24. März 2024

Das Wort zum Sonntag.

„Fin­dest Du es gut, ver­ach­tet zu sein?”, frug mich ver­gan­ge­ne Woche ein Mit­ar­bei­ter der Schwe­fel­par­tei, ein gebil­de­ter, stu­dier­ter, sonst eigent­lich eher zum Scher­zen auf­ge­leg­ter und den schö­nen Din­gen des Lebens ent­schie­den zuge­neig­ter Zeit­ge­nos­se. Es lag Bit­ter­keit in sei­ner Stim­me, sogar Gram. Intel­lek­tu­el­le kön­nen ja bestür­zend dünn­häu­tig sein. Wer für die AfD arbei­tet und sich zugleich in der Kul­tur­sze­ne (im wei­ten Sin­ne) bewe­gen möch­te, muss sich im bes­ten ’schland ever ein sta­bi­les Inco­gni­to zule­gen. Der besag­te Herr ach­tet im Inter­es­se sei­ner Lebens­part­ne­rin peni­bel dar­auf, dass nie­mals bekannt wird, wo er sei­ne Baguettes ver­dient, denn das wür­de sie in ihrem Job rasch iso­lie­ren. Gemein­sa­me Auf­trit­te in Gesell­schaft sind gro­ße Aus­nah­men, weil die Gesprä­che frü­her oder spä­ter auf den Eier­tanz des Und-was-machen-Sie-so-beruf­lich? hin­aus­lau­fen. Zar­te­re Gemü­ter betrübt das. Und selbst dort, wo sie die Mas­ke able­gen dür­fen, wer­den sie in Mit­haf­tung genom­men für das, was die Rüpel und Hart­hir­ne die­ses Ver­eins (auch die von außer­halb bezahl­ten) gele­gent­lich so pos­ten oder ander­wei­tig von sich geben oder was regie­rungs­na­he soge­nann­te Recher­che­kol­lek­ti­ve ver­mit­tels mulit­me­dia­ler Kam­pa­gnen­ver­stär­ker ins Land lügen.

„Ich fin­de es schei­ße”, sag­te der Kol­le­ge, „wie sie uns behan­deln. Man kann nir­gend­wo hin­ge­hen. Man muss sich über­all ver­stel­len.” Noch der größ­te Trot­tel, noch der schä­bigs­te Oppor­tu­nist, noch der letz­te Klein­kri­mi­nel­le kön­ne sich als „Kämp­fer” gegen „Rechts” auf­spie­len. Die­se Stig­ma­ti­sie­rung habe etwas Vor­zi­vi­li­sa­to­ri­sches. „Was bil­den sich die­se Typen eigent­lich ein, wer sie sind, dass sie so etwas mit unser­ei­nem ver­an­stal­ten können?”

So etwas zum Beispiel.

Der­glei­chen Exklu­si­ons­voll­zugs­mel­dun­gen liest man im Wochentakt.

(Als ich dort Text­chef war, hät­te die Ver­wen­dung des Begrif­fes „Iko­ne” im auß­er­sa­kra­len Zusam­men­hang zu einer Gefähr­de­rin­nen­an­spra­che geführt.)

Man erfährt im Film­chen lei­der nicht, wel­che blei­che Maid mit die­sem Kett­chen zugleich Gesicht zeigt und von ihrem ablenkt. (Es sei die Schau­spie­le­rin Phe­li­ne Rog­gan, klärt mich Leser *** auf; möge das beken­ne­ri­sche Hals­ei­sen ihr die Mühen der Beset­zung­couch ersparen.)

Egal, wo man hin­schaut oder ‑leuch­tet, irgend­wo nimmt jemand in Kein-schö­ner-Land just in die­sem Augen­blick Hal­tung gegen die Schwe­fel­par­tei an oder setzt ein Zei­chen gegen Rechts.

Die heu­te enden­de Leip­zi­ger Buch­mes­se stand ganz im Zei­chen des indi­vi­du­el­len Zei­chen­set­zens. Wenn­gleich das gemein­sa­me Hoch­hal­ten bun­ter Papp­schild­chen in der Mes­se­stadt schon mal pro­fes­sio­nel­ler und koor­di­nier­ter ablief. Aber das war ja auch im Freien.

Die gesam­te Gesell­schaft zieht bei der Viel­falts­voll­stre­ckung mit: vom baye­ri­schen Steu­er­hin­ter­zie­her und hes­si­schen Koka­in­sach­ver­stän­di­gen in der Bun­des­li­ga bis zu den Kar­ne­vals­ver­ei­nen, und ich will doch hof­fen, dass auch die Klein­tier­züch­ter, Phil­ate­lis­ten und Numis­ma­ti­ker sich nicht lum­pen las­sen. Die wochen­lan­gen gut­or­ga­ni­sier­ten Demons­tra­tio­nen der grün-roten Gesell­schafts­mit­te nach der erschüt­tern­den Cor­rec­tiv-Ent­hül­lung einer Wann­see­kon­fe­renz am Lehnitz­see mögen äußer­lich effekt­vol­ler sein, doch was wären sol­che Groß­auf­trit­te ohne die Mühen der Ebe­ne gegen Rechts, ohne die zahl­rei­chen Gast­stät­ten­ver­bo­te und Auf­tritts­boy­kot­te, ohne die regel­mä­ßi­ge Ver­wei­ge­rung oder recht­zei­ti­ge Kün­di­gung von Ver­an­stal­tungs­sä­len, ohne die cou­ra­gier­ten welt­of­fe­nen Hotels, die kei­nem Schwe­fel­par­tei­ler Unter­schlupf gewäh­ren – eine pro­mi­nen­te AfD-Poli­ti­ke­rin erklär­te unlängst in klei­ner Run­de, dass von zehn Über­nach­tungs­an­fra­gen, die sie im bes­ten ’schland ever in Auf­trag gebe, ca. neun abge­lehnt wür­den; das jeweils zehn­te Hotel wird sich dem­nächst kri­ti­schen Fra­gen stel­len müs­sen. Zum Bei­spiel ange­sichts der – oben­drein schon vor sechs Jah­ren ver­kün­de­ten – muti­gen Ent­schei­dung des Ber­li­ner Arbei­ter-Sama­ri­ter-Bunds, kei­ne Ers­te-Hil­fe-Kur­se für AfD-Mit­ar­bei­ter abzuhalten.

„Fin­dest Du es gut, ver­ach­tet zu sein?” Ich mei­ne, in der Stim­me des Fra­gers habe Gram gele­gen. Kein Grimm? Nein, der Kol­le­ge frag­te eher gräm­lich. Gram und Grimm sind übri­gens ety­mo­lo­gisch ver­wandt. Gram heißt das Schwert von Sigurd (Sieg­fried) in der Edda, und so viel Kum­mer die­se Waf­fe zu berei­ten ver­moch­te, dürf­te wohl doch der Grimm ihres Besit­zers namens­ge­bend gewe­sen sein. Irgend­wann hat der Gram seman­tisch den Grimm ver­las­sen und sich dem Kum­mer ange­nä­hert. Die heu­te noch gebräuch­li­che For­mu­lie­rung „Bist du mir gram?” mar­kiert gewis­ser­ma­ßen die hal­be Weg­stre­cke. Als pas­sen­der Begriff für die­sen Zwi­schen­auf­ent­halt käme der Groll in Betracht. Vom Gram über den Groll zurück zum Grimm – wäre das nicht ein pas­sa­bler Weg?

„Fin­dest Du es gut, ver­ach­tet zu sein?”, lau­te­te die Fra­ge, und sie ging an mich. Zunächst ein­mal: Vie­le die­ser Leu­te ver­ach­ten nicht, son­dern haben bloß Angst. Sie genie­ßen nicht das Pri­vi­leg, bei einem Arbeit­ge­ber beschäf­tig zu sein, bei dem man sie nicht denun­zie­ren kann. Sie las­sen sich gut deutsch von eini­gen Tau­send­schaf­ten staat­lich ein­ge­fet­te­ter Pro­pa­gan­dis­ten und Polit­kom­mis­sa­re in jedes Bocks­horn jagen. Die­se Dackel – ich weiß, lie­be Dackel­be­sit­zer, dass das cha­rak­ter­lich ein­wand­freie Tie­re sind, ich wäh­le sie bloß als Meta­pher – wür­de ich bemit­lei­den, wenn sie mir nicht schnurz wären. Es sind Füllsel.

Ver­ächt­lich indes ist jener Typus Denun­zi­ant, Block­wart, Sys­tem­schran­ze, wie er in all sei­ner ver­klemm­ten und latent sadis­ti­schen Beflis­sen­heit zuletzt in Gestalt eines Schul­di­rek­tors in Rib­nitz-Dam­gar­ten in Erschei­nung trat. In der „Ehe­ma­li­gen” fand die­ser Typus zwar kei­nen so fabel­haf­ten Nähr­bo­den wie im spät­bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen „Kampf” gegen „Rechts”, doch es stan­den ihm dort ganz ande­re Mit­tel zur Ver­fü­gung resp. Repres­si­ons­or­ga­ne zur Sei­te. Alex­an­der Wendt, aus der Zukunft stam­mend wie ich, hat dem ewi­gen Diede­rich Heß­ling eine exzel­len­te, auto­bio­gra­phisch gefärb­te Betrach­tung zuge­eig­net.

Ich bin mir übri­gens nicht sicher, ob die­ser Men­schen­schlag tat­säch­lich ande­re ver­ach­tet und nicht viel­mehr tief in sei­nem Innern die eige­ne Schä­big­keit deut­lich spürt.

Apro­pos „Ehe­ma­li­ge”: In dem oben ver­link­ten Film­chen zur Ber­li­na­le sagt die Mimin Hei­ke Makat­sch, dass sie die „Men­schen­ket­te für Demo­kra­tie” sehr gut und wich­tig fand, sich aber lei­der nicht habe ein­rei­hen kön­nen: „Eigent­lich woll­te ich dabei sein, aber irgend­wie habe ich sie nicht gefun­den.” So ent­schul­dig­te man sich in der Zone übri­gens, wenn man zur Demons­tra­ti­on am 1. Mai oder am Tag der DDR sei­nen Marsch­block ent­we­der tat­säch­lich nicht gefun­den hat­te oder reni­tent daheim geblie­ben war. Nur erklär­te nie­mand nach­träg­lich, er habe den Marsch­block gut und wich­tig gefunden.

Es steht noch die Fra­ge im Raum, ob ich es gut fin­de, ver­ach­tet zu wer­den. Sie ist frei­lich falsch gestellt. Tat­säch­lich müss­te es hei­ßen, ob ich es gut fin­de, (bis­wei­len) gemie­den, geschnit­ten, boy­kot­tiert, denun­ziert, in irgend­wel­chen online-Kloa­ken belei­digt zu wer­den. Ich glau­be näm­lich nicht, dass es auf der Sei­te der Mei­der, Schnei­der, Boy­kot­tie­rer, Denun­zi­an­ten und Belei­di­ger auch nur einen gibt, der es mit mei­ner umge­kehr­ten Ver­ach­tung auf­neh­men könn­te. Nicht eine Sekun­de möch­te ich im Krei­se sol­cher Leu­te ver­brin­gen. Lie­ber befin­de ich mich allein im schrei­ends­ten Unrecht als auch nur in der Nähe die­ser Meu­te fei­ler Skla­ven­see­len. Es ist nicht mehr nur eine Fra­ge des Ekels. Es ist inzwi­schen auch eine Fra­ge der ganz per­sön­li­chen, ganz indi­vi­du­el­len Ehre.

Da capo: „Dei­ne Hal­tung sehend, inter­es­siert mich dein Ziel nicht.”
(Brecht, „Geschich­ten vom Herrn Keuner”)

***

Ich kann aber jeden ver­ste­hen, der es nicht mehr erträgt.

***

PS: Der zitier­te Kol­le­ge sagt, ich hät­te den viel­leicht wich­tigs­ten Punkt ver­ges­sen: Was ihn am meis­ten anwi­de­re, sei die völ­li­ge Unfair­ness gegen­über der Schwe­fel­par­tei, der feh­len­de Sports­geist, das stän­di­ge vor­sätz­li­che Foulspiel.

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Wenn sich die Zivil­ge­sell­schaft im Gan­zen auf­führt, als sei sie von Goeb­bels instru­iert wor­den, dies­mal eben gegen „Rechts” zu kämp­fen (was nicht aus­rei­chend getan zu haben der Füh­rer nach dem 20. Juli 1944 ja hef­tig bedau­er­te), ist es wenig erstaun­lich, dass die Grü­nen in Thü­rin­gen unge­fähr das for­dern, was nach ihrer Dar­stel­lung eigent­lich der Höcke tun will: die Errich­tung eines auto­ri­tä­ren Maß­nah­me­staa­tes samt Besei­ti­gung der Oppo­si­ti­on unter pro for­ma-Wah­rung des demo­kra­ti­schen Anscheins.

Da ein Regio­nal­ab­le­ger der Satra­pen Washing­tons nicht alles im Blick haben kann, sei noch Punkt elf nachgelegt.

Er meint, glau­be ich, aber noch nicht den Bürgerkrieg.

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Zum Ter­ror in Mos­kau nur so viel: Es war von Anfang an klar, wel­chem Welt­teil die­ser letzt­lich ja Bru­der­krieg scha­den, wel­chen Welt­teil er schwä­chen wird. Die­ser Anschlag war nur ein Vor­ge­schmack, auch für West­eu­ro­pa, wo das Per­so­nal für sol­che Aktio­nen, gebor­gen im gro­ßen Schwarm der Kat­rin Göring-Eckardt geschenk­ten Men­schen, beschwingt ein­wan­dern durf­te – und darf! Die soge­nann­ten Eli­ten wird es eher nicht tref­fen; es sei denn, ihre Kin­der ver­ir­ren sich mal ins fal­sche Konzert/den fal­schen Klub, oder es erwischt doch mal wie­der ein Flugzeug.

Man muss aber schon eine sehr spe­zi­el­le Mol­lus­ke sein, um aus dem Anschlag die Not­wen­dig­keit für wei­te­re Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne herzuleiten.

„Wenn man annimmt, dass ISIS den Zeit­punkt nicht zufäl­lig gewählt, son­dern gewar­tet hat, bis sich Russ­land mög­lichst weit mit dem Ukrai­ne-Krieg selbst ver­braucht hat und nicht zeit­nah zurück­schla­gen kann, dürf­te dann auch für West­eu­ro­pa und Deutsch­land bald der pas­sen­de Augen­blick gekom­men sein, wenn nicht nur die Bun­des­wehr und der Staat im Eimer, son­dern auch die Muni­ti­ons­la­ger mög­lichst leer sind”, spe­ku­liert Danisch. „Wird noch lus­tig, wenn die dann in allen gro­ßen euro­päi­schen Län­dern gleich­zei­tig losschlagen.”

Lieb’ Elter 2‑Land, magst ruhig sein.

***

Es ist ein son­der­ba­res Land: Leu­te, gegen die eigent­lich ermit­telt wer­den müss­te, wer­den zu Ermitt­lern nobilitiert.

Die Mer­kel-Rei­he ist sogar ver­filmt wor­den (nein, geehr­ter Herr ***, ich wer­de dar­über nichts schreiben).

Bernd Zel­ler hat es schon getan.

Was die­se Bücher und der Film tat­säch­lich zum Aus­druck brin­gen, ist eine Mischung aus Infan­ti­li­tät und Unter­ta­nen-Gesin­nung mit Hang zur Ido­la­trie, wie sie in der jün­ge­ren deut­schen Geschich­te nicht ohne Tra­di­ti­on ist. Deutsch sein heißt, mit Freu­den regiert zu wer­den – und am Ende aus allen Wol­ken zu fallen.

***

Vor­schlag für einen neu­en, dies­mal in Deutsch­land spie­len­den Super­man-Comic: Hate-Man. Hate-Man trägt eine blaue Mas­ke, eine Hun­de­kra­wat­te und bezieht sei­ne Super­kräf­te aus der ille­ga­len Nut­zung von Atom­ener­gie. Er warnt Rechts­po­pu­lis­ten recht­zei­tig vor Haus­durch­su­chun­gen, ver­steckt die Wurf­ge­schos­se von Anti­fan­ten, ver­wan­delt den Leim von Kli­makle­bern in Erbro­che­nes und ver­biegt die Tril­ler­pfei­fen von „Omas gegen rechts”, die er aber trotz­dem sicher über die Stra­ße gelei­tet. Hate-Man unter­stützt zugleich die Poli­zei im Kampf gegen Gewalt­ver­bre­cher. Er macht Mes­ser stumpf und hilft Frau­en, Schwu­len, Tran­sen oder Juden, die ver­se­hent­lich in die Par­ty- und Event­sze­ne gera­ten sind, unbe­scha­det heim­zu­kom­men. In sei­ner Frei­zeit bringt er Wind­rä­der zum Ste­hen. Sein gro­ßer Geg­ner ist Brand­mau­er-Man.

Die ers­te Fol­ge spielt übri­gens in Stuttgart.

Das war am Neckar­strom nie anders.

Aber jetzt ist es ein Fall für Hate-Man!

***

Auf mei­ne Bespre­chung von Mathi­as Brod­korbs Buch über den Ver­fas­sung­schutz (Acta vom 21. März) folg­ten eini­ge Reak­tio­nen. Lese­rin *** nimmt den Text zum Anlass, mich auf die Web­sei­te der Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung hin­zu­wei­sen, wo sich ein Bei­trag mit dem vom VS-Prä­si­den­ten Hal­den­wang und sei­ner Dienst­her­rin Nan­ny Fae­ser kre­ierten „Phä­no­men­be­reich Dele­gi­ti­mie­rung des Staa­tes” beschäf­tigt, und zwar akkla­mie­rend. Kon­rad Ade­nau­er, falls es jeman­dem ent­fal­len ist, war Mit­glied der CDU, und die nach ihm benann­te Stif­tung ist ein soge­nann­ter Think Tank der Uni­on. Der Text stammt aller­dings von einem Gast­bei­trä­ger, Pro­fes­sor Ste­fan Goertz von der Hoch­schu­le des Bun­des, Fach­be­reich Bundespolizei.

Um zu illus­trie­ren, was nach sei­nem Dafür­hal­ten „extre­mis­tisch” sei und unter die genann­te „Dele­gi­ti­mie­rung” fal­le, nennt er fol­gen­de Beispiele:

– „Ein­zel­ne Prot­ago­nis­ten der Quer­den­ken-Bewe­gung haben im Kon­text von Coro­na-Pro­tes­ten sowie über Sozia­le Medi­en mit­tel­bar zum Umsturz der bestehen­den poli­ti­schen Ord­nung unse­res Lan­des aufgerufen.”

Da wüss­te ich doch gern, ob sie tat­säch­lich die poli­ti­sche Ord­nung oder bloß den von der Regie­rung instal­lier­ten samt­hand­schuh­be­frei­ten Pan­de­mie­staat „umstür­zen” woll­ten, der vor­sätz­lich Angst in der Bevöl­ke­rung schür­te und des­sen über­zo­ge­ne Maß­nah­men inzwi­schen sogar im ZDF kri­ti­siert werden.

– „Ana­lo­gien zu Dik­ta­tu­ren, unter ande­rem zum Natio­nal­so­zia­lis­mus, wer­den immer wie­der bewusst her­ge­stellt, um der Bun­des­re­gie­rung, den Lan­des­re­gie­run­gen sowie der Exe­ku­ti­ve die Legi­ti­mi­tät abzusprechen.”

Zur Dele­gi­ti­mie­rung der Oppo­si­ti­on sind sie aber erlaubt, erwünscht und des­halb Alltag.

– „Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ver­bre­chen wer­den rela­ti­viert, indem die staat­li­che Coro­na-Impf­kam­pa­gne mit der Ver­fol­gung der Juden gleich­ge­setzt wird.”

Und wie ver­hält es sich mit Wann­see­kon­fe­renz 2.0, „Nazis” im Bun­des­tag und so?

– „Die deut­sche Volks­sou­ve­rä­ni­tät wird agi­ta­to­risch ver­ächt­lich gemacht und angezweifelt.”

Der schreibt echt „Volks­sou­ve­rä­ni­tät”. Die kom­plet­te Bun­des­re­gie­rung zwei­felt dar­an und schickt Leu­ten den Ver­fas­sung­schutz auf den Hals, die die­ses Wort im Mun­de füh­ren. Es muss min­des­tens „Staats­volks­sou­ve­rä­ni­tät” heißen!

– „Der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land wird gezielt die Eigen­schaft abge­spro­chen, ein Rechts­staat zu sein (Prin­zip der Gesetzesbindung).”

Das ist eine Dele­gi­ti­mie­rung, die auch ich mir in mein Kerb­holz gra­vie­ren las­sen muss. Das Land der Haus­durch­su­chun­gen und Com­pu­ter­be­schlag­nah­mun­gen wegen Mei­nungs­de­lik­ten, der Poli­ti­sie­rung der Poli­zei durch Fae­ser und die Grü­nen, der seit über einem Jahr ohne Gerichts­ver­hand­lung ein­sit­zen­den bzw. auf ihre Ankla­ge war­ten­den grei­sen Arm­brust­put­schis­ten, von denen der ers­te jetzt ver­stor­ben ist, das Land der wie Wun­den offen­ge­hal­te­nen Gren­zen, in dem Hun­dert­tau­sen­de ohne Auf­ent­halts­ti­tel leben und zahl­rei­che  Gewalt­tä­ter auf frei­em Fuße sind, und eines von den Par­tei­en geka­per­ten Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, das der Regie­rung zur Ret­tung des glo­ba­len Kli­mas erlaubt hat, die Grund­rech­te der Bür­ger ein­zu­schrän­ken und auch sonst poli­tisch auf Linie gebracht wor­den ist, ist kein Rechts­staat mehr – und zwar nicht ver­gli­chen mit Vene­zue­la oder Russ­land, son­dern mit der Bun­des­re­pu­blik vor zwan­zig Jahren.

– „Rhe­to­risch und kör­per­lich aggres­si­ver Umgang mit Medi­en­ver­tre­tern, Poli­zei­be­am­ten und ande­ren Mit­ar­bei­tern der Verwaltung.”

Rhe­to­risch aggres­si­ver Umgang mit Medi­en­ver­tre­tern ist Dele­gi­ti­mie­rung des Staa­tes – anders hät­ten Hon­ecker und Miel­ke die Sache auch nicht gese­hen. Aber schön, dass es ein staats­fi­nan­zier­ter Poli­zei­pro­fes­sor mal so unver­blümt ausspricht!

– „Das Ver­brei­ten von anti­se­mi­ti­schen Verschwörungserzählungen.”

Dafür sähe ich auch gern Exem­pel. Tat­säch­lich ver­hält es sich ja meis­tens so, dass jede Rede von der Macht der glo­ba­lis­ti­schen Klas­se von inter­es­sier­ter Sei­te stracks in eine „jüdi­sche Welt­ver­schwö­rung” umge­deu­tet wird – „Glo­ba­lis­ten” sei ein rechts­extre­mes Code­wort für Juden, erklär­te unter ande­rem die Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung –, womit sich eigent­lich die Umdeu­ter als anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­er­zäh­ler zu erken­nen geben (es sei denn, sie mei­nen, alle Glo­ba­lis­ten sei­en Juden).

– „Auf­ru­fe zur Aus­übung von Gewalt gegen Andersdenkende.”

Anti­fa? Böh­mer­mann? Die For­de­rung, Impf­ver­wei­ge­rern die Betei­li­gung am öffent­li­chen Leben zu verwehren?

„Weil das Zuord­nen der maß­geb­li­chen Per­so­nen­zu­sam­men­schlüs­se und Ein­zel­per­so­nen im Bereich Dele­gi­ti­mie­rung des Staa­tes für die deut­schen Ver­fas­sungs­schutz­be­hör­den in vie­len Fäl­len weder zu einem bestehen­den Beob­ach­tungs­ob­jekt von Extre­mis­mus noch zu einem der Phä­no­men­be­rei­che von Extre­mis­mus ohne Ein­schrän­kun­gen mög­lich war, ist die Ein­rich­tung des neu­en Phä­no­men­be­rei­ches ‚Ver­fas­sungs­schutz­re­le­van­te Dele­gi­ti­mie­rung des Staa­tes’ fol­ge­rich­tig”, appor­tiert Pro­fes­sor Goertz sein Resümee.

Auf deutsch: Weil es bei einer Viel­zahl von Regie­rungs­kri­ti­kern nicht mög­lich war, sie in einer der bis­lang im Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz ver­wen­de­ten Schub­la­den für ver­fas­sungs­feind­li­che Bestre­bun­gen unter­zu­be­kom­men, muss­te ein neu­es, mög­lichst schwam­mi­ges und umfas­send anwend­ba­res Kri­te­ri­um gefun­den wer­den, so wie es in jeder gut auf­ge­räum­ten Küche ja auch eine Schub­la­de für all jene Uten­si­li­en gibt, die sich in die ande­ren nicht recht ein­sor­tie­ren lassen.

Der seman­ti­sche Taschen­spie­ler­trick besteht dar­in, Staat und Regie­rung gleich­zu­set­zen. So lässt sich Regie­rungs­kri­tik auf Wunsch in ver­fas­sungs­feind­li­che Dele­gi­ti­mie­rung des Staa­tes ver­wan­deln. Nun kann man der Oppo­si­ti­on, deren Mis­si­on in der Kri­tik (i.e.: Dele­gi­ti­mie­rung) der Regie­rung besteht, unter­stel­len, sie ver­fol­ge das Ziel, den Staat und damit die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung zu beschä­di­gen. In der DDR gab es kei­ne Gewal­ten­tei­lung, Regie­rung und Staat waren eins. Im Kopf von Frau Fae­ser dürf­te es sich ähn­lich verhalten.

***

Sowohl das Lan­des­amt als auch das Bun­des­amt für Ver­fas­sung­schutz haben die Par­tei Freie Sach­sen als Ver­dachts­fall für ver­fas­sungs­feind­li­che rechts­extre­me Bestre­bun­gen ein­ge­stuft. Leser *** sand­te mir nun ein Urteil des Ver­wal­tungs­ge­richts Dres­den, wel­ches, wenn ich’s recht goog­le, kein Medi­um ver­mel­det hat, wes­halb ich es als getreu­li­cher Chro­nist hier fest­hal­ten will, zumal es jenen Befund über die Serio­si­tät des Ver­fas­sungs­schut­zes bestä­tigt, den ich im oben genann­ten Ein­trag referierte.

In der „Ver­wal­tungs­rechts­sa­che der Freie Sach­sen gegen den Frei­staat Sach­sen, ver­tre­ten durch das Lan­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz, ver­tre­ten durch den Prä­si­den­ten”, ent­schied das Gericht am 12. März 2024:

Es ist der­sel­be Vor­wurf, wie ihn das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um vor Gericht unter Beru­fung auf den Ver­fas­sungs­schutz gegen das Insti­tut für Staats­po­li­tik erho­ben hat (sie­he Acta vom 21. März), und wie­der erweist er sich als aus der Luft gegrif­fen und nicht belegt. Man ver­steht wie­der ein biss­chen mehr, war­um die bei­den im genann­ten Acta-Ein­trag zitier­ten Extre­mis­mus­for­scher bzw. Ver­fas­sungs­schutz­ver­ste­her den Inlands­ge­heim­dienst der rich­ter­li­chen Kon­trol­le wenigs­tens teil­wei­se zu ent­zie­hen wünschen.

***

Zum sel­ben Thema.

„Die Riva­li­tät von Politologen/Soziologen und Ver­fas­sungs­ju­ris­ten” ist Leser *** „zuerst auf­ge­fal­len anhand der Tat­sa­che, dass ‚rechts­ra­di­kal’ und ‚rechts­extrem’ sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Begrif­fe sind und auf das Ver­fas­sungs­recht kei­ne Rück­sicht neh­men müs­sen – die sei­ner­zei­ti­ge Sinus-Stu­die berief sich aus­drück­lich dar­auf – und dass die Recht­ex­tre­mis­mus-Defi­ni­ti­on des VS und vie­ler Gerich­te von dem Sozio­lo­gen Hans-Gerd Jasch­ke stammt, einem Frank­fur­ter Schü­ler, der auch an eine Fach­hoch­schu­le für öffent­li­che Ver­wal­tung gegan­gen ist. Wie weit gab es da bewuss­te Unter­wan­de­rung, und wie weit wur­de ein­fach eine Alters­ko­hor­te lin­ker Sozi­al­wis­sen­schaft­ler von der öffent­li­chen Ver­wal­tung ‚auf­ge­so­gen’?”

Na was denn sonst!

***

„In Ihrem Text zum Deut­schen Volk und der Volks­zu­ge­hö­rig­keit ver­wei­sen Sie auf die in den Osten Aus­ge­wan­der­ten, die dann doch auch Deut­sche sei­en (oder sind)”, schreibt Leser ***. „Sie soll­ten aber auch ein­mal einen Blick in den Wes­ten wer­fen. Mei­nes Wis­sens hat jeder das Anrecht auf einen deut­schen Paß, ist somit (Volks?-)Deutscher, des­sen Vor­fah­ren als Deut­sche 1914 in Deutsch­land gelebt haben. Nun ist Deutsch­land dank der glor­rei­chen Feld­zü­ge der letz­ten Poli­ti­ker­ge­nera­tio­nen seit 1914 ziem­lich geschrumpft und zwar nicht nur im Osten. Nach der Logik hat aber jeder Elsäs­ser und Deutsch-Loth­rin­ger (das umfaßt die fran­zö­si­schen Depar­te­ments mit den Num­mern 54, 57, 67 und 68) also das Anrecht auf einen deut­schen Paß. Ob die den heu­te noch wol­len, sei dahin­ge­stellt, da es sich mitt­ler­wei­le in Ost­frank­reich deut­lich bes­ser lebt als im Irren­haus Euro­pas. Aber das hat ja mit der Grund­sätz­lich­keit der Ange­le­gen­heit nichts zu tun. Ich gehe davon aus, für die ‚Bel­gi­er’ in Eupen-Mal­me­dy gilt dasselbe.

Vie­le Grü­ße aus Fran­zö­sisch-Loth­rin­gen, direkt von der ehe­ma­li­gen Grenze.”

***

Zum sel­ben The­ma bemerkt Leser ***: „Bereits im Grund­ge­setz ist der Begriff ‚Volks­zu­ge­hö­rig­keit’ in Art. 116 als eine Kate­go­rie, die über die blo­ße Staats­an­ge­hö­rig­keit hin­aus­geht, erfasst. Vor die­sem Hin­ter­grund begin­ne ich, die jün­ge­re deut­sche Geschich­te, spe­zi­ell die deut­sche Wie­der­ver­ei­ni­gung, noch ein­mal etwas genau­er zu ver­ste­hen. Bekannt­lich waren ja die meis­ten der west­deut­schen Lin­ken bis hin­auf in die Par­tei­spit­ze der SPD (Schrö­der, Lafon­taine) bis zum Mau­er­fall und noch kur­ze Zeit danach Geg­ner der deut­schen Ein­heit. Das lag wohl nur zum einen an ihrer Lieb­äu­ge­lei mit dem Sozia­lis­mus. Die bevor­zug­te Alter­na­ti­ve zwei­er deut­scher Staa­ten war nur mög­lich, wenn man zum ande­ren schon damals den eth­ni­schen Volks­be­griff über Bord gewor­fen hat­te und die DDR-Deut­schen als nicht zum deut­schen Staats­volk gehö­rig, als Aus­län­der aus­sor­tier­te. Dar­in kamen ihnen Ansicht und Pra­xis der SED ent­ge­gen. Die dop­pel­te Staats­bür­ger­schaft, die die Bun­des­re­pu­blik den DDR-Deut­schen seit dem Allein­ver­tre­tungs­an­spruch außer­halb des Wir­kungs­krei­ses der DDR gewähr­te, fuß­te hin­ge­gen auf dem Begriff des eth­nisch-kul­tu­rel­len Vol­kes und mach­te die Wie­der­ver­ei­ni­gung erst mög­lich. Viel­leicht ver­zeiht die ton­an­ge­ben­de Lin­ke im Wes­ten dem Osten bis heu­te in beson­de­rem Maße nicht, dass sie Deut­sche sind.”

***

Um eth­ni­sche Her­kunft geht es auch im fol­gen­den Fal­le, frei­lich um die Tücken derselben.

Für mei­ne Gene­ra­ti­on in der DDR – ich kom­me von die­sem Länd­chen heu­te nicht los – war die Ame­ri­ka­ne­rin Ange­la Davis das, was her­ren- oder text­chef­lo­se Journalist:*innen inzwi­schen eine „Iko­ne” nen­nen wür­den. Die Pro­pa­gan­da ver­kauf­te uns die schwar­ze Kom­mu­nis­tin als Wider­stands­kämp­fe­rin gegen das impe­ria­lis­ti­sche Sys­tem der USA, und die Maid, die mit den Ost­block-Dik­ta­tu­ren weni­ger Pro­ble­me hat­te als mit ihrem Hei­mat- oder Her­kunfts­land, schau­te sogar per­sön­lich in Erichs des Ein­zi­gen fest­um­frie­de­ten Arbei­ter- und Bau­ern­ge­he­ge vorbei.

Als typi­sche Lin­ke und Ange­hö­ri­ge der „Black Pan­ther” gehör­te Mrs. Davis zu den Weg­be­rei­tern der ras­sis­ti­schen Iden­ti­ty Poli­tics. Nun, in ihrem 80. Lebens­jahr, muss­te sie erfah­ren, dass sie nicht nur Wei­ße in ihrem Stamm­baum hat, son­dern dass einer ihrer Vor­fah­ren aus­ge­rech­net an Bord der „May­flower” die Neue Welt erreichte.

(Quel­le)

„Sie stam­men von den 101 Men­schen ab, die auf der May­flower gese­gelt sind“, wird der Direk­tor des Hut­chins Cen­ter for Afri­can and Afri­can Ame­ri­can Rese­arch an der Har­vard Uni­ver­si­ty zitiert. Mehr noch, sie stam­me sogar von Skla­ven­hal­tern ab.

In den sozia­len Medi­en wur­de dis­ku­tiert, ob Davis nach einer gewis­sen Logik jetzt Wie­der­gut­ma­chung an Schwar­ze zah­len soll­te. „Das ver­deut­licht anschau­lich die Absur­di­tät des Kon­zepts der Wie­der­gut­ma­chung“, kom­men­tiert jemand auf Twit­ter. „Ich den­ke, vie­le Men­schen wären scho­ckiert, wenn sie erfah­ren wür­den, von wem sie abstam­men“, twit­ter­te ein anderer.

Aus­ge­nom­men viel­leicht der beson­ders eif­ri­ge Teil der bun­des­deut­schen Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­ger in der Alters­ko­hor­te 65 plus: Die wis­sen ganz genau, von wem sie abstammen.

PS: „Dass sehr vie­le Ame­ri­ka­ner ‚ras­sisch gemisch­te’ Vor­fah­ren haben, ist nicht der Aus­nah­me­fall, son­dern nor­mal”, weiß Leser ***. „Eine Gen-Stu­die aus dem Jahr 2015 zeig­te anhand recht gro­ßer Samples, dass zum Bei­spiel Men­schen, die sich als ’schwar­ze’ Ame­ri­ka­ner sehen, im Durch­schnitt einen Gen-Anteil von ca. 73% afri­ka­ni­scher Her­kunft, 24% euro­päi­scher Her­kunft und knapp 1% india­ni­scher Her­kunft in sich tra­gen. (‚The gene­tic ancestry of Afri­can Ame­ri­cans, Lati­nos, and Euro­pean Ame­ri­cans across the United Sta­tes’, in: ‚Ame­ri­can Jour­nal of Human Gene­tics’, 1/2015, by Katar­zy­na Bryc et al., sie­he ‚Results’). Bei den sich selbst als ‚weiß’ bezeich­nen­den Pro­ban­den ist der Anteil afri­ka­ni­scher Gene sehr viel nied­ri­ger, dafür vor allem in eini­gen süd­li­chen und west­li­chen Staa­ten der india­ni­sche Gen­pro­zent­satz nicht unbeträchtlich.

Ich fin­de es nicht unamü­sant, ‚ras­sen­kämp­fe­ri­sche’ Ideen unter die­sem Gesichts­punkt zu betrachten.”

***

Wir blei­ben in Über­see, wech­seln aber das Gen­re. Mei­ne Frau und mein Jüngs­ter waren ges­tern in der Met, gege­ben wur­de Puc­ci­nis „Turan­dot”, die Insze­nie­rung pracht­voll und kon­ven­tio­nell, in einem sagen­haf­ten alten Chi­na spie­lend. Das Publi­kum ward vor­ge­warnt, cul­tu­ral appro­pria­ti­on und so. (Die Chi­ne­sen eig­nen sich ja nie etwas an.)

Inter­es­san­ter­wei­se war das Publi­kum im Schnitt recht jung – die Metro­po­li­tan Ope­ra ist mit knapp 4000 Plät­zen übri­gens fast dop­pelt so groß wie die Staats­oper Mün­chen –, wäh­rend die Musik­thea­ter- oder Kon­zert­be­su­cher­schaft hier­zu­lan­de bekannt­lich über­wie­gend aus Senio­ren besteht. Seit Jahr­zehn­ten erzählt man uns, der Sinn des soge­nann­ten Regie­thea­ters bestehe dar­in, das jün­ge­re Publi­kum in die Opern­häu­ser zu „locken”. Anschei­nend funk­tio­niert es nicht beson­ders; statt­des­sen sit­zen die Alten da und ertra­gen die meis­ten Insze­nie­run­gen bloß. Die Met ist dage­gen bekannt für ihre unan­stö­ßi­gen Regiearbeiten.

Ein Schelm, der einen Zusam­men­hang kon­stru­iert. Die meis­ten jun­gen Leu­te kamen bestimmt nur wegen der Trig­ger­war­nung und der anschlie­ßen­den Dis­kus­sio­nen in die Oper.

***

Zu mei­ner Fra­ge, war­um, wenn Bach „pure Mathe­ma­tik” sei, nie­mand ganz mathe­ma­tisch sein Werk fort­ge­setzt habe, ver­wei­sen zwei Leser auf Zeit­ge­nos­sen, die tat­säch­lich im Sti­le des Tho­mas­kan­tors „wei­ter­kom­po­niert” haben. Der Bach-Inter­pret Rudolf Lutz aus St. Gal­len ver­fass­te als Auf­trags­kom­po­si­ti­on ein Kon­zert im Sti­le Bachs, das, wie Leser *** meint, „in sei­ner Kom­ple­xi­tät und dem Melo­dien­reich­tum als ‚7. Bran­den­bur­gi­sches’ bezeich­net wer­den könn­te, wenn es denn mög­lich wäre” (hier). „Natür­lich fällt der Gesichts­punkt einer ‚mathe­ma­ti­schen’ Kom­po­si­ti­ons­wei­se Bachs man­gels Rele­vanz weg.” Noch kom­ple­xer und beein­dru­cken­der sind die drei­ßig Prä­lu­di­en und Fugen im Bach’schen Stil, die der fran­zö­si­sche Kom­po­nist Sté­pha­ne Del­place geschrie­ben und ein­ge­spielt hat (ich ver­mu­te, er spielt sie selbst). Auch hier mag Leser *** der Mathe­ma­tik nicht das Feld über­las­sen: „Sie haben natür­lich Recht: von einem ‚mathe­ma­tisch Wei­ter­kom­po­nie­ren’ kann nicht die Rede sein. Dafür ist es zu unver­schämt schön.”

Leser *** indes, Dr. math., beant­wor­tet mei­ne Fra­ge mit der Fest­stel­lung: „Weil es auch in der Mathe­ma­tik kein kano­ni­sches Ver­fah­ren zur Ent­de­ckung neu­er, bis dato unbe­kann­ter Struk­tu­ren gibt.”

Das ist nun frei­lich ein sach­tes Miss­ver­ständ­nis. Selbst­ver­ständ­lich besteht eine enge und alles ande­re als ehren­rüh­ri­ge Ver­wandt­schaft zwi­schen Musik und Mathe­ma­tik, doch die­je­ni­gen, die behaup­ten, Bachs Musik sei Mathe­ma­tik, mei­nen das in der Regel ja etwas abschät­zig, im Sin­ne von „bloß” Mathe­ma­tik. Sie wol­len aus­drü­cken, die­se Musik sei etwas nach fes­ten Regeln Kon­stru­ier­tes, Unin­spi­rier­tes, Mecha­ni­sches. Nur auf die­se Leu­te ziel­te mei­ne Bemerkung.

***

Das Wort zum Sonn­tag, Wie­der­auf­nah­me, Fort­set­zung und Ende. Eine kur­ze Medi­ta­ti­on über den Satz: Das bes­te Argu­ment für die Reli­gi­on sind State­ments von Atheisten.

Es gab zu DDR-Zei­ten (schon wie­der!) eine Leip­zi­ger (!) Rock­band mit dem infan­ti­len Namen „Karus­sell”, von der ich mir irgend­wann um 1980 ein Kon­zert in Ber­lin anhör­te, weil zwei Mit­glie­der der Grup­pe zuvor der von mir geschätz­ten und 1974 ver­bo­te­nen Klaus-Ren­ft-Com­bo ange­hört hat­ten. „Karus­sell” spiel­te damals einen Song, des­sen letz­te Stro­phe mir seit jenen Teen­ager­ta­gen im Gedächt­nis blieb.

Das Lied heißt „Das ein­zi­ge Leben”, der Text geht so:

Er war der ers­te Mann und war der letz­te auch,
Und kei­ner der dazwi­schen war,
Das war der Mut­ter und der Mut­ter Mut­ter Brauch,
Und streng geschei­telt war ihr Haar.
Sie hat­te Kin­der, eine Toch­ter, einen Sohn,
Die zog sie auf, die zogen fort.
Der Mut­ter und Mut­ter Mut­ter Lohn:
Ein lee­res Haus, ein lee­rer Hort.
Es war ihr Traum von einer gro­ßen guten Welt,
Die man beim lie­ben Gott für spä­ter hat bestellt.
Sie sang: Oh Jesu Christ,
Bit­te sei du mein Retter.
Sie sang: Oh Jesu Christ,
Komm zu mir.
Mit ihrem Glau­ben war sie glück­lich alle Zeit.
So glück­lich ste­hen wir sel­ten da.
Sagt, war­um tat die­se Frau mir leid?
War ich betrübt wenn ich sie sah?
Es war ihr Traum von einer gro­ßen guten Welt,
Die man beim lie­ben Gott für spä­ter hat bestellt.
Und ging′s zu End’, schlief sie lächelnd ein.
Da sah man sich betrof­fen an,
Weil man aus einem Leben nur allein
Doch nicht so fröh­lich schei­den kann.
Seit­her, und das sind ja nun­mehr weit über vier­zig Jah­re, fra­ge ich mich, wie man denn sonst aus dem Leben schei­den soll. Bezie­hungs­wei­se was an ihrer Art und Wei­se betrüb­nis­er­re­gend sein könne.
Aus die­sem Text, der im Got­tes­staat der Athe­is­ten zu Papier gebracht wur­de, spricht eine unge­heu­re Hybris, wie man sie sonst von reli­gi­ös durch­glüh­ten Men­schen kennt. Er bekun­det Mit­leid mit einer Frau, weil sie an Gott bzw. Chris­tus glaub­te, mit ihrem Glau­ben glück­lich war, zeit­le­bens nur einen ein­zi­gen Mann hat­te, zwei Kin­der auf­zog, die irgend­wann das Haus ver­lie­ßen (statt was sonst zu tun?), und die schließ­lich lächelnd aus dem Leben schied, weil sie dar­an glaub­te, dass noch etwas danach kommt. Der Ver­fas­ser des Tex­tes und mit ihm die Band füh­len sich die­ser ein­fa­chen Frau über­le­gen. Sie tei­len dem Publi­kum mit, dass es falsch ist, nur einen Sexu­al­part­ner zu haben, Kin­der auf­zu­zie­hen, die ohne­hin das Haus ver­las­sen, und an Gott und das ewi­ge Leben zu glau­ben. Sie tei­len aber nicht mit, was rich­tig oder wenigs­tens bes­ser ist. Kei­ne Kin­der zu zeu­gen? Ver­zwei­felt – wei­nend, schrei­end, die Welt ver­flu­chend – aus dem Leben zu schei­den? Ich glau­be weder an Gott (was ihn wahr­schein­lich amü­siert), noch woll­te ich leben wie die­se Frau, doch ich käme nie auf die Idee, mich ihr des­we­gen über­le­gen zu fühlen.
Die Poin­te kommt noch. Der Text stammt von Kurt Demm­ler, einem in der DDR bekann­ten Lie­der­ma­cher. Im Jahr 2000 wur­de ein Straf­ver­fah­ren wegen sexu­el­len Miss­brauchs von Kin­dern gegen Demm­ler eröff­net, 2008 ein zwei­tes. Man warf ihm mehr als 200 Über­grif­fe auf Mäd­chen im Alter von 10 bis 14 Jah­ren vor. Die Haupt­ver­hand­lung gegen ihn begann am 22. Janu­ar 2009 vor dem Land­ge­richt Ber­lin. In der Nacht vom 2. auf den 3. Febru­ar 2009 beging Demm­ler in sei­ner Zel­le Suizid.
Er hin­ter­ließ eine Frau und zwei erwach­se­ne Kinder.
Es ist unwahr­schein­lich, dass er lächelnd starb:
Weil man aus einem Leben nur allein
Doch nicht so fröh­lich schei­den kann.
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