Wie gefährlich ist „das Finanzsystem”?


„Schwe­re Kost” des Autors Mat­thi­as Mül­ler: Rich­tig­stel­lun­gen und ein Blick nach vorn

Ein Brief an den Ver­fas­ser der Acta diur­na vom 9. Dezem­ber 2020 


Leser ***, der Autor der fol­gen­den Betrach­tung, hat­te zunächst mit einer Zuschrift auf den
Acta-Ein­trag vom 30. Novem­ber reagiert (sie ist dem genann­ten Ein­trag ange­hängt; ein biss­chen scrol­len). Dar­auf­hin sand­te ich Leser *** den oben genann­ten Arti­kel zu und erbat eine Reak­ti­on. Im Fol­gen­den ist sie doku­men­tiert. Die Lek­tü­re des Tex­tes, auf den der Brief Bezug nimmt, ist daher unver­meid­lich.

„Der Auf­stieg der Banken”

Der Abschnitt ent­hält, wie die ande­ren auch, zahl­rei­che Fak­ten, aber immer mit einem res­sen­ti­ment­be­la­de­nen Spin ver­se­hen, der mit der Aus­blen­dung nicht nur wesent­li­cher Details, son­dern auch ent­schei­den­der Sys­tem­zu­sam­men­hän­ge ein­her­geht. Im Abschnitt „Der Auf­stieg der Ban­ken” wird kur­so­risch die Ent­wick­lung des Welt­wäh­rungs­sys­tems nach dem zwei­ten Welt­krieg beschrie­ben. Die blo­ße Beschrei­bung der wäh­rungs­po­li­ti­schen Wei­chen­stel­lun­gen, die damals unter der Füh­rung der USA statt­fan­den, ist kor­rekt. Zugleich wird aber insi­nu­iert, das Gan­ze sei ein per­fi­der Plan der USA gewe­sen, den Rest der Welt aus­zu­beu­ten oder zumin­dest zu über­vor­tei­len. Natür­lich haben die USA bei der Neu­ord­nung des Wäh­rungs­sys­tems nach 1945 auch eige­ne Inter­es­sen ver­folgt, was sonst! Nur: Wel­ches ande­re Land hät­te denn den Anker einer neu­en Welt­wäh­rungs­ord­nung bil­den sol­len? Eines der rui­nier­ten Län­der Euro­pas? Oder die Sowjet­uni­on…? In einem Wäh­rungs­sys­tem, das nicht mehr auf dem Gold­stan­dard beruht (der zuvor herr­schen­de Gold­stan­dard war durch den ers­ten Welt­krieg zer­stört wor­den), muss es eine Leit- oder Reser­ve­wäh­rung geben, und die kann nur von dem Land bereit­ge­stellt wer­den, das die größ­ten Wäh­rungs­re­ser­ven hat. Das waren damals die USA (nach­dem sie sich, zuge­ge­be­ner­ma­ßen, noch den Gold­schatz der deut­schen Reichs­bank ein­ver­leibt hat­ten). Im 21. Jahr­hun­dert wer­den die Chi­ne­sen die Ame­ri­ka­ner in die­ser Rol­le beer­ben; sie arbei­ten äußerst plan­voll und ziel­stre­big dar­auf hin. Sol­che Ent­wick­lun­gen sind Teil des Rise and Fall of Nati­ons.

Haben die Ame­ri­ka­ner die­ses Wäh­rungs­sys­tem dazu benutzt, die Welt „mit ihren Waren zu über­schwem­men”? Ja, aber nur für rela­tiv kur­ze Zeit. Spä­ter haben vier gro­ße Natio­nen eben die­ses Wäh­rungs­sys­tem benutzt, um über den Export in die USA zu bedeu­ten­den Wohl­stands­ge­win­nen zu kom­men: zuerst Deutsch­land, dann Japan, spä­ter Süd­ko­rea und zuletzt Chi­na. Die USA mit ihrem rie­si­gen und bemer­kens­wert offe­nen Bin­nen­markt sind für jeden, der sich in die­ses Sys­tem zu inte­grie­ren bereit war, der Steig­bü­gel­hal­ter für öko­no­mi­schen Auf­stieg gewe­sen. (Das hat­te Trump übri­gens kor­rekt erkannt.) Sich in ein Sys­tem zu inte­grie­ren ver­langt, des­sen Spiel­re­geln zu beach­ten. Das ist nun ein­mal so. Der Gold­stan­dard, der die zwei­te Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts präg­te, brach­te viel här­te­re Spiel­re­geln mit sich. Und die Spiel­re­geln, die die Chi­ne­sen in 20, spä­tes­tens 30 Jah­ren der Welt dik­tie­ren, wer­den eben­falls sehr viel unan­ge­neh­mer sein. Wenn Sie betrach­ten, wie die Chi­ne­sen im Augen­blick mit den Aus­tra­li­ern ver­fah­ren, bekom­men Sie eine Vor­stel­lung davon.

Es wird sodann groß her­aus­ge­stellt, dass die Fede­ral Reser­ve Bank kei­ne Behör­de, son­dern ihrem Eigen­tums­sta­tus nach eine Pri­vat­bank ist. Was damit unter­stellt wer­den soll, ist klar: Dass hier eine klei­ne Finanz­cli­que sich mäch­tig berei­chert. Ent­schei­dend ist aber etwas ganz ande­res, näm­lich dass die FED ihren Sta­tu­ten, ihren Befug­nis­sen und Pflich­ten nach die Auf­ga­ben einer Zen­tral­bank wahr­nimmt. In Deutsch­land gab es im 19. Jahr­hun­dert vor der Reichs­ei­ni­gung dut­zen­de Ban­ken, die Geld aus­ge­ben durf­ten; das waren alles Pri­vat­ban­ken. Auch die Schwei­ze­ri­sche Natio­nal­bank ist übri­gens eine bör­sen­no­tier­te Akti­en­ge­sell­schaft, die als unab­hän­gi­ge Zen­tral­bank im Auf­trag des Staa­tes die Geschäf­te einer Noten­bank besorgt, dar­un­ter die Gewähr­leis­tung der Bar­geld­ver­sor­gung, die Abwick­lung des bar­geld­lo­sen Zah­lungs­ver­kehrs (Clea­ring), die Anla­ge der Wäh­rungs­re­ser­ven und die Über­wa­chung der Sta­bi­li­tät des Finanz­sys­tems. Die Eigen­tums­ver­hält­nis­se sind im Ver­gleich dazu zweitrangig.

„Der Öl-Dol­lar”

Nach dem­sel­ben Prin­zip ver­fährt der Autor im zwei­ten Abschnitt „Der Öl-Dol­lar”. Hier wer­den auch wie­der zahl­rei­che Fak­ten ein­ge­floch­ten, doch mit der fal­schen Sug­ges­ti­on, die Nah­ost­po­li­tik der USA habe vor­ran­gig dazu gedient, die Vor­macht­stel­lung des US-Dol­lars abzu­si­chern. Das ist absurd und ver­kennt voll­kom­men, dass die US-Außen­po­li­tik schon immer von einem kon­se­quen­ten Pri­mat des Poli­ti­schen bestimmt war. Oft von treu­her­zig-dum­men Ideen, ja, bei­spiels­wei­se dem Glau­ben, man kön­ne aus Afgha­ni­stan eine Demo­kra­tie machen, aber wel­chem öko­no­mi­schen Kal­kül soll denn der Krieg in Afgha­ni­stan gedient haben? Die Ame­ri­ka­ner haben im Nahen Osten kon­se­quent immer nur zwei Zie­le ver­folgt: Die Gewähr­leis­tung der Sicher­heit Isra­els und die Sicher­stel­lung ihrer Ölver­sor­gung. Auch hier ist die Poli­tik von Trump erstaun­lich kon­se­quent gewe­sen: Die Sicher­heit Isra­els hat er mas­siv ver­tei­digt, ansons­ten aber hat er eine Poli­tik der Des­in­ter­ven­ti­on in die­ser Regi­on ver­folgt. War­um? Weil die USA selbst zum Net­to-Expor­teur von Ener­gie gewor­den sind (durch ihre sehr erfolg­rei­che Schie­fer­gas­ge­win­nung) und ein­fach nicht mehr so abhän­gig sind von ara­bi­schem Öl. Des­halb hat er mit Blick auf die ara­bi­schen Staa­ten einen äußerst ratio­na­len Schwenk voll­zo­gen, nach dem Mot­to: Rich­tet Euch mei­net­we­gen doch selbst zugrun­de. So und nicht anders hat­te Bis­marck es auch mit dem Bal­kan hal­ten wollen.

Ein Detail am Ran­de: Zu behaup­ten, die USA hät­ten Sau­di-Ara­bi­en dazu gezwun­gen, ihre Öl-Über­schüs­se im USD anzu­le­gen, ist lächer­lich. Wo sonst hät­ten die Sau­dis das Geld denn sonst anle­gen sol­len? Alle ande­ren Märk­te und Wäh­run­gen waren dafür viel zu klein. Auch die Euro­pä­er, Japa­ner und Chi­ne­sen haben ihre Reser­ven vor­wie­gend in US-Staats­an­lei­hen ange­legt, weil kein ande­rer Markt der Welt dafür aus­rei­chend groß und liqui­de ist. Das ist der „stum­me Zwang der öko­no­mi­schen Verhältnisse”!

„Der Damm­bruch für Spekulanten”

Im nächs­ten Kapi­tel kommt’s ganz dick: Es beginnt mit dem unfass­bar dum­men Satz: „Man ver­dien­te so viel Geld, dass die Wirt­schaft ihre Expan­si­on prak­tisch aus Eigen­ka­pi­tal finan­zie­ren konn­te.” Jede Kre­dit­sta­tis­tik zeigt, dass das völ­li­ger Quatsch ist. Wahr ist, dass die Ban­ken einem Pro­zess aus­ge­setzt waren, der auf eine Ero­si­on ihrer Zins­mar­ge, also der Dif­fe­renz zwi­schen Ein­la­gen- und Kre­dit­zin­sen, hin­aus­lief. In dem Maße, wie das Haus­ban­ken­prin­zip an Bedeu­tung ver­lor, muss­ten die Ban­ken auf Ein­la­gen mehr zah­len, wäh­rend sie bei den Kre­dit­kon­di­tio­nen Zuge­ständ­nis­se machen muss­ten. Ein Ergeb­nis des Wett­be­werbs, für Bank­kun­den höchst erfreu­lich! Hier liegt der Grund, war­um die Ban­ken danach trach­te­ten, ein Sub­sti­tut für das weni­ger pro­fi­ta­ble Kre­dit­ge­schäft zu fin­den, und die­ses Sub­sti­tut soll­te das Invest­ment­ban­king sein. Des­halb hat z.B. die Deut­sche Bank vor ca. drei­ßig Jah­ren damit begon­nen, gro­ße Invest­ment­ban­ken in den USA und Groß­bri­tan­ni­en zu kau­fen, deren Geschäfts­schwer­punkt nicht mehr im Kre­dit lag, son­dern im Han­del mit Akti­en und Anlei­hen, in Wert­pa­pier­emis­si­ons- und im Mergers&Acquisition-Geschäft. Und für die­se Geschäfts­fel­der gaben, in der Tat, die ver­schie­de­nen Markt­li­be­ra­li­sie­run­gen vor allem der acht­zi­ger und neun­zi­ger Jah­re, den Start­schuss bzw. sie  brach­ten ihnen enor­men Rücken­wind ein. Die­se Libe­ra­li­sie­run­gen (z.B. der „Big Bang” in UK) – ich kom­me noch dar­auf zurück – haben zwei­fel­los zu Fehl­ent­wick­lun­gen geführt, sie haben aber auch für den „Ver­brau­cher” (Anle­ger) gro­ße Vor­tei­le mit sich gebracht, z.B. in Gestalt der Tat­sa­che, dass sie heu­te einen Index­fonds für lau­fen­de Gebüh­ren von ca. 0,10–0,15% p.a. kau­fen kön­nen, wäh­rend sie für einen klas­si­schen Fonds mit 0,5–2% p.a. zur Kas­se gebe­ten werden.

Jetzt kom­me ich aber zu einem ganz wich­ti­gen Punkt: Zum The­ma Hedge­fonds. Über Hedge­fonds sind unglaub­lich vie­le fal­sche Vor­stel­lun­gen im Umlauf, und ich will ver­su­chen, wenigs­tens die wich­tigs­ten Irr­tü­mer zu adressieren.

Wenn Sie wis­sen wol­len, wie glo­ba­le Hedge­fonds in den letz­ten Jah­ren abge­schnit­ten haben, dann schau­en Sie sich bit­te die fol­gen­de Gra­phik an:

Bildschirmfoto 2020 12 13 um 08.34.04

Der HFRX Glo­bal Hedge­fund Index beschreibt die Wert­ent­wick­lung (Per­for­mance) aller regis­trier­ten Hedge­fonds, gewich­tet nach ihrer Grö­ße (gestri­chel­te Linie). Wäh­rend Sie mit Akti­en seit 2015 ein Ver­mö­gen und sogar mit Anlei­hen noch Geld ver­die­nen konn­ten, haben Sie mit Hedge­fonds im Durch­schnitt Geld ver­lo­ren. Das hat vor allem zwei Grün­de: Ers­tens ver­lan­gen die Mana­ger furcht­bar viel Geld, was die Per­for­mance schmä­lert. Zwei­tens aber, und das schrieb ich schon in mei­ner Mail letz­te Woche: Die Mana­ger wissen’s eben auch nicht bes­ser! Hedge­fonds inves­tie­ren nicht nach einem vor­ab fest­ge­leg­ten Plan, son­dern oppor­tu­nis­tisch, mal hier, mal dort: Mal set­zen sie auf einen fal­len­den, mal auf einen stei­gen­den Dol­lar, mal auf stei­gen­de oder fal­len­de Akti­en, Zin­sen, Roh­stof­fe usw. Sie kön­nen z.B. dar­auf wet­ten, dass Daim­ler in den nächs­ten 3 Wochen sich bes­ser ent­wi­ckelt als BMW oder dass fünf­jäh­ri­ge deut­sche Staats­an­lei­hen schlech­ter lau­fen als ita­lie­ni­sche oder oder oder. Erlaubt ist, was gefällt. Und was dabei her­aus­kommt, sehen Sie anhand der Graphik.

Natür­lich gibt es auch in der Hedge­fonds­welt auch sehr erfolg­rei­che Fonds; der Index bil­det ja nur einen Durch­schnitt ab. Wel­che Fonds sind erfolg­reich? Die Ant­wort lau­tet: Nur sehr weni­ge und nur sehr klei­ne Fonds. War­um ist das so? Erfolg­rei­che Hedge­fonds beu­ten in der Regel nur win­zi­ge Markt­ni­schen aus. Sie arbi­tra­gie­ren bei­spiels­wei­se aus­tra­li­sche Wan­del­an­lei­hen gegen Akti­en und Anlei­hen des­sel­ben Emit­ten­ten. Oder sie haben irgend­ei­ne Han­dels­re­gel gefun­den, nach der man in 55% der Fäl­le Erfolg hat, wenn man Drei­mo­nats­kon­trak­te auf Schwei­ne­bäu­che kauft und Sechs­mo­nats­kon­trak­te auf Oran­gen­saft­kon­zen­trat ver­kauft. Sol­che Din­ge. Hier geht es neb­bich um „Markt­ma­ni­pu­la­ti­on”, son­dern um das Aus­nut­zen kleins­ter Marktun­voll­kom­men­hei­ten! Wenn man die Märk­te wirk­lich in gro­ßem Stil mani­pu­lie­ren könn­te, wäre die Per­for­mance dann so schlecht wie es aus der Gra­phik ersicht­lich wird?

Nur klei­ne Hedge­fonds, die in ihrer Nische blei­ben, kön­nen über Jah­re hin­weg wirk­li­che Über­ren­di­ten erzie­len, und das auch nur solan­ge nicht einer ihrer Kon­kur­ren­ten die Nische ent­deckt. Über­schrei­tet der Hedge­fonds eine gewis­se Grö­ße, so macht er sich sei­ne Nische selbst kaputt, weil er mit jedem Kauf sei­nen eige­nen Ein­stand ver­teu­ert und mit jedem Ver­kauf sei­nen Erlös schmä­lert. Das ist die Wir­kung des „mar­ket impact”, eine Art Bade­wan­nen­ef­fekt! Nur solan­ge Hedge­fonds klein blei­ben, kön­nen sie über­haupt erfolg­reich sein, und DAS ist der Grund, wes­halb sie nicht ans brei­te Publi­kum ver­trie­ben wer­den, son­dern nur einem beschränk­ten Anle­ger­kreis ange­bo­ten wer­den. Das hat nichts damit zu tun, dass sie angeb­lich nur für „Super­rei­che” reser­viert seien.[1] Pecu­nia non olet!

Ja, es gibt hoch­spe­zia­li­sier­te, klei­ne Hedge­fonds, die Jahr für Jahr hohe Ren­di­ten erzie­len und nur von einer Hand­voll Inves­to­ren gehal­ten wer­den. Aber: Sie sind eben sehr klein! Mit den begrenz­ten Mit­teln, die sie zur Ver­fü­gung haben, kön­nen sie unmög­lich Ver­wer­fun­gen an den Märk­ten erzeu­gen, Staa­ten oder Unter­neh­men in den Ruin trei­ben usw. Jeder wirk­lich gro­ße Hedge­fonds hin­ge­gen, der sich aus sei­ner Nische her­aus­be­wegt und in die brei­ten Märk­te für Wäh­run­gen, Akti­en und Anlei­hen inves­tiert, wird frü­her oder spä­ter sei­ne Anle­ger ent­täu­schen (vgl. Gra­phik!), weil er auf die­sen Märk­ten eben nur einer unter vie­len ist. Er wird nur dann noch erfolg­reich sein kön­nen, wenn sein Mana­ger mehr weiß als ande­re, und das ist heu­te sehr schwie­rig, aus zwei Grün­den: Ers­tens sorgt das Inter­net dafür, dass Nach­rich­ten sich heu­te sehr schnell ver­brei­ten, jeder Inves­tor kann sich an die Video­kon­fe­ren­zen anschlie­ßen, die die gro­ßen Akti­en­ge­sell­schaf­ten bei der Vor­la­ge ihrer Zah­len ver­an­stal­ten; Infor­ma­ti­ons­vor­sprün­ge, so es sie geben soll­te, wer­den in Win­des­ei­le geschleift. Nach weni­gen Sekun­den wis­sen alle gleich­viel. Zwei­tens ist die Insi­der­ge­setz­ge­bung in den letz­ten 30 Jah­ren mas­siv ver­schärft wor­den. Mana­gern, die Infor­ma­tio­nen vor­ab an ein­zel­ne Anle­ger geben, dro­hen hohe Stra­fen. Nicht jeder lässt sich davon abschre­cken, aber Insi­der­han­del spielt heu­te zwei­fel­los eine viel gerin­ge­re Rol­le als in den acht­zi­ger und neun­zi­ger Jah­ren. Damals galt das im Übri­gen noch als Kavaliersdelikt.

Im Fol­gen­den türmt der Autor so haar­sträu­ben­den Unfug auf, dass man kaum noch hin­ter­her kommt. Zunächst ein­mal: Hedge­fonds betei­li­gen sich nur in sehr weni­gen Fäl­len an der Über­nah­me von Unter­neh­men. Über­nah­men sind das Geschäft von sog. „Pri­va­te Equity”-Fonds (dazu gleich mehr). Hedge­fonds betei­li­gen sich viel­leicht an der Spe­ku­la­ti­on auf eine Über­nah­me, aber sie sind nicht dar­an inter­es­siert, wirk­lich bei einem Unter­neh­men sich ins ope­ra­ti­ve Geschäft ein­zu­mi­schen; ihre Domä­ne ist und bleibt der blo­ße Handel.

Kom­men wir also zu den Pri­va­te Equi­ty-Fir­men. Ihre Bedeu­tung hat in den letz­ten Jah­ren stark zuge­nom­men. Sie kau­fen sowohl bör­sen­no­tier­te Unter­neh­men (und neh­men sie dann von der Bör­se) als auch Unter­neh­men in Pri­vat­be­sitz; meist han­delt es sich dabei um Fir­men, die Restruk­tu­rie­rungs­be­darf haben oder in einer stra­te­gi­schen Sack­gas­se ste­cken, manch­mal aber auch nur um ver­schla­fe­ne klei­ne Fami­li­en­un­ter­neh­men mit Nach­fol­ge­pro­ble­men. Die Prak­ti­ken die­ser Pri­va­te Equi­ty-Fir­men sind in vie­len Fäl­len tat­säch­lich mehr als zwei­fel­haft. So wur­de z.B. die Fir­ma Märk­lin, ein betu­li­cher schwä­bi­scher Her­stel­ler von Modell­ei­sen­bah­nen, von einer bri­ti­schen Pri­va­te Equi­ty-Fir­ma „aus­ge­wei­det”. Es gibt aber auch ande­re Fäl­le, wo Pri­va­te Equi­ty-Fir­men die Unter­neh­men, die sie über­nom­men haben, sehr erfolg­reich revi­ta­li­siert haben, z. B. bei der Opti­ker­ket­te Fiel­mann. Gene­rell über­wie­gen nach mei­ner Beob­ach­tung die zwei­fel­haf­ten Fäl­le; ich per­sön­lich hät­te nichts dage­gen, wenn man die­sen Geschäf­ten einen Rie­gel vor­schiebt. Aber egal wie man das sieht, eines ist ganz gewiss falsch, näm­lich dass, wie unser Autor meint, die Pri­va­te Equi­ty-Fir­men die von ihnen über­nom­men Unter­neh­men zu „ver­nich­ten” trach­ten. Das ist des­we­gen ein Rie­sen­quatsch, weil das Geschäfts­mo­dell von Pri­va­te Equi­ty-Fir­men dar­in besteht, die erwor­be­nen Unter­neh­men nach erfolg­ter Restruk­tu­rie­rung wie­der zu ver­kau­fen! Übli­cher­wei­se set­zen sich Pri­va­te Equi­ty-Inves­to­ren das Ziel, ihre Betei­li­gung nach 3–5 Jah­ren wie­der los­zu­schla­gen, natür­lich zu einem deut­lich höhe­ren Preis. Und das setzt dann dem Aus­wei­den auch gewis­se Gren­zen; die Betei­li­gung wil­lent­lich zu „ver­nich­ten”, wäre völ­lig absurd. Das käme nur dann in Fra­ge, wenn die Betei­li­gung zu einem Preis erwor­ben wor­den wäre, der unter ihrem Sub­stanz­wert liegt, also unter dem Ver­kaufs­wert der Grund­stü­cke, Maschi­nen etc. Es gab mal in den acht­zi­ger Jah­ren einen Typen, der dar­auf kam, dass die Grund­stü­cke einer Regio­nal­bahn irgend­wo im S links und rechts der Glei­se mehr wert waren als das, was das dahin­sie­chen­de Unter­neh­men an der Bör­se wert war. Der hat dann die Akti­en auf­ge­kauft, den Fahr­be­trieb ein­ge­stellt und die Grund­stü­cke ver­wer­tet. Aber glau­ben Sie mir: Das kommt bei zehn­tau­send Über­nah­men viel­leicht ein­mal vor. Denn so blöd ist die Bör­se ja nor­ma­ler­wei­se nicht, dass sie den Sub­stanz­wert eines Unter­neh­mens so krass unter­schätzt. Im Gegen­teil: Die Erwer­ber müs­sen übli­cher­wei­se einen saf­ti­gen Auf­schlag auf den letz­ten Bör­sen­kurs zah­len, wenn sie zum Zug kom­men wol­len, und inzwi­schen machen sie sich bei den Bie­tungs­ver­fah­ren gegen­sei­tig die Prei­se kaputt.

Die wider­sin­ni­ge Idee, dass man Unter­neh­men kau­fe, um sie zu ver­nich­ten, kam unmit­tel­bar nach der Wen­de in der DDR auf. Man glaub­te damals, west­deut­sche Kon­zer­ne hät­ten ihre ost­deut­schen Pen­dants gekauft, um eine läs­ti­ge Kon­kur­renz los­zu­wer­den. Das wur­de zu einem gän­gi­gen Nar­ra­tiv in der ex-DDR. Ich kann Ihnen hoch und hei­lig ver­si­chern und wäre bereit, das zu beei­den, dass mir kein ein­zi­ger sol­cher Fall bekannt ist.[2] Es war viel­mehr so: Die Treu­hand bzw. die west­deut­sche Poli­tik haben damals mas­si­ven Druck auf west­deut­sche Unter­neh­men aus­ge­übt, ihre ost­deut­schen Pen­dants zu über­neh­men. Die Emis­sä­re, die die Wes­sis nach drü­ben geschickt hat­ten, um sich die Unter­neh­men anzu­se­hen, sind damals im Zustand völ­li­ger Ernüch­te­rung zurück­ge­kehrt: Fin­ger weg! Die Pro­duk­ti­ons­an­la­gen die­ser Fir­men waren so ver­al­tet, dass ein Wei­ter­be­trieb öko­no­misch völ­lig unrea­lis­tisch war. Doch unter dem Druck von Poli­tik und Öffent­lich­keit sind die Fir­men ein­ge­knickt, viel­leicht sind man­che auch Opfer ihrer patrio­ti­schen Eupho­rie gewor­den. Wie auch immer: So gut wie jedes west­li­che Unter­neh­men hat­te in den Jah­ren dar­auf gigan­ti­sche Abschrei­bun­gen auf die im Osten erwor­be­nen Fir­men zu verkraften.[3]

Die Idee, eine Fir­ma zu kau­fen, um sie zu ver­nich­ten, ist allein schon des­halb wider­sin­nig, weil im Erfolg der viel grö­ße­re Hebel liegt. Wenn ich ein maro­des oder in Schwie­rig­kei­ten befind­li­ches Unter­neh­men wie­der flott mache, dann kann ich beim Ver­kauf ein Mehr­fa­ches des inves­tier­ten Kapi­tals erzie­len. Der Erfolg ist viel sexier als das Abwra­cken. Das die­ses Kal­kül oft fehl­schlägt, steht auf einem ande­ren Blatt; die Zer­schla­gung ist jeden­falls nicht das ver­folg­te Kalkül!


„Leer­ver­käu­fe”

Zum The­ma „Deri­va­te” hat­te ich Ihnen letz­te Woche schon ein paar Zei­len geschrie­ben (die oben erwähn­te Zuschrift, etwas scrol­len – M.K.); ich über­sprin­ge den so über­schrie­be­nen Abschnitt und kom­me zum Abschnitt „Leer­ver­käu­fe”. Die Tech­nik eines Leer­ver­kaufs, mit dem man à la baisse spe­ku­liert, ist hier kor­rekt beschrie­ben. Doch über­le­gen Sie ein­mal, wie vie­le Inves­to­ren oder mei­net­we­gen Spe­ku­lan­ten in den letz­ten Jah­ren damit erfolg­reich waren. Wir erle­ben seit 1982 einen his­to­ri­schen Akti­en­boom (dazu spä­ter mehr), und die aller­meis­ten, die in die­sem Zeit­raum auf fal­len­de Kur­se spe­ku­lier­ten, haben ein finan­zi­el­les Water­loo erlebt. Nur in ganz kur­zen Markt­pha­sen (1987, 2001, 2008) konn­ten sie mit Bais­se­spe­ku­la­tio­nen Geld ver­die­nen. Die Bais­se­spe­ku­la­tio­nen haben also gegen den all­ge­mei­nen Auf­wärts­trend über­haupt nichts aus­rich­ten kön­nen. Leer­ver­käu­fer kön­nen höchs­tens Nadel­sti­che set­zen, und nur in den sehr weni­gen Fäl­len, wo wirk­lich Feu­er unterm Dach ist, wer­den sie erfolg­reich sein. Ein Bei­spiel bot uns im letz­ten und im lau­fen­den Jahr die Fir­ma Wire­card, der spek­ta­ku­lärs­te Fall von Wirt­schafts­kri­mi­na­li­tät der letz­ten 50 Jah­re. Ein bri­ti­scher Finanz­jour­na­list der Finan­cial Times hat­te im Früh­jahr 2019 erst­mals dar­über berich­tet, dass die Bilan­zen der Fir­ma Rät­sel auf­ga­ben. Dar­auf­hin kam es zu einer Wel­le an Leer­ver­käu­fen in der Aktie; viel­leicht hat­te der Jour­na­list den Hin­weis auch von einem Spe­ku­lan­ten bekom­men. Spä­ter hat sich die deut­sche Finanz­auf­sicht BaFin ein­ge­schal­tet, Leer­ver­käu­fe in der Aktie ver­bo­ten und den Jour­na­lis­ten ange­zeigt. Wo kämen wir da hin, wenn bri­ti­sches („raf­fen­des”) Finanz­ka­pi­tal gesun­des deut­sches „schaf­fen­des Kapi­tal” ver­nich­tet? Nun, das Ende vom Lied ken­nen sie. Ja, die Leer­ver­käu­fer haben in die­sem Fall glän­zend ver­dient, aber sie haben nur den Fin­ger in die Wun­de gelegt. Wären die Vor­wür­fe bloß eine Erfin­dung, die Leer­ver­käu­fe nur ein abge­kar­te­tes Spiel gewe­sen, dann hät­ten sich die Spe­ku­lan­ten ganz von selbst eine blu­ti­ge Nase geholt, weil Inves­to­ren, die von der Zukunft des Unter­neh­mens über­zeugt waren, die Kur­se wie­der nach oben getrie­ben hätten.


„Kre­dit­aus­fall­ver­si­che­run­gen”

Ähn­li­ches gilt auch im Fall von Kre­dit­aus­fall­ver­si­che­run­gen (CDS). Ich schrieb Ihnen ja schon, dass CDS auf Ein­zel­na­men, mit denen man in der Tat auf die Insol­venz ein­zel­ner Unter­neh­men „wet­ten kann”, vom Volu­men her viel klei­ner sind als gemein­hin ange­nom­men. Die­se Märk­te haben eher eine Art Hob­by­cha­rak­ter für Spie­ler­na­tu­ren. Fak­tisch ist es unmög­lich, ein Unter­neh­men, das prin­zi­pi­ell gesund ist, mit­tels CDS in die Insol­venz zu trei­ben. Oder ken­nen Sie einen Fall, auf den das zutrifft? Ich nicht. Es sind Mär­chen, die uns Herr Mül­ler hier auf­tischt. Der Fall des 1998 spek­ta­ku­lär plei­te gegan­ge­nen Hedge­fonds LTCM (Moment mal: Heg­de­fonds sind doch dem Autor zufol­ge Geld­druck­ma­schi­nen – wie kann eine Geld­druck­ma­schi­ne plei­te gehen…?) taugt nicht als Bei­spiel, denn hier han­del­te es sich nicht um ein gewerb­li­ches Unter­neh­men, son­dern um einen hoch­spe­ku­la­ti­ven und hoch ver­schul­de­ten Finanz­markt­ak­teur, mit dem man kein Mit­leid zu haben braucht.

„Die Finanz­kri­se 2008”

Ein Wort noch zum Abschnitt „Die Finanz­kri­se 2008”. Der Fall ist gera­de­zu exem­pla­risch, wenn es dar­um geht, die Rol­le fehl­ge­lei­te­ter Poli­tik zu stu­die­ren. Der Autor schreibt:

„Die Geschäfts­ban­ken nutz­ten die­se bil­li­gen Kre­di­te, um Immo­bi­li­en­fi­nan­zie­run­gen an Kun­den mit schlech­ter Boni­tät zu verkaufen.”

War­um ver­kauft eine Bank einem Kun­den mit schlech­ter Boni­tät einen Immo­bi­li­en­kre­dit? Ist sie von Sin­nen? Nun, den wirk­li­chen Hin­ter­grund der US-Finanz­kri­se 2008 ver­schweigt uns der Autor. Die Initi­al­zün­dung zu die­ser schwe­ren Kri­se gaben die Bemü­hun­gen der Clin­ton-Admi­nis­tra­ti­on (von 1997–2001) „to make homeow­ner­ship more afforda­ble for lower-inco­me Ame­ri­cans and tho­se with a poor cre­dit histo­ry.” Damals wur­de sei­tens der Poli­tik Druck auf die Ban­ken aus­ge­übt, ihre bis­he­ri­ge Kre­dit­ver­ga­be­pra­xis bei Immo­bi­li­en­fi­nan­zie­run­gen zu lockern. Bei­spiels­wei­se hat­ten Ban­ken ein sog. ring­fen­cing betrie­ben, indem sie in bestimm­ten neigh­bor­hoods erst gar kei­ne Anträ­ge auf Immo­bi­li­en­kre­di­te annah­men. Zwei­fel­los eine dis­kri­mi­nie­ren­de Pra­xis, doch eine, die öko­no­misch lei­der begrün­det war, wie sich spä­ter zeig­te. Gut, die Ban­ken began­nen, nun auch Ame­ri­ka­nern mit schlech­tem Fico score (ent­spricht unge­fähr der Boni­täts­aus­kunft der Schufa) Immo­bi­li­en­kre­di­te zu ver­ge­ben. Aber natür­lich woll­ten sie auf die­sen ris­kan­ten Kre­di­ten nicht sit­zen blei­ben! Also ver­such­ten sie, die­se Kre­di­te wei­ter­zu­rei­chen. Übli­cher­wei­se wer­den Immo­bi­li­en­kre­di­te für gute Schuld­ner an die gro­ßen ame­ri­ka­ni­schen (staat­li­chen und halb­staat­li­chen) Immo­bi­li­en­agen­tu­ren wei­ter­ge­reicht, die die­se Kre­di­te bün­deln, ver­brie­fen und als Anlei­hen an Inves­to­ren ver­kau­fen. Die­se ver­brief­ten Immo­bi­li­en­kre­di­te sind eine äußerst soli­de Sache und haben in 100 Jah­ren noch kei­nen Aus­fall gese­hen. Doch wie gesagt, „eli­gi­ble” für die­se staat­lich ver­brief­ten Bonds sind nur Kre­di­te, die an Schuld­ner mit gutem Fico score ver­ge­ben wur­den. Für die neu­en Kre­di­te, die an schlech­te Schuld­ner gin­gen, muss­ten neue Mög­lich­kei­ten her, sie los­zu­wer­den. Das war die Geburts­stun­de des US sub­prime Mark­tes. Hier kam es tat­säch­lich zu betrü­ge­ri­schen Prak­ti­ken, indem man den Inves­to­ren, die die­se Kre­dit­pools kauf­ten, nied­ri­ge Aus­fall­ri­si­ken vor­gau­kel­te, die sich spä­ter als völ­lig unrea­lis­tisch her­aus­stell­ten. Doch muss man auch erwäh­nen, dass die Arran­geu­re die­ser Papie­re über kei­ner­lei empi­ri­sche Daten ver­füg­ten, um die Aus­fall­wahr­schein­lich­kei­ten zu quan­ti­fi­zie­ren, da sie es mit einer Kli­en­tel zu tun hat­ten, die his­to­risch nicht als Schuld­ner auf­ge­tre­ten war; man sto­cher­te ein­fach im Nebel, pro­du­zier­te aber jede Men­ge schein­ge­naue Simu­la­tio­nen und Stress­tests. Kei­ne Fra­ge, dass es hier mas­sen­haft zu unethi­schem Ver­hal­ten gekom­men ist, aber wich­tig ist es auch zu ver­ste­hen, dass eine nai­ve und fehl­ge­lei­te­te links­po­li­ti­sche Inter­ven­ti­on qua­si der Pate die­ser gigan­ti­schen Fehl­ent­wick­lung war. Dies nur als Ergän­zung zu mei­ner Bit­te von letz­ter Woche: Bevor Sie Pri­va­te für wirt­schaft­li­che Desas­ter ver­ant­wort­lich machen, fra­gen Sie bit­te nach dem Ein­fluss der Poli­tik. Mit den „grü­nen Invest­ments” wird es in Deutsch­land genau­so enden. Ich kom­me noch dar­auf zurück.

Der Autor beklagt dann die „Dra­ma­ti­sie­rung der sozia­len Ungleich­heit” in den west­li­chen Län­dern. Die­ser Befund ist für sich genom­men kor­rekt. Denn wäh­rend Bezie­her nied­ri­ger Ein­kom­men und Arbeits­lo­se durch Hartz IV u. dgl. geschröpft wur­den, wäh­rend Gering­qua­li­fi­zier­te sin­ken­de Real­löh­ne durch Zuwan­de­rung aus Ost­eu­ro­pa (und neu­er­dings aus Ara­bi­stan) hin­neh­men muss­ten, pro­fi­tier­ten die­je­ni­gen, die Geld übrig hat­ten und es in Akti­en oder Anlei­hen anleg­ten, von der bei­spiel­lo­sen Finanz­markt­hausse, die bis ins Jahr 1982 zurück­reicht. Doch sind die Finanz­märk­te des­halb schuld an der zuneh­men­den sozia­len Ungleich­heit? In den sieb­zi­ger Jah­ren gab es in West­deutsch­land eine Debat­te um die „Ver­mö­gens­bil­dung in Arbeit­neh­mer­hand”. Es waren die Gewerk­schaf­ten, die alle Plä­ne rigo­ros abschmet­ter­ten, Arbeit­neh­mer über Aktien(fonds) am Pro­duk­tiv­ver­mö­gen der Volks­wirt­schaft zu betei­li­gen. Ganz klar, ein selbst­be­wuss­ter und mate­ri­ell unab­hän­gi­ger Arbeit­neh­mer ist nicht das, was ein Gewerk­schafts­bon­ze erträumt. Ihm ist es lie­ber, wenn sei­ne Bei­trags­scha­fe ihm den Sie­gel­ring dafür küs­sen, dass er zwei­ein­halb Pro­zent mehr Lohn für sie raus­ge­holt hat… Hät­te man damals, so wie in den USA, Akti­en­spar­plä­ne für Arbeit­neh­mer auf­ge­setzt (in den USA hei­ßen sie 401 k plans), so hät­ten wir heu­te eine Arbeit­neh­mer­schaft, die sich wegen der nied­ri­gen staat­li­chen Ren­ten kei­ne Sor­gen machen muss. Ich füge eine Gra­phik über die Ent­wick­lung der Akti­en­kur­se in den letz­ten 50 Jah­ren an: sie ver­an­schau­licht die gigan­ti­sche Oppor­tu­ni­tät, die ein patri­ar­cha­li­sches, ideo­lo­gisch ver­krus­te­tes Gewerk­schafts­sys­tem dem deut­schen Arbeit­neh­mer vor­ent­hal­ten hat. In die­ser Gra­phik sind noch nicht ein­mal die ver­ein­nahm­ten Divi­den­den berück­sich­tigt, son­dern aus­schließ­lich die rei­ne Kursentwicklung.

Bildschirmfoto 2020 12 13 um 08.35.10

Der Boom, wie er hier ver­an­schau­licht wird, ist nicht eine spe­ku­la­ti­ve Erfin­dung. Er wur­de und wird befeu­ert von den seit Anfang der acht­zi­ger Jah­re fast unun­ter­bro­chen fal­len­den Zin­sen. Wenn Sie auf deut­sche Staats­an­lei­hen nicht mehr sechs Pro­zent oder vier oder zwei und nicht ein­mal mehr null Pro­zent Ren­di­te erzie­len kön­nen (aktu­ell: minus 0,58% p.a.), und Sie haben als Ver­sor­gungs­werk, als Pen­si­ons­kas­se, als Lebens­ver­si­che­rung aber eine Leis­tungs­ver­pflich­tung gegen­über den Ver­si­cher­ten von 3,5% – dann müs­sen Sie sich etwas ein­fal­len las­sen. Es ist kei­ne Spe­ku­la­ti­ons­lust, die sich hier nie­der­schlägt, son­dern der simp­le Zwang, in ertrag­rei­che­re, aber eben auch ris­kan­te­re Anla­gen umzu­schich­ten, der hier in den letz­ten Jah­ren die Kur­se treibt. Wie weit und wie lan­ge das noch geht? Kei­ne Ahnung! Doch auch hier müs­sen wir der Tat­sa­che ins Auge sehen, dass die Noten­ban­ken in den letz­ten 30 Jah­ren immer stär­ker von der Poli­tik instru­men­ta­li­siert wor­den sind, um nied­ri­ge­re Zin­sen als All­heil­mit­tel aller Art ein­zu­set­zen. In der EUR-Zone hat die EZB (von der Kohl den Deut­schen ver­sprach, sie wer­de so unab­hän­gig sein wie die Bun­des­bank…) jede Unab­hän­gig­keit ver­lo­ren; sie ist zu einem Instru­ment gewor­den, das vor allem fran­zö­si­schen Inter­es­sen dient, denn wäh­rend die Fran­zo­sen von jeher nur die bes­ten Absol­ven­ten ihrer Eli­te­schu­len in die euro­päi­schen Insti­tu­tio­nen schi­cken, sen­den die Deut­schen am liebs­ten ihre abge­half­ter­ten Poli­tik- und Gewerk­schafts­funk­tio­nä­re dort­hin. Jedem das Seine!

Eine Geld­po­li­tik, die sich an den Inter­es­sen der Bun­des­re­pu­blik aus­rich­tet, gibt es spä­tes­tens seit 2010 nicht mehr; nur die ers­ten 10 Jah­re nach der EUR-Ein­füh­rung hat man noch den Schein gewahrt. Die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, die einst mit der D‑Mark eine Wäh­rung hat­te, um die sie die Welt benei­det hat, ist heu­te Teil eines Wäh­rungs­sys­tems, in des­sen Zen­tral­bank­rat sie genau eine Stim­me hat, genau so vie­le wie Zypern, Mal­ta oder Luxem­burg. Wenn Sie dar­in einen „Abgrund an Lan­des­ver­rat” (Kon­rad Ade­nau­er) erbli­cken wol­len, dann wür­de ich Ihnen nicht widersprechen.

„Situa­ti­on heu­te: Pump up the Volume”

Dass die­ses Sys­tem mit sei­ner hem­mungs­lo­sen Geld­ver­meh­rung an die Wand fah­ren wird, dar­in ist dem Autor nicht zu wider­spre­chen, doch nie­mand kann sagen, wann das sein wird. Die intel­li­gen­ten sowje­ti­schen Pla­ner haben schon in den drei­ßi­ger Jah­ren erkannt, dass die Plan­wirt­schaft nicht über­le­bens­fä­hig war, aber es hat noch mal fünf­zig Jah­re gedau­ert, bis das Sys­tem kol­la­biert ist. Also Vor­sicht mit Pro­gno­sen. Kei­ne Pro­gno­se aber ist es, dass wir auf gera­dem Weg zur Abschaf­fung des Bar­gelds sind. Auch dar­in hat der Autor Recht, aber das pfei­fen längst die Spat­zen von den Dächern. Der Ent­eig­nung von Spa­rern durch Nega­tiv­zin­sen sind dann kei­ne Gren­zen mehr gesetzt. Aber ist das, wie der Autor schreibt, ein „Krieg des Groß­ka­pi­tals gegen die Demo­kra­tie”? Das ist absurd. Der Euro ist das Pro­dukt eines Pri­mats der Poli­tik über die Öko­no­mie und nicht umge­kehrt. Vor­rän­ge die­ser Art las­sen sich aber immer nur eine Zeit lang durch­set­zen; lang­fris­tig behält die Öko­no­mie die Ober­hand. Die Bri­ten waren klug genug, das zu erken­nen; sie haben sich erst aus dem Euro raus­ge­hal­ten und dann auch der EU den Lauf­pass gegeben.

Ein Blick nach vorn

Damit bin ich, ver­ehr­ter Herr Klo­novs­ky, am Ende mei­nes klei­nen Trak­tats ange­kom­men. Ich schen­ke mir den Rest des Arti­kels, der in einer Art geis­ti­gem Amok­lauf alle Übel der letz­ten 20 Jah­re den Kapi­tal­märk­ten anlas­ten will, dabei aber über­sieht, dass alle wesent­li­chen Wei­chen­stel­lun­gen, die uns in die heu­ti­ge Malai­se geführt haben, von der Poli­tik kamen. Kapi­tal­märk­te sind höchst unvoll­kom­men, sie fol­gen oft Irr­we­gen; auch die Evo­lu­ti­on ist, wie wir wis­sen, nicht frei von Über­spe­zia­li­sie­run­gen und Sack­gas­sen aller Art. Doch haben Märk­te einen rie­si­gen Vor­teil: Sie sind ein per­ma­nen­ter Abstim­mungs­me­cha­nis­mus, der die Fähig­keit zu einer sehr raschen Auto­kor­rek­tur besitzt, da er kei­ner­lei Len­kung durch Büro­kra­tien, Geset­ze, Par­tei­ta­ge usw. unter­liegt. Die „Über­zeu­gun­gen”, die an der Bör­se gehan­delt wer­den, kom­men jeden Tag auf den Prüf­stand und müs­sen sich in einem frei­en Abstim­mungs­ver­fah­ren aus Ange­bot und Nach­fra­ge immer neu bewäh­ren, anders als die hoh­len Phra­sen und Direk­ti­ven welt­frem­der rot­grü­ner Spin­ner, die von will­fäh­ri­gen Medi­en­ap­pa­ra­ten in die Öffent­lich­keit ven­ti­liert wer­den. Ich bin in mei­ner Jugend der „alten Lin­ken” durch­aus zuge­neigt gewe­sen, bis zu dem Tag, an dem mir klar wur­de, dass nur Märk­te die unfass­bar gro­ßen Daten­men­gen ver­ar­bei­ten kön­nen, die dem Wirt­schafts­pro­zess zugrun­de lie­gen. Mich hat damals ins­be­son­de­re eine Schrift des US-Poli­tik- und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lers Charles E. Lind­blom (Poli­tics and Mar­kets, 1977; deutsch „Jen­seits von Markt und Staat”) sehr beein­flusst. Plan­wirt­schaf­ten schei­tern an ihrer man­geln­den Fähig­keit, rele­van­te Daten sys­te­ma­tisch zu ver­ar­bei­ten (des­halb waren IBM-Hoch­leis­tungs­rech­ner die letz­te Hoff­nung der sowje­ti­schen Pla­ner gewe­sen). Kapi­tal­märk­te sor­gen für die effi­zi­en­te Allo­ka­ti­on von Kapi­tal, eine Auf­ga­be, an der sowohl staat­li­che Pla­ner als auch Ban­ken nur schei­tern kön­nen. Kapi­tal­märk­te tra­gen damit erheb­lich zum öffent­li­chen Wohl­stand bei: Der empi­ri­sche Zusam­men­hang zwi­schen dem BSP pro Kopf und dem Orga­ni­sa­ti­ons­grad bzw. der Tie­fe von Kapi­tal­märk­ten ist evident.

Jeder poli­ti­sche Pri­mat über grund­le­gen­de öko­no­mi­sche Pro­zes­se führt in eine Ver­schwen­dung von Res­sour­cen, und der dadurch her­vor­ge­ru­fe­ne Res­sour­cen­man­gel bringt am Ende das Sys­tem zum Kip­pen. Gegen­wär­tig berei­ten die Grü­nen über die EU-Kom­mis­si­on eine sog. „Taxo­no­mie” vor, die schluss­end­lich dazu füh­ren wird, dass nur noch Unter­neh­men Kre­di­te bekom­men, die grü­nen Kri­te­ri­en und Visio­nen ent­spre­chen. Es ist klar, wohin die­se neue, dies­mal grün ange­stri­che­ne Plan­wirt­schaft füh­ren wird: Hier berei­tet sich der öko­no­mi­sche Ver­fall Euro­pas vor, der dra­ma­ti­sche Aus­ma­ße anneh­men wird.

Erlau­ben Sie mir ein letz­tes Wort. Mein klei­nes Trak­tat galt nicht dem Ziel, Recht zu behal­ten oder mit Ihnen eine aka­de­mi­sche Dis­kus­si­on zu füh­ren. Dafür wäre mei­ne, vor allem aber Ihre Zeit zu scha­de. Ich wer­be mit die­sen Zei­len um Ihre Ori­en­tie­rung auf dem Feld der Wirt­schaft wie wei­land Settem­b­ri­ni und Naph­ta um die See­le des Hans Cas­torp. Wenn wir heu­te über die Fra­ge spre­chen, wie die ein­zi­ge Oppo­si­ti­ons­par­tei in Deutsch­land sich in der Wirt­schafts­po­li­tik posi­tio­nie­ren soll, dann liegt natür­lich die Ver­su­chung nah, Oppo­si­ti­on so zu betrei­ben, dass man mehr ver­spricht als das Par­tei­en­kar­tell. Also dass man in den Wett­be­werb um die maxi­ma­le Umver­tei­lung ein­steigt und den Rent­nern, den Hartz IV-Emp­fän­gern, dem aus­blu­ten­den Mit­tel­stand usw. ein­fach mehr von allem ver­spricht: Mehr Ren­te, mehr Hartz IV, mehr Hil­fen und Sub­ven­tio­nen. In den ost­deut­schen Par­tei­glie­de­run­gen ist die­ser Ansatz popu­lär, kei­ne Fra­ge. Er beruht aber auf dem Trug­schluss, am Ende der Ära Mer­kel gäbe es noch umver­teil­ba­re Mas­se. Wer so denkt, hat die kal­te Per­fi­die der Ange­la Mer­kel nicht ver­stan­den. Die Hin­ter­las­sen­schaft von Frau Mer­kel wird die ver­brann­te Erde sein. Öko­no­misch (über ande­re Fel­der reden wir hier gar nicht) heisst das: Pre­kä­re Staats­fi­nan­zen, ver­trags­wid­ri­ge Schul­den­uni­on in der EU, dra­ma­tisch geschwäch­ter Ener­gie­sek­tor, kri­mi­nell unter­fi­nan­zier­tes Gesund­heits­sys­tem, rui­nier­te Infra­struk­tur, abge­wrack­tes Bil­dungs­sys­tem, mas­si­ver Rück­stand bei neu­en Tech­no­lo­gien, gigan­ti­sche Unter­de­ckung von Beam­ten­pen­si­ons­las­ten. Wo soll hier Raum für sozia­le Wohl­ta­ten sein? Wer hier etwas ver­spricht, macht sich zum Lügner.

Es kann auch nicht dar­um gehen, irgend­wel­che Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge zu machen, sich zur Hilfs­trup­pe für Teil­re­pa­ra­tu­ren zu machen oder sich als das freund­li­che Gesicht der Par­tei­en­land­schaft ins Licht zu rücken. So erfreu­lich es ist, dass in Sach­sen-Anhalt die CDU in der Fra­ge des GEZ-Bei­trags zum ers­ten Mal Posi­tio­nen der AfD über­neh­men muss­te: Auf kei­nen Fall darf sich die AfD als die Par­tei andie­nen, die es der Mer­kel-CDU ermög­licht, sich vor dem fäl­li­gen Offen­ba­rungs­eid zu drü­cken. Öster­reich hat gezeigt, wie gefähr­lich es ist, vor­zei­tig eine Regie­rungs­be­tei­li­gung anzu­stre­ben. Erst eine in ihren Grund­fes­ten erschüt­ter­te und von allem rot­grü­nen Spö­kes berei­nig­te CDU könn­te (wenn über­haupt) ein­mal ein Koali­ti­ons­part­ner für die AfD sein. Doch so weit ist es noch lan­ge nicht, denn die­se CDU muss zu einem Offen­ba­rungs­eid gezwun­gen wer­den, zu einem scho­nungs­lo­sen Kas­sen­sturz. Erst wenn der auf dem Tisch liegt und die Ver­ant­wor­tung dafür unge­teilt und unzwei­deu­tig klar­ge­wor­den ist (also qua­si wenn Mer­kel in Chi­le weilt…), kann, auf Grund­la­ge einer tie­fen poli­ti­schen Kathar­sis, ein Neu­an­fang in Aus­sicht genom­men wer­den; ein Neu­an­fang, an des­sen Beginn eine Blut, Schweiß und Trä­nen-Rede ste­hen muss und nicht eine Samm­lung bun­ter Blüm­chen aus dem Poesiealbum.

Doch auch die AfD wird um schmerz­li­che Klä­rungs­pro­zes­se nicht umhin kom­men, wenn sie eines Tages in Deutsch­land mit­ge­stal­ten will. Denn Glie­de­run­gen wie der „Flü­gel” sind nicht nur poli­tisch inop­por­tun wegen ihrer Deutsch­tü­me­lei, ihrer Über­hö­hung von deut­schem Wein, Weib und Gesang, über die – lei­der – die Zeit hin­weg­ge­gan­gen ist; son­dern eben auch auf­grund der Illu­sio­nen auf wirt­schaft­li­chen und sozi­al­po­li­ti­schem Gebiet, die sie nährt. D.h. nicht nur die CDU, auch die AfD ist in ihrer heu­ti­gen Form nicht koali­ti­ons­fä­hig. Hier ste­hen noch har­te Kämp­fe und bit­te­re Abschie­de ins Haus.

Es grüßt Sie herzlich

***

 

[1] „Ein Hedge­fonds… bedient aus­schließ­lich super­rei­che Kund­schaft. Unter 10 Mil­lio­nen geht nichts.“ Das ist drol­lig. Mit 10 Mio. ist man sicher­lich reich, aber für die Super­rei­chen müs­sen Sie schon noch ein paar Nul­len dran­hän­gen. Im Übri­gen stimmt es auch nicht: Die Mas­se der Hedge­fonds kann jeder kau­fen. Nur die­je­ni­gen, die schon ihr markt­be­ding­tes Grö­ßen­li­mit erreicht haben, sind im Ver­trieb eingeschränkt! [2] Etwas ande­res war es bei Immo­bi­li­en. Dort haben sich vie­le west­deut­sche Haie sattgefressen. [3] Ich erin­ne­re mich an einen tüch­ti­gen Inge­nieur bei der Fir­ma Takraf, in des­sen Pri­vat­un­ter­kunft ich bei einer Rei­se durch Sach­sen im Früh­jahr 1990 über­nach­te­te; die weni­gen Hotels waren mit west­deut­schen Glücks­rit­tern über­füllt. Er konn­te nicht ver­ste­hen, war­um die Fir­ma Man­nes­mann sich zier­te, Takraf zu über­neh­men, obwohl deren Auf­trags­bü­cher voll waren und die Fir­ma ihre Anla­gen in die gan­ze Welt lie­fer­te. Wie­ge­sagt, der Mann war Inge­nieur. Was er nicht sah, war, dass die­se Auf­trä­ge, zu Welt­markt­prei­sen in kon­ver­ti­bler Wäh­rung bewer­tet und abge­rech­net, durch­weg hoch defi­zi­tär waren. Das glei­che galt für auch für ande­re DDR-Vor­zei­ge­bran­chen wie bspw. den Schiffsbau.
Vorheriger Beitrag

"Ich komme aus der DDR, ich komme aus der Zukunft!" Mainz, November 2019

Nächster Beitrag

Prognosen über Chinas Zukunft

Ebenfalls lesenswert

Dem Wein wird’s warm

Der Kli­ma­wan­del beschert deut­schen Win­zern zwar mehr Arbeit, aber auch beein­dru­cken­de Resul­ta­te im Glas. Eine tra­di­ti­ons­rei­che fran­zö­si­sche Reb­sor­te…

Unsterbliches Modell

Die „tra­di­tio­nel­le” Fami­lie ist qua­si der natür­li­che Feind des Zeit­geis­tes. Aber kei­ne der angeb­li­chen Alter­na­ti­ven kann tat­säch­lich mit…