Der Kolonialismus war besser als sein Ruf

Es folgt der Text mei­nes drit­ten Pod­casts vom 5. Juli (zu sehen ist er nach wie vor hier; es gibt eine klei­ne Ton­stö­rung zu Beginn, ab 3:40 funk­tio­niert alles).

Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgend­ei­ne Art nüt­ze, sprach Gai­us Pli­ni­us Secun­dus Mai­or, auch Pli­ni­us d. Ä. genannt, zu sei­nem Nef­fen und Adop­tiv­sohn, dem jün­ge­ren Pli­ni­us. Ob der römi­sche Gelehr­te und Aris­to­krat sei­ne Bemer­kung nach dem Besuch einer moder­nen Buch­hand­lung wie­der­ho­len wür­de? Die Gna­de der frü­hen Geburt erspar­te ihm jene Pro­be aufs Exem­pel. Wenn sein Aus­spruch noch irgend­ei­ne Gül­tig­keit bean­spru­chen darf, dann wohl in dem Sin­ne, dass es heu­te mas­sen­wei­se Bücher gibt, aus denen sich zwar inhalt­lich nicht das Gerings­te ler­nen lässt, die aber immer­hin als Sym­pto­me einer zeit­geist­ge­stütz­ten infe­rio­ren Dreis­tig­keit eini­ges über den Zustand der Gesell­schaft erzählen.

Ein sol­ches Buch fiel mir die­ser Tage in die Hän­de: „Ras­sis­ti­sches Erbe: Wie wir mit der kolo­nia­len Ver­gan­gen­heit unse­rer Spra­che umge­hen”. Die Autorin heißt Sus­an Arndt, aber das ist ganz egal, denn wie dem Titel zu ent­neh­men ist, spricht dort kein Autoren-Ich, son­dern ein wokes Wir, das alle ras­sis­ti­schen Erben des Kolo­nia­lis­mus in Sip­pen­haft neh­men will, um ihnen zu dik­tie­ren, wel­che Wor­te als unrein zu gel­ten haben.

Sol­che Wor­te wer­den sicher­heits­hal­ber markiert.

Das sieht dann so aus:

„Ori­ent” und „Okzi­dent”, „Mor­gen­land” und „Abend­land” sol­len ver­schwin­den, weil, wie uns die seman­ti­sche Rei­ni­gungs­kraft belehrt, „Him­mels­rich­tun­gen ange­sichts der Erd­ro­ta­ti­on rela­tio­nal“ sind. Sind nicht alle Län­gen­gra­de gleich und wir auf jedem zuhau­se? Fer­ner möch­te sie u.a. fol­gen­de Begrif­fe aus dem Sprach­ge­brauch til­gen: aso­zi­al, Bas­tard, Busch­mann (bei Mar­co Busch­mann wäre ich d’ac­cord), Dschun­gel, dun­kel­häu­tig, Ein­ge­bo­re­ne, ent­de­cken, Ent­wick­lungs­hil­fe – die pro­pe­re Maid hält Ent­wick­lung näm­lich für ein wei­ßen­ge­mach­tes „Kon­zept”, etwa wenn das Kon­zept Artil­le­rie dem Kon­zept Speer gegen­über­tritt –, fer­ner: Eth­nie, Far­bi­ge, Fetisch, Flücht­ling, Get­to, Häupt­ling, Haut­far­be, Hei­de, Latein­ame­ri­ka, aber auch Ame­ri­ka, Moham­me­da­ner, Mohr, Mulat­te, Natur­volk (was ist mit „Kul­tur­volk”? – nein, „Volk” soll über­haupt als Begriff abge­schafft wer­den), Natur­re­li­gi­on, Neue Welt (da muss der Dvořák sei­ne Sin­fo­nie umbe­nen­nen), Ras­se, Schwarz­afri­ka, Stamm, Tro­pen, Tro­pen­me­di­zin, Wil­de. Und selbst­ver­ständ­lich ultraschlim­me Wor­te wie Neger, Eski­mo, India­ner und Zigeuner.

Das Sche­ma wird rasch offen­bar: Begrif­fe, die kol­lek­ti­ve Unter­schie­de bzw. Viel­falt beschrei­ben, pas­sen der Gevat­te­rin nicht.

„Kon­struk­tio­nen von Ras­sen erfan­den Haut­far­ben”, schreibt sie bei­spiels­wei­se auf Sei­te 37 – für eine sol­che Seman­tik muss man wohl tat­säch­lich kon­stru­iert oder eben als Pro­fes­so­rin für afri­ka­ni­sche Lite­ra­tur an einer bun­des­deut­schen Uni­ver­si­tät ange­stellt sein. Neben­bei: Ich fra­ge mich immer, nach wel­chen Merk­ma­len unse­re Woken, wenn sie Men­schen mit Ras­sis­mus­er­fah­rung suchen, eigent­lich bei die­ser Suche vor­ge­hen. Ein paar Sei­ten vor­her las man: „Alle Wei­ßen haben über Jahr­hun­der­te hin­weg vom Kolo­nia­lis­mus pro­fi­tiert“ – also auch die Bett­ler, die Berg­leu­te, die Tage­löh­ner, die Latri­nen­rei­ni­ger –, und auf Sei­te 55 ent­deckt unse­re post­ko­lo­nia­le Kolo­nia­lis­mus­pro­fi­teu­rin bei vie­len Wei­ßen „eine gehö­ri­ge Por­ti­on Wei­ge­rung, sich selbst als weiß und als ver­ant­wort­lich für Ras­sis­mus zu begrei­fen“ – sie selbst und ihre Cote­rie natür­lich aus­ge­nom­men. Die­se über­wie­gend von wei­ßen Steu­er­zah­lern ali­men­tier­te Wei­ße behaup­tet also, dass Ras­sen kon­stru­iert und Haut­far­ben eine Erfin­dung, aber zugleich alle Men­schen wei­ßer Haut­far­be bzw. Ras­se für das Elend aller Schwar­zen ver­ant­wort­lich sei­en. Es han­delt sich um ein durch die der­zeit ange­sag­tes­te Gesin­nung har­mo­ni­sier­tes Spaltungsirresein.

Das Buch ist eine jener anti­ras­sis­ti­schen Weg­werf-Jere­mia­den, die der­zeit auf den Grab­bel­ti­schen der Buch­hand­lun­gen ande­re lin­ke, mise­ra­bi­lis­ti­sche Trend­the­men ver­drängt haben und bei denen es sich in Wirk­lich­keit um lupen­rei­nen anti­wei­ßen Ras­sis­mus han­delt. Aber war­um spre­che ich hier über sol­chen woken Tin­n­eff? Nun, wie gesagt: Es han­delt sich um ein Sym­ptom, was an trend­kon­for­mer Dumm­dreis­tig­keit der­zeit mög­lich ist. Außer­dem ist die­ser als Sprach­kri­tik mas­kier­te Agit­prop nicht in irgend­ei­ner lin­ken Ver­lags­klit­sche erschie­nen, son­dern bei den Sprach­pfle­gern des Duden-Ver­lags. Als Ein­stieg in mein heu­ti­ges The­ma taugt das Bänd­chen über­dies, weil die vom Duden tole­rier­te Ein­sei­tig­keit und schie­re Geschichts­fäl­schung inzwi­schen, wie ich befürch­te, dafür steht, was eine Mehr­heit über Ras­sis­mus, Skla­ve­rei und Kolo­nia­lis­mus zu wis­sen meint.

Aus dem Focus erfährt man über die aus­ge­wie­se­ne Geschichts­ken­ne­rin Arndt: „Die Lite­ra­tur- und Kul­tur­wis­sen­schaft­le­rin sieht die Wur­zeln von Ras­sis­mus im Jah­re 1492 ange­legt, als Köni­gin Isa­bel­la I. von Kas­ti­li­en und ihr Mann Fer­di­nand V. das König­reich Gra­na­da in Süd­spa­ni­en erober­ten, die letz­te Bas­ti­on der mus­li­mi­schen Mau­ren in Spa­ni­en. ‚Nach die­ser Erobe­rung begann Köni­gin Isa­bel­la von Kas­ti­li­en Juden und Mus­li­me aus­zu­wei­sen, ihren Besitz zu kon­fis­zie­ren und Son­der­steu­ern zu erhe­ben, unter der Prä­mis­se, dass das Chris­ten­tum den ande­ren Reli­gio­nen grund­sätz­lich über­ge­ord­net sei‘, so Arndt. Das Geld die­ser Erobe­rungs­zü­ge wur­de benutzt, um Chris­toph Kolum­bus’ Expe­di­ti­on nach Indi­en zu finanzieren.”

Hal­ten wir fest: Die tiefs­ten Wur­zeln von Ras­sis­mus rei­chen bis ins Jahr 1492 und auf die ibe­ri­sche Halb­in­sel zurück – vor­her und andern­orts gab es kei­nen Ras­sis­mus. Und die Ver­drän­gung der Mau­ren aus Spa­ni­en durch die Spa­ni­er war ein ‚Erobe­rungs­zug’. Mit sol­chen Behaup­tun­gen gilt man heu­te in der deut­schen Pres­se als Exper­te. Die Fra­ge, wie und war­um die Mos­lems über­haupt nach Spa­ni­en kamen und was ihre Herr­schaft für die Ein­hei­mi­schen bedeu­te­te, stellt unse­re Frei­zeit-His­to­ri­ke­rin natur­ge­mäß nicht.

Im Buch wider­spricht sie sich auch in die­sem Punkt wie­der selbst, denn an ande­rer Stel­le fin­det sie Ras­sis­mus bereits bei den anti­ken Grie­chen, unter ande­rem weil das grie­chi­sche Wort Aithio­pia „Brand­ge­sich­tig­keit“ bedeu­tet – Äthio­pi­er sind „Brand­ge­sich­ter“ –, wes­halb unse­re Sprach­putz­frau auch die­sen Begriff auf den Index set­zen will. 115 Mil­lio­nen fröh­li­che Äthio­pi­er sind jetzt schon ganz außer Rand und Band über ihre anste­hen­de Umbenennung.

Nach­dem der Leser erfah­ren hat, dass der Ras­sis­mus in der Recon­quis­ta wur­zelt, aber irgend­wie zugleich auch in der Anti­ke, jeden­falls von den Wei­ßen erfun­den wur­de, erfährt er als nächs­tes Auf­klä­rung über die Wur­zeln des Kolo­nia­lis­mus, näm­lich: „Als Vor­läu­fer des neu­zeit­li­chen euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus gel­ten die mit­tel­al­ter­li­chen Kreuz­zü­ge. Feder­füh­rend war das Ziel, die Herr­schaft des Chris­ten­tums aus­zu­wei­ten. Umge­kehrt wur­de die Behaup­tung, dass das Chris­ten­tum die ein­zig wah­re Reli­gi­on sei, als ideo­lo­gi­sches Man­tra zelebriert.“

Feder­füh­rend für die Kreuz­zü­ge war das Ziel: Man darf, wie Karl Kraus fest­hielt, nicht nur kei­ne eige­nen Gedan­ken haben, man muss auch unfä­hig sein, sie auszudrücken.

Die Kreuz­zü­ge haben mit dem Kolo­nia­lis­mus frei­lich nicht das Gerings­te zu tun. Die Autorin will aber unbe­dingt Euro­pä­er dafür ver­ant­wort­lich machen, dass die­ser theo­re­tisch so fried­li­che und kusche­li­ge Pla­net von Skla­ve­rei, Ras­sis­mus und Kolo­nia­lis­mus heim­ge­sucht wur­de – und wird! –, wes­halb sie nach­träg­lich will­kür­li­che Start­ter­mi­ne die­ser wei­ßen­ge­mach­ten Pla­gen fest­legt. Vom inner­schwar­zen Ras­sis­mus hat sie kei­ne Ahnung, oder sie fin­giert es zumin­dest trend­kon­form. Folg­te sie der Chro­no­lo­gie der Ereig­nis­se, hät­te sie bei­spiels­wei­se auch schrei­ben können:

„Als Vor­läu­fer des neu­zeit­li­chen mus­li­mi­schen Skla­ven­han­dels gilt die isla­mi­sche Expan­si­on im 7. und 8. Jahr­hun­dert. Feder­füh­rend war das Ziel, die Herr­schaft des Islam aus­zu­wei­ten. Umge­kehrt wur­de die Behaup­tung, dass der Islam die ein­zig wah­re Reli­gi­on sei, als ideo­lo­gi­sches Man­tra zelebriert.”

Damit hät­te sie in einem Auf­wasch gleich die Ursa­che der Kreuz­zü­ge und der Recon­quis­ta behan­delt. Sie waren ein­mal jedem Pen­nä­ler geläu­fig. Zunächst der Ein­fall der Ara­ber in Spa­ni­en im 8. Jahr­hun­dert, die Spur der Ver­wüs­tung, die bei­spiels­wei­se der Wesir des Kali­fats von Cór­do­ba, al Mans­ur, Ende des 10./Anfang des 11. Jahr­hun­derts durch Nord­spa­ni­en zog – Zamo­ra wur­de anno 981 erobert, Coim­bra 987, Bar­ce­lo­na 985 und 1008, Sant­ia­go de Com­pos­te­la 997. Dann über­rann­ten die mus­li­mi­schen Sel­dschu­ken das byzan­ti­ni­sche Klein­asi­en, brann­ten christ­li­che Städ­te nie­der und lei­te­ten die tür­ki­sche Besied­lung Ana­to­li­ens ein. Zur sel­ben Zeit fie­len Tau­sen­de christ­li­che Jeru­sa­lem-Pil­ger Über­fäl­len zum Opfer; so wur­de ein reich bela­de­ner Zug deut­scher und nie­der­län­di­scher Pil­ger unter Füh­rung des Bischofs von Bam­berg 1064 unmit­tel­bar vor den Toren der Hei­li­gen Stadt von Ara­bern geplün­dert, 5000 Pil­ger kamen dabei ums Leben. Papst Urban II. rief 1095 die Chris­ten­heit dazu auf, „unse­ren Brü­dern im Ori­ent” zu Hil­fe zu eilen. „Die Tür­ken und die Ara­ber haben sie ange­grif­fen”, stell­te der Papst kor­rekt fest. „Wenn ihr ihnen jetzt kei­nen Wider­stand ent­ge­gen­setzt, so wer­den die treu­en Die­ner Got­tes im Ori­ent ihrem Ansturm nicht län­ger gewach­sen sein.” So kam es zum ers­ten Kreuz­zug. Die Züge ins hei­li­ge Land gli­chen dem, was bei der Bun­des­wehr, sie ruhe in Frie­den, „stra­te­gi­sche Vorn­ever­tei­di­gung” genannt wurde.

Dass sowohl in den Kreuz­zü­gen als auch bei der Rück­erobe­rung Spa­ni­ens und spä­ter wäh­rend der Erobe­rung bei­der Ame­ri­ka und im trans­at­lan­ti­schen Skla­ven­han­del mons­trö­se Bru­ta­li­tä­ten ver­übt wur­den, bestrei­tet nie­mand. Es ist nur kein Spe­zi­fi­kum der Wei­ßen. Auch die ande­ren Eth­ni­en häuf­ten unge­heu­re Blut­ta­ten auf ihr Schuld­kon­to. Die Assy­rer etwa waren ein unsag­bar grau­sa­mes Volk. Die nord­ame­ri­ka­ni­schen India­ner­stäm­me mas­sa­krier­ten sich lust­voll gegen­sei­tig. Nie­mals wur­den mehr Men­schen umge­bracht als unter Mao Chi­ne­sen von Chi­ne­sen. Was ist die Welt­ge­schich­te ande­res als eine depri­mie­ren­de Serie von Mord, Krieg, Mas­sa­ker, Ver­fol­gung und Aus­mer­zung? Als 1648 der West­fä­li­sche Frie­de geschlos­sen wur­de, lagen die deut­schen Lan­de in Trüm­mern und jeder drit­te Ein­woh­ner war der Sol­da­tes­ka oder dem Hun­ger zum Opfer gefal­len. Zuvor hat­ten die Spa­ni­er in einer Blut­or­gie Süd­ame­ri­ka erobert, wobei die meis­ten Indi­os wohl durch ein­ge­schlepp­te Krank­hei­ten umka­men und spe­zi­ell die Azte­ken in der Dis­zi­plin des öffent­lich zele­brier­ten Mas­sen­mords in der Cham­pi­ons League mit­spiel­ten. Davor wie­der­um hat­ten die Mon­go­len die sla­wi­sche und die mus­li­mi­sche Welt ver­wüs­tet und die Bevöl­ke­rung gan­zer Städ­te aus­ge­rot­tet; Mus­li­me ihrer­seits fie­len spä­ter mor­dend in Nord­in­di­en ein und und und.

Die Mus­li­me kom­men in Arndts Buch übri­gens aus­schließ­lich als Opfer des wei­ßen Ras­sis­mus vor. Dass die isla­mi­sche Welt das größ­te und lang­le­bigs­te skla­vis­ti­sche Impe­ri­um aller Zei­ten war, wie der His­to­ri­ker Egon Flaig in sei­ner „Welt­ge­schich­te der Skla­ve­rei“ kon­sta­tiert, davon erfah­ren wir in die­ser Ankla­ge­schrift gegen die Wei­ßen mit kei­ner Sil­be. In sei­ner „Geschich­te Afri­kas im 19. und 20. Jahr­hun­dert” schreibt Leon­hard Har­ding, Afri­ka-Ken­ner und lang­jäh­ri­ger Pro­fes­sor für afri­ka­ni­sche Geschich­te an der Uni­ver­si­tät Ham­burg, die For­schung sei sich „mehr oder weni­ger einig”, dass durch den Skla­ven­han­del „etwa 29 Mil­lio­nen Men­schen” aus Afri­ka ver­schleppt wur­den, und zwar:

„– zwölf Mil­lio­nen im Trans­at­lan­ti­schen Sklavenhandel
– neun Mil­lio­nen im Transsahara-Sklavenhandel
– acht Mil­lio­nen über die Swa­hi­li-Küs­te und das Rote Meer.”

Der trans­sa­ha­ri­sche und der ost­afri­ka­ni­sche Han­del mit Men­schen lag in mus­li­mi­scher Hand.

Ich will ein paar geschicht­li­che Tat­sa­chen in Erin­ne­rung rufen, die heu­te, in Zei­ten von anti­ko­lo­nia­lis­ti­scher „Fake Histo­ry” und eines bestür­zen­den his­to­ri­schen Unwis­sens, ja Nicht­wis­sen­wol­lens aus­wen­dig gelernt und der auto­ag­gres­siv mani­pu­lier­ten Öffent­lich­keit bei jeder sich bie­ten­den Gele­gen­heit vor­ge­tra­gen wer­den sollten.

Ers­tens. Skla­ve­rei exis­tiert seit 5000 oder mehr Jah­ren. Aus­nahms­los jede Hoch­kul­tur hat sie prak­ti­ziert. Sie ist kei­ne Erfin­dung der Euro­pä­er. Nicht nur Athen und Rom, auch Chi­na, Indi­en, Meso­po­ta­mi­en, Ägyp­ten, die Inkas und die Mayas ver­sklav­ten Men­schen und lie­ßen sie für sich arbei­ten. Auch „For­men der inner­afri­ka­ni­schen Skla­ve­rei gab es seit undenk­li­chen Zei­ten“ (Har­ding, Geschich­te Afri­kas, S. 185).

Zwei­tens. Die Ver­skla­vung von Mil­lio­nen Schwarz­afri­ka­nern wäre ohne die Mit­wir­kung inner­afri­ka­ni­scher Kom­bat­tan­ten gar nicht mög­lich gewe­sen. Schwar­ze Skla­ven­jä­ger über­nah­men das Ein­fan­gen der Unglück­li­chen und ihren Trans­port an die Küs­te. Die­se Men­schen­jag­den voll­zo­gen sich ent­lang eth­ni­scher Bruch­li­ni­en; krie­ge­ri­sche Eth­ni­en ver­sklav­ten weni­ger wehr­haf­te. Zu allen Zei­ten pro­fi­tier­ten Afri­ka­ner von der Ver­skla­vung ande­rer Afri­ka­ner, wie auch das sich-gegen­sei­tig-Mas­sa­krie­ren zur Geschich­te der Völ­ker des schwar­zen Kon­ti­nents gehört. Das Mut­ter­land der iden­ti­ty poli­tics ist Ruanda.

Drit­tens – ich habe es schon erwähnt – waren es in der Mehr­heit mus­li­mi­sche Skla­ven­händ­ler, die die „leben­de Ware“ übers Meer verschifften.

Vier­tens – dar­über ver­liert unse­re Geschichts­kos­me­ti­ke­rin eben­falls kein Wort – wur­den auch Mil­lio­nen Wei­ße ver­sklavt, vor allem von mus­li­mi­schen Men­schen­jä­gern und Erobe­rern. Das zer­split­ter­te früh­mit­tel­al­ter­li­che Euro­pa befand sich lan­ge in Gefahr, ein zwei­tes Afri­ka zu wer­den; die Welt­ge­schich­te hät­te dann einen ande­ren Ver­lauf genommen.

Wer sich nach der Erobe­rung Jeru­sa­lems durch Salah ad-Din 1187 von den christ­li­chen Bewoh­nern nicht frei­kau­fen konn­te, ver­fiel der Skla­ve­rei – die Kreuz­rit­ter hat­ten übri­gens ein knap­pes Jahr­hun­dert zuvor noch alle Bewoh­ner mas­sa­kriert –; die Osma­nen rekru­tier­ten ihre Jani­tscha­ren­krie­ger bevor­zugt aus ent­führ­ten euro­päi­schen Kna­ben. Die Emi­ra­te von Tri­po­lis, Tunis und Algier schick­ten bis weit ins 19. Jahr­hun­dert Schif­fe aus, um christ­li­che Skla­ven zu erbeu­ten, sowohl zur See wie an den süd­eu­ro­päi­schen Küs­ten. Die USA zahl­ten gewal­ti­ge Tri­bu­te an die­se soge­nann­ten Bar­bar­esken­staa­ten, um ihre Han­dels­schif­fe zu schüt­zen, bis Tho­mas Jef­fer­son die Sache zu bunt wurde.

Fünf­tens und dar­aus fol­gend: Der Kolo­nia­lis­mus der Euro­pä­er nahm sei­nen Anfang mit der Bekämp­fung der Ver­skla­vungs­pi­ra­te­rie. Egon Flaig schreibt dazu: „Als die Bri­ten ab 1807 den Skla­ven­han­del im Empire ver­bo­ten, (nah­men) die Ver­skla­vungs­krie­ge im Inne­ren Afri­kas immer schlim­me­re Aus­ma­ße an. Um die­se ent­setz­li­chen Krie­ge zu stop­pen, waren Bri­ten und Fran­zo­sen gezwun­gen, auf afri­ka­ni­schem Boden Fuß zu fas­sen und ins Inne­re vor­zu­drin­gen. (…) Es ist dar­um unmög­lich, die Gene­se des bri­ti­schen und des fran­zö­si­schen Kolo­nia­lis­mus in Afri­ka zu tren­nen von der Pra­xis des huma­ni­tä­ren Inter­ve­nie­rens. Die heu­ti­gen Afri­ka­ner wären weit über­wie­gend Skla­ven, wenn Bri­ten und Fran­zo­sen nicht inter­ve­niert hät­ten (…) Die Schluß­fol­ge­rung ist unbe­quem, aber logisch not­wen­dig: Die frei­en Afri­ka­ner von heu­te ver­dan­ken ihre Frei­heit just den aboli­tio­nis­ti­schen Inter­ven­tio­nen von Bri­ten und Franzosen.”

Sechs­tens trägt der Wes­ten zwar selbst­re­dend sei­nen Teil der Schuld, aber nur im Wes­ten ent­stand eine Bewe­gung zur Abschaf­fung der Skla­ve­rei. Allein der Wes­ten ist dafür ver­ant­wort­lich, dass die heu­te noch exis­tie­ren­den For­men von Skla­ve­rei als Ver­bre­chen gel­ten und die heu­ti­gen Afro­ame­ri­ka­ner seit 1865 Nach­fah­ren von frei­en Men­schen sind.

Rich­ten wir unse­ren Blick auf Deutsch­land. In einer Repu­blik, die sich als ein Süh­ne­pro­jekt ver­steht, bekom­men die­je­ni­gen Geschichts­deu­ter die größ­te Auf­merk­sam­keit und erhal­ten die meis­ten För­der­mit­tel, die mit einer durch­aus per­ver­sen Lust die Geschich­te ihres Lan­des so nega­tiv wie nur mög­lich dar­stel­len. Bereits der, im paw­low­schen Sin­ne gespro­chen, beding­te Reflex der Nach­ge­bo­re­nen, die Kolo­ni­al­zeit so selbst­ver­ständ­lich wie kennt­nis­los zu kri­mi­na­li­sie­ren, darf als eine beacht­li­che Dres­sur­leis­tung sei­tens der soge­nann­ten Anti­ko­lo­nia­lis­ten bestaunt wer­den. Über die Geschich­te selbst hat uns die­ser Reflex wenig mit­zu­tei­len, er wird viel­mehr sel­ber ein­mal den Gegen­stand künf­ti­ger Geschichts­schrei­bung bilden.

Ein belie­bi­ges Bei­spiel. In einem Arti­kel zum 80. Jah­res­tag des deut­schen Angriffs auf die Sowjet­uni­on schrieb die Frank­fur­ter Rund­schau, dass „gera­de der Zwei­te Welt­krieg im Osten Teil der aktu­el­len Kolo­nia­lis­mus­de­bat­te in Deutsch­land sein“ könn­te, denn: „Der Ras­sis­mus, der die Kolo­ni­al­po­li­tik in Afri­ka begüns­tig­te und legi­ti­mier­te, war kein ande­rer Ras­sis­mus als der gegen Men­schen im Osten und Zen­tral­asi­en. Die Unter­tei­lung von Men­schen in höher- und min­der­wer­ti­ge Ras­sen ist die Vor­aus­set­zung für den letz­ten Schritt: die Bereit­schaft, ‚Min­der­wer­ti­ge‘ aus­zu­beu­ten und zu vernichten.“

Das soll hei­ßen: Es gibt eine Ver­bin­dung von „Wind­huk nach Ausch­witz” (so lau­te­te tat­säch­lich der Titel eines 2011 erschie­ne­nen Buches). Mit der his­to­ri­schen Wirk­lich­keit hat das nichts zu tun – die deut­schen Kolo­nia­lis­ten woll­ten die Kolo­ni­sier­ten ent­wi­ckeln, nicht ver­skla­ven oder ver­nich­ten, des­we­gen war A. Hit­ler auch ein ent­schie­de­ner Geg­ner des Kolo­nia­lis­mus. Jeden­falls las­sen sich für alle deut­schen Kolo­nien Gemein­sam­kei­ten fest­stel­len, die zumin­dest die The­se ad absur­dum füh­ren, der Kolo­nia­lis­mus sei ein ein­zi­ges Ver­bre­chen gewe­sen und gegen den Wil­len der Ein­ge­bo­re­nen durch­ge­setzt worden.

„Das deut­sche Kolo­ni­al­reich fraß sich wie ein Krebs­ge­schwür in afri­ka­ni­sche und asia­ti­sche Räu­me“, faucht unse­re hier­mit letzt­mals zitier­te Sprach­krebs­be­kämp­fe­rin Sus­an Arndt, und ich muss sofort an die geflü­gel­ten Wor­te einer ande­ren Ras­sis­tin des­sel­ben Vor­na­mens den­ken, Sus­an Son­tag: „The white race is the can­cer of human histo­ry”, zu Papier gebracht im Jah­re der Her­rin 1967.

Nach den not­wen­di­gen Klar­stel­lun­gen zur Skla­ve­rei oblie­gen mir nun jene zum deut­schen Krebs­ge­schwür Kolonialismus.

Zunächst ein­mal tra­fen die Kolo­nia­lis­ten in Afri­ka auf eine Welt aus Gesetz­lo­sig­keit, Will­kür, Stam­mes­krie­gen, Leib­ei­gen­schaft und Skla­ven­han­del. Bei jenen Stäm­men oder Eth­ni­en, die unter die­sen Zustän­den lit­ten, waren sie des­halb oft will­kom­men. Im Togo­land ein­ten die Deut­schen ein Gebiet, das 200 Jah­re lang von Krie­gen und Kon­flik­ten zer­ris­sen wor­den war. In Deutsch-Süd­west­afri­ka fan­den die Mis­sio­na­re, Händ­ler und Sied­ler, „ein Land vor, das”, so der kana­di­sche His­to­ri­ker Bruce Gil­ley, „in jeder Bezie­hung gesetz­los und gewalt­tä­tig war. Die unter­schied­li­chen Volks­grup­pen leb­ten hier in flie­ßen­den Gebie­ten ohne klar umris­se­ne Gren­zen. Das heu­ti­ge Nami­bia war lan­ge vor der Ankunft der Deut­schen ein gefähr­li­cher Ort vol­ler Rin­der­die­be, Skla­ven­trei­ber und Krieg.” Der His­to­ri­ker ver­weist auf das Mas­sa­ker der Nama an den Here­ro am 23. August 1850, voll­zo­gen an einem Ort, der heu­te noch „Mord­kup­pe” heißt.

(Das Buch von Gil­ley trägt den wun­der­voll frei­sin­ni­gen Titel „Ver­tei­di­gung des deut­schen Kolo­nia­lis­mus” und kann, ja soll­te hier bestellt werden)

Rein zah­len­mä­ßig ver­schwan­den die Kolo­nia­lis­ten übri­gens in der Mas­se der Ein­hei­mi­schen; ohne die bereit­wil­li­ge Mit­wir­kung gro­ßer Tei­le der Kolo­ni­al­völ­ker hät­te der Kolo­nia­lis­mus also über­haupt nicht funk­tio­nie­ren kön­nen. 1904 ver­wal­te­ten 280 deut­sche und 50 ein­ge­bo­re­ne Beam­te das gesam­te Deutsch-Ost­afri­ka, eine Kolo­nie, in der acht Mil­lio­nen Afri­ka­ner leb­ten und die fast dop­pelt so groß wie das Deut­sche Kai­ser­reich war.

Die deut­schen Kolo­ni­sa­to­ren erschlos­sen Land, bau­ten Stra­ßen, Bahn­li­ni­en, Häfen, Kran­ken­häu­ser und Schu­len, errich­te­ten sta­bi­le Ver­wal­tun­gen und bil­de­ten ein­hei­mi­sche Beam­te aus. Das heißt, sie brach­ten jenen Fort­schritt, den es genau des­halb nicht mehr geben soll. Zwi­schen 1894 und 1913 ver­drei­fach­te sich der land­wirt­schaft­li­che Umsatz in Deutsch-Ost­afri­ka. Die 1250 Kilo­me­ter lan­ge Bahn­li­nie vom Tan­ga­ny­ika-See nach Dar-es-Salaam ist noch heu­te eine wirt­schaft­li­che Haupt­ach­se in Tan­sa­nia. In Kame­run wur­den bis 1913 bei­na­he 600 Kakao­plan­ta­gen gegrün­det; außer­dem lie­ßen die Deut­schen Gum­mi­plan­ta­gen anle­gen, um die wil­de Ern­te von Gum­mi­bäu­men zu been­den. Gum­mi- und Kakao­ex­port wur­den zur Haupt­ein­nah­me­quel­le von Deutsch-Kame­run. Es bil­de­te sich eine schwar­ze Mit­tel­klas­se aus Pro­du­zen­ten und Händ­lern. In Togo­land, des­sen Trans­port­sys­tem zuvor aus Trä­gern und Ein­baum­padd­lern bestand, errich­te­ten die Deut­schen 1000 Kilo­me­ter Stra­ßen, drei Eisen­bahn­li­ni­en und einen Hafen in Lomé.

In Deutsch-Ost­afri­ka eröff­ne­te die Kolo­ni­al­ver­wal­tung von 1902 bis 1914 99 öffent­li­che Schu­len und 1800 Mis­sio­nars­schu­len. Ver­gleich­ba­res voll­zog sich in den ande­ren Kolo­nien. Das war ein für die dama­li­ge Zeit außer­ge­wöhn­li­ches Invest­ment einer Kolo­ni­al­ver­wal­tung in die Bil­dung und die geis­ti­gen Fähig­kei­ten eines Unter­ta­nen­vol­kes, und man begreift, war­um Hit­ler ein Geg­ner des Kolo­nia­lis­mus alt­deut­scher Prä­gung war.

Am Ran­de: Die anno 1898 vom Kai­ser­reich auf 99 Jah­re gepach­te­te nord­chi­ne­si­sche Hafen­stadt Quing­dao wur­de von Moder­ni­sie­rern aus ganz Chi­na besucht, chi­ne­si­sche Pro­vinz­gou­ver­neu­re lob­ten die deut­sche Ver­wal­tung und kopier­ten deren Metho­den. Das Volk wan­der­te in Scha­ren ein. Der ers­te Prä­si­dent des moder­nen Chi­na, Sun Yat-Sen, erklär­te: „In drei­tau­send Jah­ren hat Chi­na in Quing­dao nicht geschafft, was die Deut­schen in fünf­zehn Jah­ren geschafft haben.”

Den Kolo­ni­al­haus­halt, den der Reichs­tag 1914 ver­ab­schie­de­te und der umfas­sen­de Refor­men für die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung, die Aus­bil­dung, die Eigen­tums­rech­te, die Min­dest­löh­ne und Arbeits­zeit­be­gren­zun­gen der Ein­hei­mi­schen vor­sah, nann­te der His­to­ri­ker Wood­ruff D. Smith in sei­nem Buch „The Ger­man Colo­ni­al Empire” (1978) „die umfas­sends­te Erklä­rung einer Kolo­ni­al­macht über ihre selbst­auf­er­leg­te Ver­ant­wor­tung gegen­über den Kolo­ni­al­völ­kern und der Begren­zung der Kolonialmacht”.

Übri­gens: 1896 erließ der Ost­afri­ka-Gou­ver­neur Her­man von Wiss­man Geset­ze, um die Wil­de­rei auf Ele­fan­ten zu ver­bie­ten und die ers­ten Reser­va­te zu schaf­fen. Der Natur­kund­ler Carl Georg Schil­lings schlug die Errich­tung von Natur­schutz­parks vor; die heu­ti­ge Seren­ge­ti ist ein Resul­tat die­ser Bestrebungen.

Der größ­te huma­ni­tä­re Bei­trag der Deut­schen war indes die Hei­lung der afri­ka­ni­schen Schlaf­krank­heit, einer durch die Tse­t­se-Flie­ge ver­brei­te­ten Seu­che, die allein in Ost­afri­ka im Jahr 1903 bis zu einer Mil­li­on Men­schen dahin­raff­te. Robert Koch, männ­lich, weiß, deutsch, gelang 1910 der Durch­bruch bei der Bekämp­fung des Erre­gers ver­mit­tels syn­the­tisch her­ge­stell­ter Che­mi­ka­li­en. 1916 ent­wi­ckel­te Bay­er den ers­ten Impf­stoff: „Ger­ma­nin”. Allein auf­grund die­ser medi­zi­ni­schen Errun­gen­schaft, schrei­ben die gha­nai­schen His­to­ri­ker Isaac Bra­ko und Seth Frim­pong, kön­ne man „die deut­sche Prä­senz in Afri­ka als völ­lig gerecht­fer­tigt bezeichnen”.

Wohin die Deut­schen ihre Stie­fel setz­ten, been­de­ten sie die Skla­ve­rei. In Deutsch-Kame­run etwa wur­de die Skla­ve­rei 1895 abge­schafft, bis 1900 war sie völ­lig ver­schwun­den. Die Zahl der Skla­ven in Ost­afri­ka unter deut­scher Herr­schaft fiel von ca. einer Mil­li­on anno 1890 auf ca. 200.000 im Jahr 1914; in den 1920er Jah­ren war sie ver­schwun­den. Die viel­leicht bün­digs­te Zusam­men­fas­sung des­sen, was der deut­sche Kolo­nia­lis­mus war, lie­fer­te der nie­der­säch­si­sche Medi­zi­ner und Ent­de­cker Lud­wig Wolf – er starb 1889 in West­afri­ka an Mala­ria –, indem er den König von Daho­mé über­zeug­te, sei­ne Skla­ven nicht bei den all­jähr­li­chen Opfer­ri­ten umzu­brin­gen, son­dern in der Land­wirt­schaft einzusetzen.

Wie ver­hält es sich aber mit der Behaup­tung, das Reich habe die Kolo­nien „aus­ge­plün­dert”? Das Han­dels­vo­lu­men aller deut­schen Kolo­nien über­stieg nie mehr als 0,5 Pro­zent des gesam­ten Han­dels des Deut­schen Rei­ches, rech­net Bruce Gil­ley vor; der Kolo­nia­lis­mus war für das Kai­ser­reich eher ein Ver­lust­ge­schäft. Sym­pto­ma­tisch ist Bis­marcks Stoß­seuf­zer: „Ich will nichts von neu­en Land­ge­win­nen hören, ich will wirt­schaft­li­che Erfol­ge in Ost­afri­ka sehen.”

Es gibt ein Detail der dama­li­gen Zeit, das uns heu­te als das ein­zig rele­van­te ver­kauft wird: Kolo­ni­al­ge­walt. Selbst­ver­ständ­lich kam es auch in den Gebie­ten unter deut­scher Ver­wal­tung zu Über­grif­fen – ein Per­so­nal, das sich für Kolo­ni­al­pro­jek­te rekru­tie­ren lässt, besteht natur­ge­mäß zu einem nicht uner­heb­li­chen Pro­zent­satz aus Aben­teu­rern und zwie­lich­ti­gen Gesel­len –, doch die­se Über­grif­fe sei­tens der Kolo­ni­al­ver­wal­tung wur­den immer­hin akten­kun­dig und regel­mä­ßig im Reichs­tag debattiert.

Für emp­find­sa­me Gemü­ter der Gene­ra­ti­on „Schnee­flöck­chen” ist es ent­setz­lich, dass in den Kolo­nien die Prü­gel­stra­fe zum Ein­satz kam. Der Hin­weis, dass die­se Form der Bestra­fung all­ge­mein akzep­tiert wur­de und die Ein­ge­bo­re­nen von ihren Häupt­lin­gen Prü­gel gewohnt waren, gilt wahr­schein­lich als nicht hilf­reich. Eigent­lich hät­ten die Deut­schen Gefäng­nis­se bau­en und Delin­quen­ten nach deren Ver­ur­tei­lung ein­sper­ren müs­sen. Aller­dings wäre in einem sol­chen Fall einer Fami­lie der Ernäh­rer weg­ge­nom­men und sie damit dem Hun­ger über­ant­wor­tet wor­den, wes­halb die Kör­per­stra­fe als das gerin­ge­re Übel, mit­hin als huma­ner galt.

Damit wären wir beim inzwi­schen alles über­la­gern­den Aspekt des deut­schen Kolo­nia­lis­mus ange­langt: der gewalt­sa­men Nie­der­wer­fung von Auf­stän­den. In Deutsch-Süd­west­afri­ka soll sogar ein Völ­ker­mord an den Here­ro und Nama statt­ge­fun­den haben, für des­sen Wie­der­gut­ma­chung unser dama­li­ger Außen­schuld­ab­trä­ger Hei­ko Maas mehr als ein Jahr­hun­dert spä­ter 1,1 Mil­li­ar­den Euro­nen aus dem deut­schen Spar­strumpf ins eins­ti­ge Deutsch-Süd­west zu trans­fe­rie­ren versprach.

Aber war es tat­säch­lich ein Völ­ker­mord? Zu einem Völ­ker­mord gehö­ren der Vor­satz sowie eine gewis­se Pla­nung. Ich wür­de die Nie­der­schla­gung des Auf­stands und die Ver­trei­bung der Here­ro in die Oma­he­ke-Tro­cken­sa­van­ne eher als Mas­sa­ker bezeich­nen, solan­ge ich das noch darf. (Robert Habeck könn­te ein­wen­den, dass es über­haupt kei­ne Völ­ker gibt und inso­fern der gan­ze Tat­be­stand gegen­stands­los sei, aber die­ses Fass machen wir heu­te nicht auf.) Vie­le bra­ve Deut­sche wol­len sich den ers­ten Völ­ker­mord des 20. Jahr­hun­derts aber nicht neh­men las­sen, also blei­ben wir bei die­sem Begriff. Dem Völ­ker­mord vor­aus ging übri­gens eine Völ­ker­ret­tung, näm­lich zur Zeit der gro­ßen Rin­der­pest 1896/97, die den Here­ro einen Groß­teil ihrer Her­den hin­weg­raff­te. Die Deut­schen errich­te­ten sofort eine Qua­ran­tä­ne­zo­ne. „Ohne Lohn und Nah­rung von den deut­schen Sied­lern wäre ein Groß­teil der Here­ro auf­grund der Rin­der­pest sicher ver­hun­gert”, schreibt Gil­ley. „Die Nama oder ande­re Volks­grup­pen hät­ten kaum Sup­pen­kü­chen für sie eingerichtet.”

Im Jahr 1903 setz­te die Reichs­re­gie­rung die Ober­gren­ze für Sied­ler in Deutsch-Süd­west aus. Kei­ne Ober­gren­ze!, das war schon damals ein Feh­ler, die Zahl der Sie­deln­den stieg rasch auf 14.000, die Migran­ten­feind­lich­keit bei den Here­ro und Nama wuchs, schließ­lich grif­fen sie Far­men, Höfe und Mis­sio­nen an, sabo­tier­ten Eisen­bah­nen und Tele­gra­fen. Am ers­ten Tag der Erhe­bung brach­ten die Auf­stän­di­schen 123 Deut­sche um. Das Aus­maß der Bru­ta­li­tät bei der Nie­der­wer­fung der Emeu­te durch Gene­ral Lothar von Tro­tha war natür­lich kri­mi­nell und der Bedro­hung völ­lig unan­ge­mes­sen. Es kam zu Pro­tes­ten in Deutsch­land, im Reichs­tag wur­de der Fall behan­delt, der Kai­ser erklär­te Tro­thas Erlass an die Here­ro für nich­tig, der Gene­ral wur­de gerügt und abberufen.

Man darf zumin­dest fest­stel­len, dass von Tro­thas bru­ta­les Vor­ge­hen im Wider­spruch zur sons­ti­gen deut­schen Kolo­ni­al­po­li­tik stand.

Eta­blier­te Kolo­ni­al­his­to­ri­ker hal­ten sofort den Maji-Maji-Auf­stand in Deutsch-Ost­afri­ka 1905-07 dage­gen, der von ihnen als Befrei­ungs­be­we­gung dar­ge­stellt wird, aber das ist alles ande­re als ein­deu­tig, es gibt auch die Gegen­mei­nung, dass es dem losen Bünd­nis von Häupt­lin­gen nur dar­um ging, ihre alt­her­ge­brach­ten Pri­vi­le­gi­en durch das Plün­dern und Über­fal­len schwä­che­rer Stäm­me sowie das Erbeu­ten von Skla­ven wie­der­zu­er­lan­gen. Spä­ter, notiert Gil­ley, hät­ten anti­ko­lo­nia­le For­scher die Todes­zah­len „ins Astro­no­mi­sche getrie­ben”, indem sie sämt­li­che Todes­op­fer durch Hun­ger, Seu­chen und Stam­mes­kon­flik­te dazu­zähl­ten, die nach der Nie­der­schla­gung des Auf­stan­des star­ben. „Egal, wie hoch die zivi­len Opfer­zah­len waren – die­se Toten waren Opfer des Auf­stan­des, nicht der deut­schen Ord­nungs­macht. Die Rebel­len zer­stör­ten den Frie­den, den die Deut­schen gebracht hatten.”

Umge­kehrt gab es so vie­le Bei­spie­le für die Anhäng­lich­keit der Ein­hei­mi­schen, die bele­gen, dass die frem­den Herr­scher kei­nes­wegs unpo­pu­lär oder ver­hasst gewe­sen sind. Das zeig­te sich vor allem wäh­rend der Loya­li­täts-Nagel­pro­be des Ers­ten Welt­kriegs. Hein­rich Schnee, der letz­te Gou­ver­neur von Deutsch-Ost­afri­ka, beschreibt in sei­nen Erin­ne­run­gen die uner­müd­li­chen Anstren­gun­gen der afri­ka­ni­schen Sol­da­ten und Hel­fer im Kampf gegen die Trup­pen der Entente. Die tap­fe­ren, meis­tens mus­li­mi­schen schwar­zen Aska­ri, Allah seg­ne sie und erfül­le ihre Wün­sche im Jen­seits, kämpf­ten bis zum 23. Novem­ber 1918 wei­ter, bis nach der Kapi­tu­la­ti­on. Der Begriff „Aska­ri­tre­ue” wur­de damals sprichwörtlich.

Als Bri­ten und Fran­zo­sen die Kolo­nie Deutsch-Kame­run erober­ten, flo­hen über 6.000 ein­hei­mi­sche Sol­da­ten und 12.000 ande­re Ein­ge­bo­re­ne – da es sich um eine deut­sche Kolo­nie han­del­te, ist man geneigt zu sagen: Zivi­lis­ten – sowie 117 Häupt­lin­ge samt Gefol­ge mit den Deut­schen aus Kame­run nach Spa­nisch-Gui­nea. Wei­te­re 20.000 Kame­ru­ner, die den Deut­schen ins Exil fol­gen woll­ten, wur­den von den spa­ni­schen Behör­den zurück­ge­wie­sen. „Unse­re Lie­be und Treue sind unver­brüch­lich”, schrie­ben die 117 Häupt­lin­ge in einem offe­nen Brief. „Wir hegen nur einen Wunsch: mit der deut­schen Regie­rung nach Kame­run zurückzukehren.”

Die Here­ro ver­an­stal­te­ten für ihren Anfüh­rer Samu­el Maha­re­ro 1923 ein deut­sches Staats­be­gräb­nis und prä­sen­tier­ten sich dabei als deut­sche Reichs­bür­ger – das wäre heu­te ein Fall für den Ver­fas­sungs­schutz. Das heißt, die­ses Volk unter­schied neun­zehn Jah­re nach dem Angriff auf sei­ne Exis­tenz klar zwi­schen dem Deut­schen Reich und einem Gene­ral von Tro­tha. „Für die Here­ro war die Beer­di­gung Maha­re­ros das größ­te sozia­le und poli­ti­sche Ereig­nis seit dem Krieg, das für sie den Beginn einer neu­en Ära mar­kier­te. Sie zeig­ten sich wie­der als sich selbst ver­wal­ten­de poli­ti­sche Gemein­schaft“, liest man in der Wiki­pe­dia. In deut­schen Uni­for­men, die bei den Here­ro auch nach der Kolo­ni­al­zeit gro­ße Beliebt­heit genos­sen, zeig­ten sie sich als Selbst­ver­wal­ter. Das muss man nicht kommentieren.

Mar­tin Dio­bo­be, der als 20jähriger aus Kame­run nach Deutsch­land kam und sich dort zum „Zug­füh­rer Ers­ter Klas­se” empor­ar­bei­te­te, ver­si­cher­te im Mai 1919 in einem Schrei­ben an den letz­ten deut­schen Kolo­ni­al­mi­nis­ter Johan­nes Bell, der „ein­zi­ge Wunsch der Ein­ge­bo­re­nen” sei es, „deutsch zu blei­ben”. Am 19. Juni 1919 sand­te Dio­bo­be „als beru­fe­ner Ver­tre­ter der Dua­la Leu­te aus Kame­run“ eine gleich­lau­ten­de „Ein­ga­be der in Deutsch­land leben­den Afri­ka­ner an die Natio­nal­ver­samm­lung”; sie schloss mit der Auf­for­de­rung, die­ses Schrei­ben in allen Zei­tun­gen zu ver­öf­fent­li­chen, „damit die Bevöl­ke­rung weiß, wir sind reichs­treu”. Auch der Bund der deut­schen Togo­län­der wand­te sich an den Völ­ker­bund, um eine Rück­kehr zur deut­schen Kolo­ni­al­herr­schaft zu fordern.

Bis heu­te – um eine para­do­xe For­mu­lie­rung zu wäh­len – sind die Deut­schen in Afri­ka popu­lä­rer als bei sich daheim. Die heu­ti­gen Post- oder Anti­ko­lo­nia­lis­ten sind hier­zu­lan­de über­wie­gend Wei­ße, und die Schwar­zen unter ihnen neh­men gern die Vor­zü­ge in Kauf, die ihnen jener Erd­teil bie­tet, den sie sum­ma­risch anklagen.

Inzwi­schen wer­fen Anti­ko­lo­nia­lis­ten den wei­ßen Kolo­nia­lis­ten sogar vor, die Erfor­schung der Kul­tur, der Spra­chen und der Sit­ten der Ein­ge­bo­re­nen sei nichts als ras­sis­ti­scher Her­ren­men­schen­dün­kel gewe­sen. Auch der Ver­such, den Afri­ka­nern Zugang zur Bil­dung im euro­päi­schen Sin­ne zu ermög­li­chen, bedeu­tet aus die­ser uner­bitt­lich iden­ti­tä­ren Per­spek­ti­ve ledig­lich eine Unter­drü­ckung der afri­ka­ni­schen Eigen­art. Für die ech­ten Zelo­ten des Post­ko­lo­nia­lis­mus fällt wohl sogar die Abschaf­fung von Kan­ni­ba­lis­mus und Men­schen­op­fern unter kul­tu­rel­le Unterdrückung.

Ich kom­me zum Resü­mee. Es geht immer um Geld, auch beim Post- oder Anti­ko­lo­nia­lis­mus. Es geht dar­um, den Wei­ßen Gene­ra­tio­nen spä­ter eine Erb­schuld ein­zu­re­den, ihnen ein schlech­tes Gewis­sen zu machen und sie abzu­kas­sie­ren, indem man behaup­tet, Afri­ka lei­de bis heu­te unter den Fol­gen des wei­ßen Kolo­nia­lis­mus und der wei­ßen Skla­ve­rei, die Wei­ßen sei­en alle­samt Ras­sis­ten oder Pro­fi­teu­re des Ras­sis­mus. Dafür sol­len sie zah­len, teils direkt an die Akti­vis­ten des Anti­ras­sis­mus, teils an die Afri­ka­ner, und vor allem sol­len sie immer mehr Schwar­ze nach Euro­pa ein­wan­dern las­sen. Die Fra­ge, was die Mil­li­ar­den oder sogar Bil­lio­nen Ent­wick­lungs­hil­fe an den schwar­zen Kon­ti­nent eigent­lich gebracht haben, wäre dabei eine sepa­ra­te Betrach­tung wert.

Der gan­ze post­ko­lo­nia­le Radau fin­det unter dem Label Ent­schä­di­gung statt. Folg­lich müss­ten die Nach­fah­ren der Ver­sklav­ten auch bei den Nach­kom­men der wich­tigs­ten afri­ka­ni­schen Ver­skla­ver-Eth­ni­en Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen ein­kla­gen; statt­des­sen wol­len die Nach­kom­men der Ver­skla­ver sich heu­te eben­falls von den Wei­ßen ent­schä­di­gen las­sen. Und von Ent­schä­di­gungs­for­de­run­gen an mus­li­mi­sche Län­der habe ich noch nie gehört.

Wäh­rend die­je­ni­gen Völ­ker, die die Skla­ve­rei zwar auch prak­ti­ziert, aber schließ­lich abge­schafft und die Idee ihrer Unrecht­mä­ßig­keit über­haupt erst her­vor­ge­bracht haben, Gene­ra­tio­nen spä­ter an die Nach­kom­men sowohl von schwar­zen Skla­ven als auch von schwar­zen Ver­skla­vern Ent­schä­di­gung zah­len sol­len, spie­len weder das mus­li­mi­sche Skla­ve­rei-Impe­ri­um noch die Mil­lio­nen Men­schen, die bis heu­te unter skla­ven­ähn­li­chen Bedin­gun­gen leben, in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung eine Rol­le. Die ande­ren Völ­ker­schaf­ten und Eth­ni­en den­ken nicht im Traum dar­an, es den Wei­ßen gleich­zu­tun, alle Welt um Ver­zei­hung zu bit­ten und gren­zen­lo­se Wie­der­gut­ma­chungs­leis­tun­gen zu offe­rie­ren. Wo kei­ne lin­ke kul­tu­rel­le Selbst­ver­ach­tung die Tore öff­net, winkt kei­ne Beu­te. Wo kei­ne Beu­te winkt, wird auch nicht moralisiert.

 

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