Kathleen Ferrier singt Mahler und Brahms

„Alles an ihr war schön“, erin­ner­te sich Bru­no Wal­ter, „ihre Erschei­nung, ihre See­le, ihre Stim­me, ihr Aus­druck.“ Der gro­ße Diri­gent zähl­te die Zusam­men­ar­beit mit Kath­le­en Fer­ri­er zu den Glanz­punk­ten sei­nes Lebens. Bis heu­te gilt die eng­li­sche Sän­ge­rin, die zunächst eine Lauf­bahn als Pia­nis­tin hat­te ein­schla­gen wol­len, als bedeu­tends­te oder zumin­dest legen­därs­te Altis­tin über­haupt. Ihre Kar­rie­re war kurz, aber kome­ten­haft. Als Sän­ge­rin tauch­te die Fer­ri­er nach dem Zwei­ten Welt­krieg auf, und als 1953 an Brust­krebs starb, war sie gera­de 41 Jah­re alt.

Ihr Leben scheint nicht beson­ders glück­lich und schließ­lich vom nahen­den Tod über­schat­tet gewe­sen zu sein, 1944 gab es eine ers­te Unter­su­chung, 1951 die ers­te Ope­ra­ti­on. Der ent­rück­te Ernst, der aus ihrer Kunst spricht, dürf­te auch mit die­ser exis­ten­ti­el­len Bür­de zusam­men­hän­gen. Fer­ri­ers Organ war gewal­tig und sinn­lich über­wäl­ti­gend, aber nicht im femi­ni­nen Sin­ne; sie sang weni­ger wie eine jun­ge und oben­drein recht hüb­sche Frau, son­dern wie ein Ora­kel, wie eine Nor­ne, Par­ze oder Pries­te­rin. Die­ser Gesang kommt von oben und zugleich aus der Tiefe.

Wenn die Fer­ri­er Mahlers/Rückerts „Ich bin der Welt abhan­den gekom­men“ dar­bie­tet, besteht nicht der lei­ses­te Zwei­fel, dass es sich genau so ver­hält. Ihr „Um Mit­ter­nacht“ wie­der­um ist von einer Erha­ben­heit ohne­glei­chen. Bei der „Alt-Rhap­so­die“, einem merk­wür­dig zer­ris­se­nen Werk und in sei­nen hoff­nungs­vol­len Pas­sa­gen der größ­te Schmacht­fet­zen, den Brahms sich geleis­tet hat (aber da ich das Stück in mei­ner Jugend schmerz­lich lieb­te, will ich ihm treu blei­ben), höre man nur, wie sie „Das Gras steht wie­der auf,/die Öde ver­schlingt ihn“ stöhnt, seufzt und haucht… Die her­ben „Vier erns­ten Gesän­ge“, die den tie­fen Fata­lis­mus des Buches Pre­di­ger (Kohe­let) mit den pau­li­ni­schen Ver­hei­ßun­gen von „Glau­be, Hoff­nung, Lie­be“ zwangs­ver­mäh­len, sind in Fer­ri­ers Inter­pre­ta­ti­on ein Höhe­punkt der Tonträgergeschichte.

Natür­lich muss man die­se CD unbe­dingt allein hören.

Kath­le­en Fer­ri­er Edi­ti­on, CD 10. Mahler: 3 Rück­ert-Lie­der; Wie­ner Phil­har­mo­ni­ker, Bru­no Wal­ter. Brahms: Alt-Rhap­so­die; Lon­don Phil­har­mo­nic Orches­tra & Choir, Cle­mens Krauss. Brahms: Vier erns­te Gesän­ge, John New­mark, Pia­no (Dec­ca)

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Janu­ar 2015
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