Robert Schumann: Dichterliebe

Ich bin eigent­lich bei wei­tem nicht alt genug, um noch mit den Gedich­ten Hein­rich Hei­nes auf­ge­wach­sen zu sein, aber offen­bar seit jeher hin­rei­chend welt­fremd, es doch getan zu haben. In Abwand­lung eines berühm­ten Nietz­sche-Wor­tes hät­te ich mei­ne Jugend nicht aus­ge­hal­ten ohne Hei­ne. Doch die Erin­ne­run­gen an Herz­schmerz und Lie­bes­seuf­zer zer­ran­nen im Stahl­bad des soge­nann­ten Rei­fer­wer­dens. Wahr­schein­lich wären sie auch hin­der­lich gewe­sen inmit­ten der Pro­fa­ni­tä­ten des moder­nen Erwerbs­le­bens – und gro­tesk ana­chro­nis­tisch in Zei­ten von Gen­der-Main­strea­ming auf der einen, por­no­gra­phi­scher Grund­ver­sor­gung auf der andern Sei­te. Lan­ge hat­te ich die hol­den Ver­se weder gele­sen noch in den kon­ge­nia­len Ver­to­nun­gen durch vor allem Schu­bert und Schu­mann gehört. Aber als ich neu­lich eher zufäl­lig die „Dich­ter­lie­be“ wie­der auf­leg­te, war der alte süße Kum­mer plötz­lich von neu­em da.

Schu­mann wähl­te für den Zyklus 16 – ursprüng­lich 20 – Gedich­te des „Lyri­schen Inter­mez­zos“ aus dem „Buch der Lie­der“ und schuf mit sei­nem Opus 48 eines der kost­bars­ten Klein­odi­en der Roman­tik. Nie wie­der hat er so zärt­li­che und schö­ne Melo­dien geschrie­ben. Die Kla­vier­be­glei­tung ist zurück­hal­tend und  über­wäl­ti­gend lyrisch („Im wun­der­schö­nen Monat Mai“, „Hör ich das Lied­chen klin­gen“, „Am leuch­ten­den Som­mer­mor­gen“). Nur das fina­le „Die alten bösen Lie­der“ bil­det in sei­ner stamp­fen­den Akkor­dik einen ähn­lich ins Tri­via­le bzw. Popu­lä­re abglei­ten­den Schluss wie die zwölf­te sei­ner „Sym­pho­ni­schen Etü­den“ (trotz der gran­dio­sen Kon­tra­punk­tik bei Letz­te­rer); ande­rer­seits wirkt der robus­te Kon­trast zu den schwär­me­ri­schen Trau­rig­kei­ten zuvor womög­lich nahe­zu kathartisch.

Dass der Tenor Fritz Wun­der­lich die über­ir­di­sche Gestalt in der Geschich­te des Gesan­ges ist, qua­si der Dinu Lipat­ti der Stim­me, steht für mich seit lan­gem außer Fra­ge. „Und wüßten’s die Blu­men, die kleinen,/ Wie tief ver­wun­det mein Herz“ – wenn man das von ihm hört, zer­knüllt es das eige­ne, bis die Augen über­ge­hen. Nie wie­der wird man die­se Lie­der in sol­cher Voll­endung zu hören bekommen.

Robert Schu­mann: Dich­ter­lie­be; Fritz Wun­der­lich, Hubert Gie­sen (Deut­sche Gram­mo­phon)

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Juli 2014
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