren und einem enormen Kinn. Seine schmalen, filigranen, etwas wächsern wirkenden Finger bewegen sich mit vollendeter Natürlichkeit über die Tasten. Was zuerst auffällt, ist die unglaubliche Finesse seines Anschlags. Die Tasten werden liebkost, sogar im Fortissimo noch. Nie würde diesem Wundertier ein hässlicher Ton unterlaufen. Sodann entwickelt und enthüllt sich eine staunenswerte Angemessenheit, Klarheit, Rundheit und Richtigkeit seines Spiels. Der Supervirtuose Trifonov ist dies nur sekundär – primär ist er Medium. Er spielt die Werke, als seien es seine eigenen. Er beseelt sie nicht künstlich, sondern die Beseeltheit ist seinem Spiel a priori eingeschrieben. Dass er auch gewaltig in die Tasten greifen kann, zeigt er etwa bei Liszt. Sein Spiel bleibt gleichwohl vollkommen unangestrengt. Wie bei vielen großen Pianisten bindet die innere, auf Maßhalten zielende Spannung die meiste Kraft des Interpreten.
Am 5. Februar 2013 gab der Russe in der New Yorker Carnegie Hall ein längst legendäres Konzert. Auf dem Programm standen Scriabins Sonate Nr. 2 in gis-Moll, Liszts h‑Moll-Sonate und Chopins Preludes. Im romantischen Repertoire fühlt sich Trifonov am heimischsten (aber es gibt auf Youtube einen gottvollen Mitschnitt von Mozarts KV 488, dessen Adagio die vielleicht größte seelische Herausforderung der Klavierliteratur bildet). Da es mir unmöglich ist, beim Beschreiben dieses Konzerts nicht mit Superlativen zu rasseln, diese Superlative aber samt und sonders abgeschmackt sind, belasse ich es bei der Empfehlung. Obwohl es sogar die Feuilletons behaupten, strahlt vom Klavierhimmel ein gewaltiger neuer Stern.
Daniil Trifonov: The Carnegie Recital (Deutsche Grammophon)
Erschienen in: eigentümlich frei Nr. 165