Nochmals zum Hereroaufstand 1904 und seiner Einstufung als „Völkermord”. Wer das Thema für unwichtig hält, sei daran erinnert, dass die Bundesregierung 1,1 Milliarden Euronen von den, im allerweitesten Sinne, Nachkommen der Siedler an die Nachkommen der Herero transferieren will, obwohl die Beweislage umstritten ist und keinerlei juristischer Zwang vorliegt, aus schierem regierungsoffiziellen antideutschen Miserabilismus – und das wird nur ein Anfang sein.
Was ist ein Völkermord und seit wann? Die Frage lässt sich leicht beantworten. Der Straftatbestand existiert im Völkerrecht seit 1948, als direkte Reaktion auf die Schoa.
„In whole or in part”: Das ist natürlich keine Definition, sondern ein Allerlei; wie groß der Teil sein muss, damit der Völkermordtatbestand erfüllt ist, steht nirgendwo. Als einziges Kriterium bleibt die Absicht, der Vorsatz, die Planung, ein Volk oder eine nationale/ethnische/rassische/religiöse Gruppe „in Teilen oder als ganze” vernichten zu wollen. Hat derjenige, der 1400 Menschen tötet und dabei die Absicht verkündet, alle Vertreter dieser Gruppe umbringen zu wollen – wie unlängst die Hamas –, bereits einen Völkermord begangen?
(Link)
Die Definition taugt nicht viel und müsste erst durch Präzedenzurteile substantiiert werden. Der amerikanische Bombenkrieg in Vietnam, um ein beliebiges Beispiel zu nennen, war nach diesen Kriterien ein Völkermord. Unter den Prämissen von Artikel II., a, b, c fällt die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten eindeutig unter Völkermord. Und nicht nur das: Punkt b – das Zufügen von seelischen Schäden – wie auch Punkt c – die absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen – sind heute in Teilen Westeuropas für viele Indigene Realität, die als Folgen der Migrationspolitik in ihren einstigen Heimaten unter überwiegend ethnisch-kulturell Fremden leben, ohne je gefragt worden zu sein. UN-Migrationspakt, Replacement-Migration, Multikulti, die Verwandlung ehemals westlicher Stadtteile in arabisch-afrikanische, all das tendiert nach den zitierten Kriterien gen schleichender „Völkermord”, oder, wie ein Journalist launig schrieb, „Völkersterben von seiner schönsten Seite”. Ein Zeitlimit ist in der UN-Definition ja nicht angegeben.
Sie wollen die Völker abschaffen, sie für rassistische Konstrukte erklären und zugleich Völkermord unter Strafe stellen, sogar nachträglich – und was jenen angeblich an den Herero verübten betrifft: unter verschärfte Geldbuße. Da dies juristisch nicht zu halten ist, setzt in diesem Falle die politische Entscheidung das Recht. Völkermord ist die Jacke, die die Bundesregierung als bislang einzige der Welt rückwirkend ihrem Land bzw. Volk anzieht, um vor der Welt ihren moralischen Heiligenschein zu polieren. „In Deutschland erlangt nur Macht, wer die politische Ohnmacht Deutschlands verstetigt” (Günter Maschke). Wer das pervers findet, scheint es immerhin selbst nicht zu sein.
Offen bleibt nach der UN-Definition die Frage, ob ein Völkermord auf deutscher Seite intendiert war. Auf deutscher Seite meint: General von Trotha und niemand außerdem, denn weder der Generalstab noch die Reichsregierung noch S.M. hatten dergleichen befohlen oder angewiesen. Ein „Töten von Angehörigen der Gruppe”, das „Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen der Gruppe” sowie „die absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen”, all das fand ja statt, findet in jedem Krieg statt, nur eben: Mit der Absicht oder dem Wunsch, das gesamte Volk zu vernichten? Theoretisch wäre es also möglich, dass ein Diktator eine Million Menschen umbringen lässt, aber nicht die Absicht hegt, das Volk oder die Gruppe zu beseitigen, während ein anderer ein paar hundert mit verschwiemelten Komplettausrottungsphantasien aus der Welt schafft, der dann als Völkermörder zu gelten hätte.
***
Den Vorwurf, die Schutztruppe habe in Deutsch-Südwest einen „Völkermord” verübt, hat übrigens ein SED-Historiker in die Welt gebracht. Dass sich die SED-Fraktion im Bundestag dieser Tage auflöste, sollte nicht den Blick auf ihren schlussendlichen Triumph in vielen gesellschaftlichen und geschichtspolitischen Punkten verschleiern. Der Generalsekretär der SED und der aktuelle deutsche Bundespräsident lägen in ihrer Beurteilung des Kaiserreichs ganz auf einer Linie.
Die Bundesregierung stieg erstmals in Gestalt von Heidemarie Wiczorek-Zeul, SPD, weiland Bundesentwicklungsministerin, in die Selbstbezichtigung ein, welche seither machtvoll crescendiert. Anlässlich des 100. Jubiläums der Schlacht am Waterberg, die nicht nur aus Sicht der Herero ein Unentschieden war und nach der sie sich in die Omaheke-Trockensavanne zurückzogen, erklärte die deutsche Sendbotin am 15. August 2004 in Okakarara: „Die damaligen Greueltaten waren das, was man heute als Völkermord bezeichnen würde.”
Seit 2015 spricht die Bundesregierung ganz offiziell von einem „Völkermord“ an den Herero und Nama. „Bundestagspräsident Lammert nennt Massaker an Herero Völkermord“, frohlockte Zeit Online am 8. Juli 2015. Unter der Überschrift „Spätes Bekenntnis zum Völkermord“ meldete die Berliner Zeitung am 11. Juli: „Nach Angaben des Auswärtigen Amts gilt für die Bundesregierung nun der Satz: ‚Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord.‘ Diese Formulierung stammt aus einem Antrag, den Außenminister Frank-Walter Steinmeier 2012 als SPD-Fraktionschef in den Bundestag eingebracht hatte.“
Im Mai 2021 sekundierte der damalige Außenminister Heiko „Aufstehen-statt-wegducken” Maas (ebenfalls SPD): „Deutschland erkennt Verbrechen an Herero und Nama als Völkermord an”. Im Süddeutschen Beobachter las man am 28. Mai 2021: „Es geht um ein Schuldeingeständnis, eine Bitte um Vergebung – und um einen Milliardenbetrag.“ Im Mai 2021 wurde eine deutsch-namibische Gemeinsame Erklärung (Joint Declaration) unterzeichnet; danach übernimmt Deutschland die moralische Verantwortung für die Gewalttaten, bezeichnet diese als „Völkermord aus heutiger Sicht“, entschuldigt sich dafür bei den Nachfahren der Opfer und leistet – zusätzlich zu der sonstigen Entwicklungshilfe – Zahlungen in Höhe von ca. 1,1 Mrd. Euro innerhalb der nächsten 30 Jahre.
Vertreter der Herero und Nama haben diese Vereinbarung als unzureichend kritisiert und fordern weitere Entschädigungszahlungen von Deutschland. Dazu haben sie bereits mehrere Klagen vor US-amerikanischen Gerichten eingereicht, die jedoch abgewiesen wurden. Der Grund ist, dass es 1904 den juristischen Tatbestand „Völkermord“ nicht gab und ein solcher nicht rechtsverbindlich rückwirkend eingeführt werden kann. „Die offizielle Anerkennung von kolonialem Unrecht als ‚Völkermord‘ begründet keine völkerrechtlichen Ansprüche auf Reparationen oder Schadensersatz. Der im Kontext der Verhandlungen eines deutsch-namibischen Versöhnungsabkommens diskutierte und von der Bundesregierung bislang propagierte Zusatz ‚aus heutiger Sicht‘ ist (rechtlich) nicht erforderlich, um solchen Ansprüchen ‚vorzubeugen‘ oder sie auszuschließen. Der Zusatz ist vielmehr rein politisch-deklaratorischer Natur und entfaltet keine rechtliche Wirkung“, befanden die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in geradezu unstatthafter Nüchternheit („Zur Anerkennung kolonialen Unrechts als Völkermord. Intertemporales Völkerrecht im Kontext des deutsch-namibischen Versöhnungsabkommens“, 2023)
Es handelt sich, wie gesagt, um eine politische Entscheidung, keine juristische. Aber ist sie historisch gerechtfertigt?
***
Zitieren wir aus dem Märchen- und Sagenschatz der Bundeszentrale für politische Bildung.
Kein Wort, by the way, über 130 ermordete weiße Farmer (und Farmerinnen), den eigentlichen Anlass des Hererokrieges.
Man muss wissen, dass General von Trotha sich sofort nach seiner berühmt-berüchtigten Proklamation an das Volk der Herero (von der die meisten Herero ein Dreivierteljahrhundert später durch weiße Historiker erfuhren) mit dem Gros der Reste seiner Armee samt Stab ins Hauptquartier nach Windhoek aus dem Staube machte – die „Schutztruppe” litt an Durst, Krankheiten, Nachschubmangel und erheblichen Verlusten, insbesondere an Zugtieren; die Soldaten waren buchstäblich am Ende – und nur eine Abteilung unter Major Estorff zurückließ mit dem Befehl, den Herero nachzusetzen. Wie groß dieses Detachement war, habe ich nirgendwo gefunden; es können aber nur ein paar hundert Mann gewesen sein, denn von Trotha verfügte nie über mehr als einige tausend Kämpfer.
„Am Waterberg hatten die Deutschen 1488 Gewehre, 12 Maschinengewehre und 30 Kanonen, das heißt bis zu 2000 Menschen: Die größte Anzahl, die je in Namibia vor 1914 in einer Schlacht eingesetzt wurde”, schreibt die Historikerin Brigitte Lau, die 1982 Forschungsbeauftragte im Nationalarchiv von Windhoek wurde, das sie von 1991 bis zu ihrem frühen Tod durch einen Autounfall im Jahre 1996 leitete. Übrigens: „Die Herero, nach (möglicherweise übertriebenen oder ungenauen) deutschen Schätzungen, hatten 6000 Gewehre und keine Artillerie.”
Was nun aber den „250 Kilometer langen Sperrgürtel” betrifft, mit dem die Deutschen, also die Abteilung Estorff, die Omaheke „abriegelten” – die Trockensavanne ist so groß wie Österreich und verfügt durchaus über Wasserstellen –, darf sich jeder ausrechnen, wie dicht dieser von ein paar hundert müden und durstigen Schutztrupplern errichtete Sperrgürtel gewesen sein kann. (Über den angeblichen Völkermord habe ich hier geschrieben – das Thema Kolonialismus beginnt schon bei Rebekka Habermas, der Tochter des Tranzendentaldemokraten, aber zum Hererokrieg müssen Sie etwas scrollen –, den wahrlich erregenden Aufsatz von Brigitte Lau, der allein die gesamte Genozidthese zerlegt, finden Sie hier.)
Um die Völkermordthese auf ihren Kern herunterzubrechen: Hält man es für möglich, dass eine Truppe von ca. zweitausend kampffähigen, insgesamt höchstens viertausend deutschen Soldaten, deren Großteil sich nach dem Verkünden eines Vernichtungsbefehls erschöpft nach Windhoek zurückzog, ein je nach Schätzung 40.000 bis 80.000* Köpfe starkes, zu tausenden Schusswaffen tragendes Volk in eine Savanne von der Größe Österreichs treiben, diese Region komplett abriegeln und große Teile des Volkes so zu Tode bringen konnte? Und wo sind solche militärischen Übermenschen heute, wenn man sie braucht?
Ich frage mich: Warum soll ich der Darstellung von sogenannten Historikern Glauben schenken, die mir solche Stories verkaufen wollen?
(* Das ist in diesem Kontext eine Phantasiezahl.)