20. April 2023

„Ich übe den Beruf des Schrift­stel­lers seit 50 Jah­ren aus und habe ihn von Anfang an rau­chend aus­ge­übt. Ich bin auf die­se Wei­se 70 Jah­re alt gewor­den. Viel­leicht wäre ich bei gesün­de­rer Lebens­wei­se heu­te schon 75 oder 80, aber das lässt sich schwer feststellen.”
Fried­rich Torberg

***

Gön­nen wir uns heu­te eine Abwechs­lung, ja Abschweifung.

„Geprie­sen sei
der schmuck­lo­se Holztisch.“

Mit die­sen Wor­ten beginnt ein Vers im Lob­ge­sang To Axi­on esti des grie­chi­schen Dich­ters Odys­se­as Ely­tis, Nobel­preis­trä­ger für Lite­ra­tur anno 1979.

„Gol­de­ner Wein mit dem Mal der Sonne,
Spie­le des Was­sers auf spie­geln­der Decke.“

Jeder, der ein­mal unter medi­ter­ra­nem Him­mel an einem Holz­tisch saß, auf dem ein Krug und ein Glas mit gol­de­nem Wein stan­den, wäh­rend er hin­aus aufs Meer schau­te, über das eine flim­mern­de, sich in der Fer­ne ver­lie­ren­de Brü­cke zur Son­ne führ­te, weiß, dass es nichts Voll­ende­te­res auf Erden gibt als die­ses Bild.

Der Tisch gehört zu den ele­men­tars­ten Möbeln. Gebie­te­risch ver­langt er nach dem Stuhl, der die Mög­lich­keit eröff­net, an ihm Platz zu neh­men. His­to­ri­ker mei­nen, dass die­se für die west­li­che Kul­tur so zen­tra­le Sym­bio­se sich aus dem Opfer­stein ent­wi­ckelt habe; die Kom­bi­na­ti­on von Tisch und Stuhl sei die säku­la­ri­sier­te Ver­si­on von Opfer­tisch und Opferstuhl.

Auch wenn sie uns so urver­traut erschei­nen und die Welt erobert haben, sind bei­des kei­ne uni­ver­sel­len Möbel­stü­cke. Der Ägyp­ter Rifā‘ah Rāfi‘ aṭ-Ṭahṭā­wī, ein von sei­nem Gou­ver­neur Muham­mad Ali Pascha 1826 nach Paris ent­sand­ter Gelehr­ter, der die fran­zö­si­sche Gesell­schaft erfor­schen soll­te, beschrieb in sei­nem spä­ter ver­öf­fent­lich­ten Tage­buch erstaunt, dass die Fran­ken – so nann­te er die Fran­zo­sen – auf Holz­ge­stel­len säßen, um von noch höhe­ren Kon­struk­tio­nen aus Holz zu spei­sen, weit vom Boden ent­fernt, obwohl in ihren Häu­sern die Böden so sau­ber sei­en, dass man auch von ihnen essen könne.

Der Tisch mar­kiert einen Zivi­li­sa­ti­ons­schritt. Man isst nicht mehr auf der Erde, auf Fel­len, von Tabu­retts, mehr oder weni­ger im Hocken, son­dern in einer erhöh­ten, man könn­te sagen: erha­be­nen Posi­ti­on. Die Ver­wen­dung von Besteck, die Ent­wick­lung – Sozio­lo­gen wür­den sagen: die Aus­dif­fe­ren­zie­rung – des Geschirrs, das Pro­ze­de­re des Tisch­de­ckens, das Arran­gie­ren einer Tafel – übri­gens auch die Geburt des Schreib­tischs –, all das waren ästhe­ti­sche Ver­fei­ne­run­gen und Kul­tur­fort­schrit­te, die sich nur bei Tische ver­wirk­li­chen ließen.

Der schmuck­lo­se Holz­tisch hat sei­ne Digni­tät – die gedeck­te Tafel die ihre. Ich befand mich ein­mal an der ita­lie­ni­schen West­küs­te auf dem Weg von Genua zur Fäh­re nach Elba und mach­te irgend­wo zwi­schen Livor­no und Ceci­na Halt, in einem klei­nen, schmuck­lo­sen Lokal direkt am Strand, das auf Stel­zen ruh­te, unter denen das Meer ans Ufer bran­de­te. Drin­nen befan­den sich ein paar qua­dra­ti­sche Holz­ti­sche mit wei­ßen Decken und ein­fa­chen, kopf­über ste­hen­den Glä­sern dar­auf, vor gro­ßen Fens­tern, durch die man aufs Mare nos­trum blick­te. Auch die­ser Anblick war vollendet.

Wir sind noch beim ein­fa­chen Tisch, doch nun immer­hin schon mit einem wei­te­ren Acces­soire. Zu einem gedeck­ten Tisch gehört unver­zicht­bar das Tisch­tuch. Es schmückt die Plat­te und dämpft die Geräu­sche, die sich beim beschwing­ten Han­tie­ren mit Glä­sern, Geschirr und Besteck unver­meid­lich erge­ben. Ein gutes Tisch­tuch muss von einer gewis­sen Schwe­re sein, gestärkt und gebü­gelt, und ein guter Gast­ge­ber darf sich kei­nen Augen­blick dar­um sche­ren, in wel­chem Zustand es sich am Ende des Mah­les befin­den wird.

Ich glau­be nicht, dass es vie­le Men­schen auf Erden gibt, die der Anblick eines geschmack­voll arran­gier­ten Tisches nicht erfreut. Ein gedeck­ter Tisch ver­mit­telt bereits einen Vor­ge­schmack auf das, was spä­ter dort ser­viert, ein­ge­schenkt und gespro­chen wird. Das wirft die Fra­ge auf, was das bedeu­tet: schön gedeckt? Wahr­schein­lich gehen hier die Mei­nun­gen aus­ein­an­der. Da in mir eine tie­fe Into­le­ranz lebt, muss ich monie­ren, dass vie­le die­ser Mei­nun­gen aus Geschmack­lo­sig­keit und Stumpf­sinn resul­tie­ren und auf mei­ne Akzep­tanz nicht rech­nen dür­fen. Wer sei­nen Tisch fest­lich anrich­tet, muss heu­te zwi­schen der Scyl­la des Kit­sches und der Cha­ryb­dis der Desi­gner­wa­re hin­durch­se­geln. Die Scyl­la ist gleich­wohl der harm­lo­se­re der bei­den Schre­cken. Zwie­bel­mus­ter­tel­ler sind nicht so schlimm wie qua­dra­ti­sche Glastel­ler. Geschirr muss aus Por­zel­lan sein. Wel­cher Banau­se kam auf die Idee, einen Fisch oder ein Entre­côte auf Glas zu ser­vie­ren? Allein die Geräu­sche, die Besteck auf Glas erzeugt, sind abscheu­lich. Mir ist das übri­gens an zwei erst­klas­si­gen Adres­sen für viel Geld zuge­mu­tet wor­den: im Münch­ner „Tan­tris“ und im „Badrutt‘s Palace” zu Sankt Moritz.

Der Fluch, unter dem die Desi­gner­welt lebt, besteht dar­in, dass stän­dig Neu­es geschaf­fen wer­den muss. Das meis­te Neue ist natur­ge­mäß Schrott, wel­cher dem gerech­ten Ver­ges­sen anheim­fällt, wäh­rend die weni­gen guten Ideen, die sich durch­set­zen, ex post das fal­sche Vor­ur­teil beför­dern, Neu­es sei gene­rell groß­ar­tig. Nur ein Desi­gner konn­te auf die Idee kom­men, Mes­ser und Gabeln zu kre­ieren, die statt eines sich am Ende ver­brei­tern­den Grif­fes einen gleich­för­mi­gen Stil haben. Mit sol­chem Besteck kann nie­mand ver­nünf­tig essen. Ein gutes Besteck ist am hin­te­ren Ende breit, damit es fest in der Hand liegt und man mit der Gabel zum Bei­spiel mühe­los Spa­ghet­ti dre­hen und mit dem Mes­ser sicher schnei­den kann. Letzt­lich ist Besteck Hand­werks­zeug. Es kommt auch nie­mand auf den Gedan­ken, einen Schrau­ben­zie­her oder eine Zan­ge so zu desi­gnen, dass sie in der Hand des Benut­zers ein Eigen­le­ben füh­ren (aller­dings müs­sen Schrau­ben­zie­her und Zan­ge auch kei­nen Tisch zieren).

Frü­her gab es den Brauch – es gibt ihn ver­ein­zelt heu­te noch –, bei der Hoch­zeit dem jun­gen Paar zum Bei­spiel Sil­ber­be­steck zu schen­ken. Oder es den Kin­dern zu ver­er­ben. Das ist ein Geschenk fürs Leben. Sil­ber­be­steck ist sel­ten – und wenn es älter ist, sogar nie­mals – häss­lich. Nur muss man heu­te befürch­ten, dass die Kin­der es gar nicht haben wol­len, weil sie es alt­mo­disch fin­den und sich statt­des­sen den Desi­gner­schnick­schnack haben auf­schwat­zen las­sen. Das­sel­be gilt für das Geschirr und die Glä­ser, wenn­gleich bei den Wein­glä­sern eine gewis­se Ent­wick­lung statt­fand, weni­ger ästhe­tisch als viel­mehr wein­ge­schmacks­äs­the­tisch, die ich nicht leug­nen möch­te. Natür­lich gibt es auch anspre­chen­des moder­nes Geschirr – ich wer­de hier kei­ne Mar­ken nen­nen –, doch das meis­te ist uni­for­me, bes­ten­falls lang­wei­li­ge, ein­falls­los deko­rier­te, spül­ma­schi­nen­taug­li­che, mit Mikro­wel­len­ge­rich­ten kom­pa­ti­ble Mas­sen­wa­re. Wenn ich indes an den Geschirr­schrank mei­ner Groß­el­tern zurück­den­ke, so stan­den dar­in aus­schließ­lich schö­ne, viel­leicht mit­un­ter etwas über­la­den deko­rier­te Sachen, und sogar die für den Wein­ge­nuss gänz­lich unge­eig­ne­ten Römer­glä­ser aus bun­tem, geschlif­fe­nen Glas waren immer­hin nicht unan­sehn­lich. Die Tisch­kul­tur gehör­te noch zu den grund­le­gen­den Lebens­voll­zü­gen, die sich in ver­bind­li­chen For­men ereig­ne­ten, so wie sich die Men­schen sei­ner­zeit, auch wenn sie nicht beson­ders wohl­ha­bend waren, zu klei­den wuss­ten und nicht im gro­tes­ken „Casu­al chick“ her­um­lie­fen. Die­ses Geschirr wur­de nicht alle Jubel­jah­re weg­ge­wor­fen und durch etwas Neu­es ersetzt, son­dern es war tat­säch­lich fürs Leben.

An sol­chen alten Ser­vicen erstaunt die nahe­zu voll­stän­di­ge Abwe­sen­heit von Häss­lich­keit bei zugleich hoher Funk­tio­na­li­tät und Sta­bi­li­tät der Tei­le. Zugleich ver­strömt altes Geschirr Indi­vi­dua­li­tät. Es ist noch kei­ne indus­tri­el­le Mas­sen­wa­re. „Sicht­bar wur­de die Schön­heit der hand­werk­lich her­ge­stell­ten Gebrauchs­ge­gen­stän­de erst, als sie die Gele­gen­heit erhiel­ten, sich vor dem Hin­ter­grund seri­el­ler, ent­wor­fe­ner Häß­lich­keit abzu­zeich­nen“, schreibt der Dich­ter Mar­tin Mose­bach. „Es war mit der Schön­heit der von anony­mer Hand und ohne Kunst­wil­len und Ent­wer­fer­stolz her­ge­stell­ten Gegen­stän­de, ohne einen ande­ren Ehr­geiz, als die Sache gebrauchs­fä­hig und halt­bar zu machen, wie mit der Venus aus der Ver­gi­li­schen ‚Äneis’: Erst als sie sich umwand­te und davon­ging, sah man, daß sie eine Göt­tin war.“

Es gibt natür­lich vie­le Zeit­ge­nos­sen, denen moder­nes Design gefällt – eine Grün­der­zeit-Woh­nung wür­den sie frei­lich nie ableh­nen –, und so gibt es auch Men­schen, die das hip­pe Designer­ge­schirr tat­säch­lich mögen; ich lebe mit einem sol­chen Men­schen zusam­men. Schwer sind mit­un­ter die Prü­fun­gen, die der Gott vor allem jenen auf­er­legt, die nicht an ihn glauben.

Wie in  der Archi­tek­tur, wie in der Male­rei, wie in der Bil­den­den Kunst, hat das Seri­el­le, Häss­li­che, Prak­ti­sche, Unkom­pli­zier­te auch bei Tische die Herr­schaft über­nom­men. Aber man muss sich die­sem Dik­tat ja nicht fügen. Es genügt bereits, nicht gedan­ken­los hin­zu­neh­men, was einem ange­bo­ten wird, son­dern sich zu fra­gen, was einem wirk­lich gefällt. Und sich dann auf die Suche danach zu bege­ben. Die Ent­schei­dung dar­über, was man auf sei­ne Tafel stellt, liegt schließ­lich bei jedem selbst.

***

Zum Vori­gen meint Leser ***:

„Mir aus dem Her­zen geschrie­ben! Glastel­ler, ganz furcht­bar! Kann noch gestei­gert wer­den durch Glastel­ler auf Ess­tisch mit Glas­plat­te auf Metall­ge­stell! Dar­an sit­zend (und schwit­zend) auf ‚Frei­schwin­gern’ mit Kunst­le­der­be­zug! Der GAU: Glas­plat­te nicht sati­niert, son­dern durch­sich­tig, so dass man beim Essen auf die Deich­mann-Schu­he der Gäs­te sehen kann (berufs­be­ding­te Macke von mir: Ich gucke zuerst auf die Schu­he. Da spart Mann oft)! Super­GAU: Wein­glä­ser mit blau­em Stiel auf die­sem Tisch. Kata­stro­phe: Cand­le­light­din­ner mit Decken­be­leuch­tung in Form von in der Decke ein­ge­las­se­ner oder am Schie­nen­sys­tem ange­brach­ter Halo­gen- oder LED-Strah­ler. Setzt die Schicht­di­cke des Makeups der Ange­be­te­ten erst ins rech­te Licht und model­liert ein Gesicht zum plas­ti­schen Gebirgsrelief.
Und noch­mal ja: das ‚moder­ne’ Ess­be­steck, der reins­te Jammer.
Messer:
– mehr oder weni­ger stumpf (wahr­schein­lich aus Sicher­heits­grün­den, damit ((sich)) nie­mand schneidet)
– von Igor Loko­mo­tow rus­sisch aus einem Stück gefeilt, also aus einem Stück Metall, dadurch nicht aus­ba­lan­ciert, der Griff ist immer schwe­rer als die Klin­ge, dadurch fällt das Mes­ser beim Abräu­men immer vom Tel­ler. Frü­her waren Griff und Klin­ge zwei unter­schied­li­che Tei­le. Der Griff war hohl und etwa gleich schwer wie die Klin­ge (Nach­teil alter Bestecks: die ver­kit­te­te Naht­stel­le geht durchs Spü­len im Lauf der Zeit kaputt, beson­ders im Geschirr­spü­ler. Aber da gehört Sil­ber­be­steck sowie­so nicht rein).
– die Klin­gen­form: sel­tenst hap­tisch wirk­lich ‚gut’, meist ent­we­der zu kurz, zu schmal, zu lang, zu breit
– der Griff: Oh Graus, hier tobt sich der Desi­gner aus! Ganz furcht­bar: Griff­breit­sei­te um 90 Grad ver­dreht, so dass der Griff hoch­kant steht, am Ende immer abge­schrägt, damit er auch schön unan­ge­nehm in den Hand­tel­ler piekt!
Gabel:
– Balan­ce bes­ser, weil das Griff­stück nicht so mas­siv ist wie beim Messer
– Bei vie­len Gabeln ist die Zin­ken­sei­te zu schmal, es fällt einem alles run­ter (ganz schlimm: zu schma­le Gabeln bei ita­lie­ni­schen Pas­ta­ge­rich­ten, selbst die Erb­se vom ‚Kai­ser­ge­mü­se’ kann sich nicht oben halten).
Wir lie­ben und hüten unser ererb­tes 50-er Jah­re DDR-ABS-Besteck. Hap­tisch aus­ge­reift und immer noch all­tags­taug­lich. Das sil­ber­ne der Groß­el­tern gibts nur zu ‚Anläs­sen’.”

***

Ver­läss­lich bril­lant: Bernd Zeller.

***

Das ers­te und ele­men­tars­te Wort, das mir im Zusam­men­hang mit dem Begriff „Mut­ter“ ein­fällt, ist „Trost“. Mit dem Vater mag sich die kind­li­che Asso­zia­ti­on „Sicher­heit“ ver­bin­den – ich rede hier von Nor­mal­fäl­len –, doch sie beschreibt nur ein sozu­sa­gen prak­tisch-welt­li­ches Ver­mö­gen, wäh­rend jenes, Trost zu spen­den, in die Bezir­ke des Cht­ho­nisch-Ber­gen­den und zugleich Tran­szen­den­ten hin­ein­reicht, wes­halb es lan­ge Zeit, wenn man der Obhut der Mut­ter ent­wach­sen war, auch an den Geist­li­chen dele­giert wur­de. Einem unglück­li­chen oder kran­ken Kind Trost zu spen­den, ist zwar eine der gewöhn­lichs­ten Beschäf­ti­gun­gen der Müt­ter die­ser Erde, doch sie funk­tio­niert eben nur jeweils zwi­schen zwei unaus­tausch­ba­ren Men­schen. Nur die Mut­ter kann jenen unge­trüb­ten Frie­den schen­ken, von dem Proust spricht, wenn er beschreibt, wie sei­ne Maman ihm Gute Nacht sag­te. Die Ver­bin­dung des Kin­des zur Mut­ter ist weit enger und dau­er­haf­ter als jene zum Vater; kein Gekreu­zig­ter, mit Aus­nah­me des einen, rief nach sei­nem Vater, und auch die Schwer­ver­letz­ten in den Schüt­zen­grä­ben brüll­ten „Mut­ter!“ und nicht „Vater!“

Der Phi­lo­soph Hans-Georg Gada­mer hat in sei­nen alten Tagen immer wie­der den Ver­lust der Müt­ter­lich­keit in den jün­ge­ren, also der­zeit ton­an­ge­ben­den Gene­ra­tio­nen beklagt. Müt­ter­lich­keit, das ist die Bereit­schaft zu engels­ge­dul­di­ger Selbst­ver­leug­nung und die­nen­der Auf­merk­sam­keit, ein lie­be­vol­les Sich-Auf­op­fern, das nicht nach Grund und Hono­rar fragt. Es ist das, was eine Femi­nis­tin sofort „Aus­beu­tung der Frau“ nennt. Es ist ein Ver­zicht zuguns­ten ande­rer, wie ihn der Zeit­geist ein­fach nicht mehr vor­sieht, und nur die enor­me Kraft der Bluts­ban­de ver­mag der All­ge­walt die­ses Zeit­geis­tes zu wider­ste­hen. Des­we­gen fin­den wir in den Fami­li­en immer noch die Asym­me­trie der Las­ten­ver­tei­lung, die sich in außer­fa­mi­liä­ren Struk­tu­ren sofort als Unge­rech­tig­keit ange­pran­gert sähe. Inner­halb der Fami­lie darf noch gedient werden.

Das habe ich vor 13 Jah­ren geschrie­ben. Heu­te lese ich:

Hier endet alles. Wer das Urwort „Mut­ter” in Fra­ge stellt, ist ein Feind der Humanität.

***

Ich zitier­te hier vor ein paar Tagen einen Bekann­ten, der bei Tische die Theo­rie ent­warf, dass die USA längst Polen als neu­en Front­staat zum rus­si­schen Erb- und Welt­feind betrach­te­ten, wäh­rend das Land der Deut­schen in ihren geo­po­li­ti­schen Spiel­chen nicht mehr jene Rol­le inne­ha­be, die ihm wäh­rend des kal­ten Krie­ges zuge­dacht war; eine deutsch-rus­si­sche Alli­anz in jenem von den US-Eli­ten frü­her gefürch­te­ten Sin­ne der Sym­bio­se aus deut­scher Tech­nik und rus­si­schen Roh­stof­fen sei kei­ne Gefahr mehr, da die Ener­gie­adern aus Russ­land gekappt wur­den und die deut­sche Tech­nik längst inter­na­tio­na­les Mit­tel­maß sei, wobei die fort­ge­setz­te Ein­wan­de­rung von Analpha­be­ten und kul­tur­frem­den Stö­ren­frie­den – Danisch wür­de hin­zu­fü­gen: sowie das Flu­ten der Uni­ver­si­tä­ten und Unter­neh­men mit Quo­ten­frau­en und Gen­de­ris­tas – einen wei­te­ren Abstieg garan­tie­re. Der ver­rückt gewor­de­ne eins­ti­ge Kon­kur­rent auf dem Welt­markt ent­wick­le sich zum Schwel­len­land und rei­nen Absatzmarkt.

Sieht ganz so aus.

***

„Was die vier Leser (im letz­ten Ein­trag ‚Das meint der Leser’) schrei­ben, ist schön und gut”, schreibt Leser ***. „Ver­ständ­nis haben wir alle. Aber: Ich wuchs wäh­rend mei­ner Gym­na­si­al­jah­re in der 12.000 Ein­woh­ner gro­ßen Klein­stadt Bad Mer­gen­theim auf. In den 70er Jah­ren war das eine kul­tu­rell und gesell­schaft­lich blü­hen­de Kur­stadt. Die Kri­se des Kur­we­sens ver­bun­den mit der ubi­qui­tä­ren Land­flucht hat zu einer Art Pro­le­ta­ri­sie­rung geführt, wie ich bei mei­nen regel­mä­ßi­gen Besu­chen fest­stel­len musste.

Seit 2015 aber geht etwas sehr schnell vor sich, was grund­sätz­lich neu ist. Das Stra­ßen­bild, der öffent­li­che Raum hat sich dra­ma­tisch ver­än­dert. Her­um­ste­hen­de Grup­pen afgha­ni­scher Jugend­li­cher, Okku­pie­rung der öffent­li­chen Bän­ke durch sich laut unter­hal­ten­de Ori­en­ta­len, Kin­der­wa­gen schie­ben­de, mit Smart­phones tele­pho­nie­ren­de mus­li­mi­sche Schwar­ze, über­haupt eine dras­ti­sche Zunah­me der Ver­hül­lung mit ihren tris­ten modi­schen Aspek­ten. Kei­ne ein­zi­ge die­ser Per­so­nen ist per­sön­lich in ihrer Hei­mat ver­folgt wor­den, das behaup­te ich ein­fach mal; sie sind schlicht­weg sum­ma­risch hier. Mei­ne in Bad Mer­gen­theim leben­den Freun­de mei­den die Innen­stadt ab den Abendstunden.

Es geht doch gar nicht dar­um, ob die­se Leu­te – ich nen­ne sie mal die Frem­den – nett sind oder was auch immer; natür­lich sind sie dif­fe­ren­zier­ter, als man von außen sieht, und den­ken sich ihr Teil, sicher einer anders als der Ande­re. Es geht aber um ein Fak­tum, näm­lich das sicht­ba­re Ende unse­rer Welt – ich bin fremd hier. Das ist ein­fach nicht mehr mei­ne Hei­mat. Es ist etwas Ande­res, etwas Künst­li­ches, etwas auf dem glo­ba­lis­ti­schen Reiß­brett Ent­wor­fe­nes. Ich habe das Eltern­haus, nach­dem nun auch mein lie­ber Vater ver­stor­ben ist, ohne Reue ver­kauft. Was soll ich hier? Da kann ich ja gleich nach Frank­furt-Gries­heim oder Ber­lin-Kreuz­berg zie­hen. Da bin ich genau­so Any­whe­re wie hier.”

 

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