Nach meiner gestrigen Empfehlung der von Friedrich Torberg unter dem Titel „Die Tante Jolesch” versammelten Anekdoten, in denen der von mir hochverehrte Egon Friedell eine exponierte Rolle spielt, sandte mir Leser *** ein Gedicht des 2019 verstorbenen australischen Schriftstellers Clive James zu, das ich Ihnen, wie man sagt, nicht vorenthalten will. Mehr noch, es hat mich so getroffen, dass ich mich sogleich an eine Nachdichtung setzte; sie folgt im Anschluss an das Original. Die Todesumstände Friedells setze ich hier als bekannt voraus.
Clive James
Egon Friedell’s Heroic Death
Egon Friedell committed suicide
By jumping from his window when he saw
Approaching brownshirts eager to preside
At rites the recent Anschluss had made law.
Vienna’s coffee-house habitués
By that time were in Paris, Amsterdam,
London, New York. Friedell just couldn’t raise
The energy to take it on the lam.
The Jews the Nazis liked to see in Hell
Were good at writing and owned lots of books –
Which all spelled certain curtains for Friedell.
That now in Europe we don’t often see.
For every volume he’d have had to pay
In pain what those thugs thought the fitting fee.
Forestalling them was simply common sense,
An act only a Pharisee would blame,
Yet hard to do when fear is so intense.
Would you have had the nerve to do the same?
The normal move would be to just lie still
And tell yourself you somehow might survive,
But this great man of letters had the will
To meet his death while he was still alive.
He sailed with all his learning left behind,
And by one further gesture turned defeat
Into a triumph for the human mind.
He called a warning even as he fell
In case his body hit a passer-by
As innocent as was Egon Friedell.
Der Tod des Egon Friedell
Egon Friedell beging Selbstmord in Wien.
Sprang aus dem Fenster, als an seiner Tür
Ein Trupp von Braungekleideten erschien,
Dem frischen Anschluss huldig nach Gebühr.
Das Wiener Kaffeehaus-Stammpublikum
War damals schon in Amsterdam, Paris,
London, New York. Daheim indes saß stumm
Friedell, den aller Lebensmut verließ.
Hier Stiefel, Schlagstock, dort die Hochkultur.
Die Nazis wollten Wien jetzt judenrein.
Für einen Autor wie Friedell blieb nur:
KZ-Gequälter oder tot zu sein.
Der Mann war kultiviert auf eine Art,
Wie man sie in Europa nicht mehr mag.
Sie hätten keine Leiden ihm erspart,
Für jedes seiner Bücher einen Schlag.
Mit einem Sprung vermeiden diesen Schmerz!
Vernunft entzieht sich solch Gesindels Wut!
Der Blick hinunter aber lähmt das Herz.
Wer täte es ihm gleich? Wer hat den Mut?
Der Mensch verharrt in großer Not gern still
Und hofft zu überleben, irgendwie.
Doch dieser Schöngeist noch im Tode will
Frei sein, wie andere im Leben nie.
So sprang er. Hinter ihm blieb alles,
Was er einst war. Er segelte hinab.
Doch eine Geste während dieses Falles
Ist ein Triumph des Geistes übers Grab.
Er blieb zivilisiert bis in den Tod.
Beim Sprung rief er noch eine Warnung schnell,
Damit sein Leib nicht andere bedroht,
Die unschuldig wie er, Egon Friedell.