15. Mai 2024

Um das Gesin­del zum Ver­schwin­den zu brin­gen, hat man das Wort tabuisiert.

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Zum Höcke-Urteil.

Es han­delt sich um einen Fall von poli­ti­scher Jus­tiz, eines Rechts­staa­tes, wie man sagt, unwür­dig – aber wo fän­de man Wür­de in den höhe­ren Rän­gen von Bestever­land? –, und zwar aus zwei Grün­den. Zum einen hat die Ver­tei­di­gung schlüs­sig begrün­det, dass für die Behaup­tung, „Alles für Deutsch­land” sei die oder wenigs­tens eine zen­tra­le Paro­le der SA gewe­sen, kein Nach­weis vor­liegt. Das Gericht hat auch kei­nen vor­ge­legt; des­sen gesam­te Argu­men­ta­ti­on beruh­te auf der Behaup­tung, das sei „all­ge­mein bekannt”, und als Beleg dien­te ein Urteil des OLG Hamm aus dem Jah­re 2006, in dem geschrie­ben steht, dass es sich bei der frag­li­chen For­mu­lie­rung „wie all­ge­mein bekannt ist, um die Losung der SA, d.h. der Sturm­ab­tei­lung im soge­nann­ten Drit­ten Reich, han­delt”. Auch das OLG Hamm ver­zich­te­te groß­zü­gig dar­auf, die­se Behaup­tung durch irgend­ei­ne Quel­le zu stüt­zen. Wäh­rend in die­sem Fal­le also nicht, wie sonst üblich, ein His­to­ri­ker vom ande­ren abge­schrie­ben hat, schrieb ein Gericht vom ande­ren ab.

Höckes Anwäl­te hat­ten zwar dar­auf hin­ge­wie­sen, dass weder in den bei­den his­to­ri­schen Stan­dard­wer­ken über die SA – Peter Lon­ge­rich, „Geschich­te der SA” (1989 zunächst unter dem Titel „Die brau­nen Batail­lo­ne” erschie­nen) und Dani­el Sie­mens, „Sturm­ab­tei­lung” (2019), – noch in dem Stan­dard­werk über die Spra­che des Drit­ten Reichs, Cor­ne­lia Schmitz-Ber­nings „Voka­bu­lar des Natio­nal­so­zia­lis­mus” (2. Aufl. 2007), die­se Paro­le über­haupt erwähnt wer­de (alle drei Bücher wur­den dem Gericht als Datei­en zur Nach­prü­fung vor­ge­legt). Es sei aber trotz­dem die Paro­le der SA gewe­sen, auch wenn sie „nicht in jedem Buch stün­de”, sta­tu­ier­ten die Rich­ter. Natür­lich nicht in jedem Buch, sagt der Anwalt Ulrich Vos­ger­au, in „Pip­pi Lang­strumpf” stün­den die­se Wor­te auch nicht, aber das Gericht habe nicht ein Buch vor­ge­legt, in dem sie zu fin­den seien.

Haben die Rich­ter wenigs­tens His­to­ri­ker als Sach­ver­stän­di­ge zur Stüt­zung ihrer, sagen wir: Hypo­the­se gela­den? Aber wo! Nicht einen. Also tat es die Ver­tei­di­gung. Was nicht ein­fach war; meh­re­re ange­spro­che­ne Pro­fes­so­ren reagier­ten auf die Bit­te wie auf die Andro­hung des Schei­ter­hau­fens – „Wenn ich zuguns­ten Höckes aus­sa­ge, kann ich mei­nen Lehr­stuhl abschrei­ben”, sag­te einer (was für eine pracht­vol­le Cha­ra­de über die Lage der geis­ti­gen Frei­heit in die­ser Repu­blik!) –, so dass am Ende ein­zig der „rech­te” His­to­ri­ker Karl­heinz Weiß­mann als Exper­te vor Gericht erschien und mit beein­dru­cken­der Sach­kennt­nis dar­leg­te, dass die­se Paro­le viel älter als der Natio­nal­so­zia­lis­mus ist, in der Wei­ma­rer Repu­blik über alle poli­ti­schen Lager hin­weg ver­wen­det wur­de und sich kei­nes­wegs im Sin­ne des Gerich­tes der SA zuord­nen ließe.

Die Bei­sit­ze­rin erkun­dig­te sich schlau, ob denn das Haken­kreuz vor den Natio­nal­so­zia­lis­ten bekannt gewe­sen sei. Weiß­mann, der nicht nur ein gro­ßes Werk über das Drit­te Reich, son­dern auch eines zur Geschich­te der Swas­tika ver­fasst hat, repli­zier­te als His­to­ri­ker und tat all­ge­mein Bekann­tes kund, ohne den Hin­ter­sinn der Fra­ge zu erra­ten. Ein Poli­ti­ker hät­te ant­wor­ten müs­sen: Ja, die­ses Sym­bol sei uralt und in vie­len Tei­len der Welt bekannt, aber erst der NS-Staat habe es poli­ti­siert, als sein zen­tra­les Kenn­zei­chen ver­wen­det und mil­lio­nen­fach ver­brei­tet, so dass es tat­säch­lich seit­her all­ge­mein bekannt sei und als schlecht­hin­ni­ges Zei­chen des Natio­nal­so­zia­lis­mus betrach­tet werde.

Das Urteil ist nun eben­falls all­ge­mein bekannt. Die Rich­ter taten so, als sei Weiß­mann nie vor ihnen erschie­nen, und sie hiel­ten die Behaup­tung des OLG Hamm für his­to­risch rele­van­ter als die ent­spre­chen­den Stan­dard­wer­ke. Das Gericht leg­te eben­falls kei­nen Beweis dafür vor (und führ­te auch kei­ne Zeu­gen­be­fra­gung durch), dass dem thü­rin­gi­schen Meis­ter Uri­an und Schlepp­fuß die Wor­te als Losung der SA bekannt gewe­sen sei­en – wie auch, wenn Bewei­se dafür so rar sind? – und er sie so bewusst wie vor­sätz­lich in die­sem Sin­ne ver­wen­det habe.

Ein Jurist sag­te mir ges­tern, dass wir inzwi­schen in einem Zustand der fin­gier­ten Wirk­lich­keit leb­ten, in dem für wahr zu gel­ten habe, was die Regie­rung wün­sche. Das sei bei den angeb­li­chen Hetz­jag­den von Chem­nitz so gewe­sen, als ein nichts­sa­gen­des Video­schnip­sel einer obsku­ren Anti­f­a­trup­pe nicht nur die Ein­schät­zung von Poli­zei, Staats­an­walt­schaft und Ver­fas­sungs­schutz aus­stach, son­dern sogar zur Ent­las­sung des VS-Chefs führ­te, das habe sich fort­ge­setzt bei dem angeb­li­chen Geheim­tref­fen am Lehnitz­see, wo kei­nes­wegs über die Depor­ta­ti­on von Mil­lio­nen Aus­län­dern gespro­chen wur­de und den­noch Aber­tau­sen­de Men­schen im fes­ten Glau­ben an die­ses Mär­lein auf die Stra­ße gin­gen, und fin­de nun sei­nen einst­wei­li­gen Höhe­punkt im Urteil des Land­ge­richts Hal­le (an des­sen Fas­sa­de necki­scher­wei­se der Aus­spruch „Jedem das Sei­ne” prangt), das ein­fach ohne jeden Beweis fest­legt, was fort­an als all­ge­mein bekann­te his­to­ri­sche Tat­sa­che zu gel­ten habe. Die Poin­te in allen Fäl­len bestehe dar­in, dass ein pures Nicht-dar­an-glau­ben bereits zur sozia­len Äch­tung führe.

Ich habe mich oft gefragt, was Sach­sens Minis­ter­prä­si­dent Kret­schmer, CDU, mein­te, als er von einem „Angriff auf unse­re Wahr­heits­sys­te­me” sprach. All­mäh­lich ahne ich es.

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Übri­gens wuss­te die Pres­se bereits am Mor­gen des letz­ten Ver­hand­lungs­ta­ges, wie das Urteil aus­fal­len würde.

Wir leben in einer rot­grü­nen Bananenrepublik.

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„Ich bin zwar kein His­to­ri­ker, son­dern nur ein pope­li­ger Poli­to­lo­ge, aber ich bil­de mir ein, mich mit Geschich­te nicht schlecht aus­zu­ken­nen”, schreibt Leser ***. „Und ich muss sagen, auch ich hat­te von der frag­li­chen ‚SA-Paro­le’, um die es im Höcke­pro­zess schein­bar ging, noch nie gehört. Es gibt im Fach Geschich­te nun wirk­lich wich­ti­ge­res als Sprü­che von alten Nazi-Orga­ni­sa­tio­nen. Dem­entspre­chend wür­de ich jede Wet­te ein­ge­hen, dass von 100 deut­schen Geschichts­leh­rern min­des­tens 95 noch nie von die­ser Paro­le gehört hatten.
Ich neh­me dem Rich­ter nicht ab, dass er das anders sah. Statt des­sen lie­fer­te er ein schö­nes Indiz dafür, dass die deut­sche Jus­tiz wenigs­tens in Tei­len von Akti­vis­ten durch­setzt ist, wie es die Höcke-Ver­tei­di­ger insi­nu­ier­ten. Immer­hin ler­nen wir durch die­sen Pro­zess: Es ist im bes­ten Deutsch­land aller Zei­ten nicht nur straf­bar, gewis­se Din­ge zu sagen. Es ist jetzt sogar prak­tisch straf­bar, gewis­se Din­ge nicht zu wissen. 
Das wird noch lus­tig wer­den ange­sichts des Zustands unse­rer Schulen.”
***
PS: Meh­re­re Leser wei­sen auf den SA-Dolch mit der frag­li­chen Auf­schrift hin.
„Ich habe zu der ‚Alles für Deutschland’-Frage ein wenig recher­chiert und dabei den Ein­druck gewon­nen, daß nicht nur die eine Sei­te Bedeu­tung und Bekannt­heit die­ses Satz­fet­zens aus Grün­den poli­ti­scher Oppor­tu­ni­tät maß­los über­treibt, son­dern auch die ande­re Sei­te den NS-Bezug ein wenig zu enga­giert unter den Tep­pich zu keh­ren ver­sucht”, meint Leser *** und ver­weist auf die­sen Twit­te­rer, der schreibt: „Höckes Anwalt Vos­ger­au argu­men­tiert im Pro­zess, ‚Alles für Deutsch­land’ habe nur auf einem SA-‚Ehrendolch’ gestan­den, den nur weni­ge ver­dien­te Mit­glie­der erhal­ten hät­ten. Tat­säch­lich führ­te die SA den Dolch mit dem Spruch 1933 ‚als Teil der regu­lä­ren Uni­form’ ein.”
„Das von der goog­le-Suche für ‚Alles für Deutsch­land Dolch’ gelie­fer­te Bild­ma­te­ri­al scheint mir die­se Aus­sa­ge zu bestä­ti­gen”, fährt *** fort. „Die Viel­zahl an von Mili­ta­ria-Ver­käu­fern feil­ge­bo­te­nen SA-Dol­chen mit der besag­ten Inschrift stützt jeden­falls nicht die The­se, daß der­ar­ti­ge Dol­che nur beson­ders ver­dien­te SA-Mit­glie­der erhal­ten hät­ten und ein SA-Bezug der ‚Paro­le’ nicht erkenn­bar sei. Die Staats­an­walt­schaft Chem­nitz hat­te übri­gens im Jahr 2018 ein in sel­ber Sache ein­ge­lei­te­tes Ver­fah­ren gegen Ihren Chem­nit­zer Vor­gän­ger Oeh­me mit der so inter­es­san­ten wie nach­voll­zieh­ba­ren Begrün­dung ein­ge­stellt, daß es sich ers­tens um kei­ne all­ge­mein bekann­te Paro­le natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Orga­ni­sa­tio­nen han­de­le und sich zwei­tens aus Oeh­mes Wort­laut kein Bezug zum NS-Regime ergebe.
Ein­ge­stellt wur­den die Ermitt­lun­gen dann aber im April 2018, nach­dem Oeh­me erklärt hat­te, den Hin­ter­grund nicht gekannt zu haben: Die Staats­an­walt­schaft Chem­nitz sag­te der ‚taz’, ihm sei nicht nach­zu­wei­sen gewe­sen, ‚dass er gewusst hat­te, dass es sich bei der Losung um die einer ver­bo­te­nen NS-Orga­ni­sa­ti­on han­delt’. Es han­de­le sich um ‚kei­ne all­ge­mein bekann­te Paro­le natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Orga­ni­sa­tio­nen’, es erge­be sich ‚auch aus dem Wort­laut kein Bezug zum NS-Regime’.
Jetzt darf der bra­ve Bun­des­re­pu­bli­ka­ner grübeln,
1. wes­halb das in Herrn Höckes Fall so grund­le­gend anders gese­hen wurde,
2. woher Herrn Höckes offen­bar unge­bro­che­ne Affi­ni­tät rührt, sich wie­der­holt zum Prot­ago­nis­ten der­ar­ti­ger Schmie­ren­ko­mö­di­en zu machen.”
***
Irgend­wie noch zum Vorigen.
Der MDR teilt mit:
Die­se Mel­dung hat, mit Zwi­schen­über­schrif­ten, 25 Zei­len. Dar­in kom­men die Begrif­fe „rechts­extrem” bzw. „gesi­chert rechts­extrem” sechs­mal, der Ter­mi­nus „Neue Rech­te” drei­mal vor.
Ich habe hier wie­der­holt dar­über spe­ku­liert, ob die KI die Genos­sen Hal­tungs­jour­na­lis­ten erset­zen kann. In Erwä­gung, dass ein Scham­ge­fühl sich nicht ohne mensch­li­ches Bewusst­sein ent­wi­ckeln kann, wür­de ich mei­nen: vollständig.
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