Unsterbliches Modell

Die „tra­di­tio­nel­le” Fami­lie ist qua­si der natür­li­che Feind des Zeit­geis­tes. Aber kei­ne der angeb­li­chen Alter­na­ti­ven kann tat­säch­lich mit ihr kon­kur­rie­ren

Was haben das Mili­tär, die katho­li­sche Kir­che und die „tra­di­tio­nel­le“ Fami­lie gemein­sam? Es sind, folgt man der hie­si­gen Öffent­lich­keit, Insti­tu­tio­nen von ges­tern. Über­all ist von auf­zu­bre­chen­den Fami­li­en­struk­tu­ren und zu über­win­den­den Geschlech­ter­rol­len die Rede, von löb­li­chen Patch­work- und Regen­bo­gen-Fami­li­en, von Homo-Ehe, „Diver­si­ty“, libi­di­nö­ser Ori­en­tie­rungs­bunt­heit, Poly­amo­rie und so fort, als sei das mög­lichst bin­dungs­lo­se, dis­po­nible und sich auch sexu­ell ohne Ende selbst­ver­wirk­li­chen­de Indi­vi­du­um das Ziel aller Geschich­te. Die „tra­di­tio­nel­le“ Fami­lie dage­gen, heißt es, sei ein Aus­lauf­mo­dell. Dem wider­spricht aller­dings die Tat­sa­che, dass sie nach wie vor die mit Abstand häu­figs­te Zusam­men­le­bens­form dar­stellt; weit über zwei Drit­tel der Eltern mit min­der­jäh­ri­gen Kin­dern hier­zu­lan­de, näm­lich 71 Pro­zent, sind Ehepaare.

Nach Ansicht und Pro­gramm der bei­den beken­nend sozia­lis­ti­schen Par­tei­en des Lan­des, SPD und Lin­ke, gibt es Fami­lie aber bereits über­all dort, „wo Men­schen für­ein­an­der Ver­ant­wor­tung über­neh­men“ (bei den Sozis steht noch ein wacke­res „dau­er­haft“ dazwi­schen). „Dazu gehö­ren Paa­re – ob mit oder ohne Kin­der und Trau­schein – eben­so wie Allein­er­zie­hen­de, Patch­work- oder Regen­bo­gen-Fami­li­en“ (SPD); „Fami­lie ist, wo Men­schen, egal wel­cher sexu­el­len Ori­en­tie­rung, für­ein­an­der da sind“ (Lin­ke). Also qua­si über­all, Klös­ter und Knäs­te ein­ge­schlos­sen. Im Koali­ti­ons­ver­trag steht ein Bekenn­tis zur soge­nann­ten Regen­bo­gen­fa­mi­lie; ihm folgt zaun­pfahl­win­kend der Kampf gegen „Homo- und Trans­pho­bie“, was immer das sein mag, als Staats­ziel. Wie stets fünf Schrit­te wei­ter vom Weg als alle ande­ren sind die Grü­nen: „Wir wol­len eine Gesell­schaft, in der Men­schen frei von star­ren Geschlechts­zu­schrei­bun­gen leben und eige­ne Iden­ti­tä­ten ent­wi­ckeln kön­nen“, heißt es in einem Posi­ti­ons­pa­pier der Grü­nen Jugend. „Des­halb ist unse­re Ziel­vor­stel­lung eine Abschaf­fung von staat­lich und sozi­al fest­ge­schrie­be­nen Geschlechts­zu­ge­hö­rig­kei­ten. Lasst uns Geschlech­ter auf­bre­chen und Men­schen werden!“

Wenn die­se bun­te Gesell­schaft in einem Land pro­pa­giert wür­de, das vor Zukunfts­ge­wiss­heit vibrier­te und in dem es von Kin­dern wim­mel­te – aber es han­delt sich um ein immer mehr ver­grei­sen­des Land (par­don, eines in dem die Jugend­li­chen immer älter wer­den), wo jede drit­te Aka­de­mi­ke­rin so wenig von ihren Genen hält, dass sie sich nicht fort­pflanzt. Über dem gan­zen „Diversity“-Gerede liegt ein Geruch von demo­gra­fi­scher Erschöpfung.

Jah­re­lang ist uns die bür­ger­li­che Fami­lie als ver­lo­gen, bigott und fas­sa­den­haft vor­ge­führt wor­den, errich­tet auf Unter­drü­ckung (der Frau­en, der Kin­der, der eige­nen Homo­se­xua­li­tät, des Per­so­nals), auf häus­li­cher Gewalt, sexis­ti­schen Rol­len­mus­tern und so wei­ter. Und den­noch bestehen hin­rei­chen­de Grün­de zu der Annah­me, dass genau die­se „tra­di­tio­nel­le“ Fami­lie für die meis­ten Men­schen die bes­te Lösung ist, für die Kin­der sowie­so. Allein die zahl­rei­chen Stu­di­en über den man­geln­den Bil­dungs­er­folg und die hohe Kri­mi­na­li­täts­nei­gung von vater­los auf­wach­sen­den jun­gen Män­nern reich­ten als Leu­mund dafür hin. Da zur „tra­di­tio­nel­len“ Fami­lie quan­ti­ta­tiv kaum Alter­na­ti­ven sicht­bar sind, müs­sen uns die sozia­lis­ti­schen Welt­ver­ed­ler Alter­na­ti­ven qua­li­ta­ti­ver Art vor­gau­keln. Im Rah­men der all­ge­mein wal­ten­den Anti­dis­kri­mi­nie­rung sol­len ande­re Lebens­for­men der Fami­lie gleich­ge­stellt werden.

Bei­spiel Patch­work-Fami­lie. Die klas­si­sche, in immer neu­en Varia­tio­nen nach­ge­be­te­te For­mu­lie­rung, war­um Patch­work irgend­wie toll sei, lie­fer­te die (kin­der­lo­se) Sozio­lo­gin Eli­sa­beth Beck-Gerns­heim: „Wenn es Kin­dern gelingt, sich mit wech­seln­den Fami­li­en­for­men zu arran­gie­ren, so heißt dies, sie müs­sen ler­nen, Bin­dun­gen auf­zu­ge­ben, mit Ver­lust fer­tig­zu­wer­den. Sie ler­nen früh, was Ver­las­sen­wer­den und Abschied bedeu­ten. Sie erfah­ren, dass Tren­nung ein Nor­mal­ereig­nis im Leben dar­stellt.“ Mit den­sel­ben Argu­men­ten könn­te man immer­hin auch eine Bein­am­pu­ta­ti­on emp­feh­len. Gewiss, bei man­chen Men­schen ist es bes­ser, sie las­sen sich schei­den, Patch­work-Fami­li­en sind Rea­li­tät, sie funk­tio­nie­ren oft, und den­noch grün­den sie auf einem unkitt­ba­ren Riss. Sie wer­den im Ide­al­fall zwar von ande­ren Fami­li­en nicht zu unter­schei­den sein, aber es ist nicht sinn­voll, sie gleich als erstre­bens­wert zu beschreiben.

Bei­spiel Regen­bo­gen-Fami­lie. Anfang 2014 erscheint ein Buch namens „Das Regen­bo­gen-Expe­ri­ment. Sind Schwu­le und Les­ben die bes­se­ren Eltern?“ Pro­mi­nen­tes­te Bei­trä­ge­rin ist die (kin­der­lo­se) Grü­nen-Poli­ti­ke­rin Clau­dia Roth. Die Debat­te über Kin­der in gleich­ge­schlecht­li­chen Fami­li­en, heißt es in der Vor­ankün­di­gung, wer­fe „die Fra­ge nach dem Bestand der tra­di­tio­nel­len Fami­lie als Keim­zel­le unse­rer Gesell­schaft“ auf. Allein im Buch­ti­tel ste­cken eine Imper­ti­nenz und zwei Moge­lei­en. Imper­ti­nent ist es, ein paar tau­send Homo­se­xu­el­le, wenn auch nur in Fra­ge­form, über Mil­lio­nen Hete­ros zu stel­len. Moge­lei wie­der­um ist ers­tens die Aus­sa­ge, Homo­se­xu­el­le sei­en die „Eltern“ des Kin­des, was doch höchs­tens nur auf einen der bei­den Part­ner zutrifft. Homo­se­xu­el­le Fami­li­en sind per se Tren­nungs­fa­mi­li­en – einer der bei­den leib­li­chen Eltern­tei­le lebt nicht beim Kind. Mögen nor­ma­le Fami­li­en noch so oft zer­bre­chen: Dort ist das Sche­ma Mut­ter-Vater-Kind immer struk­tu­rell ange­legt. Bei den Regen­bo­gen-Fami­li­en dage­gen muss das Kind a prio­ri und unge­fragt ver­zich­ten. Sein Wohl ist jenem von Papi und Papi oder Mami und Mami nach­ge­ord­net. Es wird sei­nen Vater oder sei­ne Mut­ter ent­we­der nicht ken­nen­ler­nen oder mit einer gewis­sen Wahr­schein­lich­keit in see­li­sche Kon­flik­te gera­ten. Die zwei­te Moge­lei besteht in der Aus­sicht, man kön­ne die im Buch­ti­tel gestell­te Fra­ge beant­wor­ten. Dafür ist das Phä­no­men viel zu jung, dafür müss­te erst eine Gene­ra­ti­on von Kin­dern mit gleich­ge­schlecht­li­chen Eltern auf­ge­wach­sen sein und sel­ber Kin­der haben. Im Übri­gen wird es inter­es­sant zu beob­ach­ten, was pas­siert, wenn die Fra­ge nega­tiv beant­wor­tet wer­den muss.

Mag sein, dass Regen­bo­gen-Fami­li­en eines Tages akzep­tiert sind, mag sogar sein, dass fami­li­en­grün­den­de Homo­se­xu­el­le dann nicht mehr von den Fort­schritt­lern hofiert wer­den, weil sie kon­ser­va­tiv und damit abräu­men­swert gewor­den sind. Denn Fami­lie erzieht ten­den­zi­ell zum bewuss­ten Ver­zicht, zur Selbst­ver­leug­nung, zu einem Sich-Auf­op­fern, das nicht nach Grund und Hono­rar fragt. Es ist das, was Femi­nis­tin­nen, sofern es sich um die soge­nann­te Mut­ter­rol­le han­delt, sofort „Aus­beu­tung der Frau“ nen­nen, oder was die (kin­der­lo­se) Publi­zis­tin Bascha Mika als „Gei­sel­men­ta­li­tät“ ihrer Geschlechts­ge­nos­sin­nen schmäht (bei Män­nern ist es in Ord­nung). Es ist ein Zurück­tre­ten zu Guns­ten ande­rer, wie es der Zeit­geist ein­fach nicht mehr vor­sieht und nur die Kraft der Bluts­ban­de zu erzeu­gen ver­mag. Des­we­gen fin­den wir in vie­len Fami­li­en nach wie vor eine Asym­me­trie der Las­ten­ver­tei­lung, die sich in außer­fa­mi­liä­ren Struk­tu­ren sofort als Unge­rech­tig­keit ange­pran­gert sähe. Die­se staat­lich kaum beein­fluss­ba­re Soli­da­ri­tät ohne Rück­sicht auf Chan­cen­gleich­heit ist den Sozia­lis­ten und Gleich­stel­lern aller Par­tei­en ein ewi­ges Ärgernis.

Alle, die in tra­di­tio­nel­ler Fami­lie leben, sol­len wis­sen: Es gibt nichts und nie­man­den, dem gegen­über Sie sich recht­fer­ti­gen oder legi­ti­mie­ren müss­ten. Auf Sie kommt es letzt­lich an. Sie sind das Salz der Erde.

Erschie­nen in: Focus 52/2013

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