Der Held. Ein Nachruf

Zumin­dest ein vor­läu­fi­ger – oder kennt jemand noch ein Exem­plar?

 

Begin­nen wir mit einer Anek­do­te. Sie spielt im Win­ter 1812, irgend­wo in den Wei­ten Russ­lands. Mos­kau ist in Flam­men auf­ge­gan­gen, die fran­zö­si­schen Trup­pen befin­den sich, von Käl­te, Hun­ger, Krank­hei­ten und Kosa­ken­an­grif­fen dezi­miert und demo­ra­li­siert, auf dem Rück­zug. Der rus­si­sche Par­ti­san Denis Dawy­dow berich­tet folgendes: 

„Die Alte Gar­de, bei der sich Napo­le­on befand, näher­te sich. Wir spran­gen auf unse­re Pfer­de und erschie­nen wie­der an der gro­ßen Stra­ße. Als der Feind unse­ren lau­ten Hau­fen erblick­te, leg­te er die Hand an den Gewehr­hahn und setz­te sei­nen Weg stolz fort, ohne sei­ne Schrit­te zu beschleu­ni­gen. Allen unse­ren Ver­su­chen, auch nur einen Mann aus die­sen geschlos­se­nen Kolon­nen her­aus­zu­rei­ßen, setz­ten sie eiser­nen Wider­stand, an dem all unse­re Angrif­fe schei­ter­ten, ent­ge­gen; nie wer­de ich den frei­en Schritt und die ach­tung­ge­bie­ten­de Hal­tung die­ser Sol­da­ten ver­ges­sen, die dem Tod in allen sei­nen Gestal­ten ins Auge gese­hen hat­ten. Mit ihren hohen Bären­fell­müt­zen, ihren blau­en Uni­for­men, dem wei­ßen Leder­zeug, mit den roten Feder­bü­schen und Epau­let­ten gli­chen sie Mohn­blü­ten auf einem schnee­be­deck­tem Fel­de (…) Alle unse­re asia­ti­schen Angrif­fe ver­moch­ten nichts gegen die­se geschlos­se­ne euro­päi­sche For­ma­ti­on (…) An die­sem Tag nah­men wir noch einen Gene­ral, aller­lei Gepäck und 700 Sol­da­ten gefan­gen, doch Napo­le­on und die Gar­de gin­gen durch unse­re Kosa­ken hin­durch wie ein mit 100 Kano­nen bestück­tes Lini­en­schiff zwi­schen Fischerbooten.“

Wel­cher Mann kann das ohne mehr oder min­der heim­li­che Begeis­te­rung lesen? Der moder­ne West­eu­ro­pä­er durch­aus, wird man ant­wor­ten, er weiß schließ­lich, wohin all die­se Krie­ge und Hel­den­ta­ten geführt haben. Er ver­bringt lie­ber ein ganz und gar unhe­roi­sches Zivi­lis­ten­le­ben, und dass er in kei­ner Par­ti­sa­nen-Anek­do­te auf­taucht, nimmt er gern als Aus­gleich dafür in den Kauf, dass sei­ne Glied­ma­ßen voll­stän­dig sind oder sei­ne Kno­chen nicht irgend­wo in der Step­pe blei­chen, dass er sei­ne Kin­der auf­wach­sen sieht und das Stra­ßen­ca­fe gegen­über, in dem er täg­lich ver­kehrt, eine hüb­sche neue Kell­ne­rin hat. 

Kein Dis­sens. Oder?

Wer soll­te ihn auch äußern? Schließ­lich haben die „letz­ten Men­schen“, deren Her­auf­kunft Fried­rich Nietz­sche durch den Mund sei­nes Zara­thus­tra ange­kün­digt hat­te, das aris­to­kra­ti­sche Lebens­ziel des Ruh­mes längst durch das demo­kra­ti­sche des Glücks ersetzt. „’Wir haben das Glück erfun­den’ – sagen die letz­ten Men­schen und blin­zeln.“ War­um blin­zeln sie? Nun, unter ande­rem weil sie die unter­ge­hen­de Son­ne des Ruhms noch ein biss­chen blen­det. Sie sind sich ihrer Sache nicht ganz sicher. Kön­nen sie sich jemals sicher sein?

Bei der erwähn­ten fran­zö­si­schen Eli­te­trup­pe han­delt es sich übri­gens um die­sel­be, deren Kapi­tu­la­ti­on der Gene­ral Pierre Cam­bron­ne anno 1815 bei Water­loo mit dem sprich­wört­lich gewor­de­nen Satz ablehn­te: „Die Gar­de stirbt, aber sie ergibt sich nicht!“ – „Und ob die sich ergibt, die Gar­de!“ echot es andert­halb Jahr­hun­der­te spä­ter durch den Mund eines römi­schen Legio­närs in „Aste­rix bei den Bel­gi­ern“: Ein guter Witz, gewiss – doch wie sehr illus­triert er den ver­än­der­ten Zeit­geist!
Womit wir mit­ten im The­ma sind.

Der Held steht seit eini­ger Zeit und spe­zi­ell hier­zu­lan­de in schlech­tem Ruf. Wir leben in einer soge­nann­ten post­he­roi­schen Gesell­schaft. Das deut­sche Kar­tha­go hat, ähn­lich wie das his­to­ri­sche, nach dem Zwei­ten Puni­schen Krieg kein Bedürf­nis mehr nach Hel­den­ta­ten, und es geht ihm bis­lang recht gut dabei. Zumal der ame­ri­ka­ni­sche Hege­mon, anders als der römi­sche, den besieg­ten Geg­ner als vor­ge­scho­be­nen Pos­ten an der Peri­phe­rie sei­nes Impe­ri­ums gut gebrau­chen konn­te und ihn nicht nur ver­schon­te, son­dern sogar eine Art Freund­schaft mit ihm schloss, sofern der­glei­chen unter Staa­ten über­haupt mög­lich ist. Das deut­sche Kar­tha­go ging nicht nur nicht unter, son­dern konn­te es sich sogar leis­ten, unter dem Schutz sei­nes gro­ßen Ver­bün­de­ten pazi­fis­tisch zu wer­den. Ähn­lich erging es den Japa­nern, noch vor kur­zem eine Krie­ger­ge­sell­schaft par excel­lence und heu­te der ein­zi­ge Staat auf dem Pla­ne­ten, der qua Ver­fas­sung auf Kriegs­füh­rung, auch auf defen­si­ve, ver­zich­tet: Zwei Atom­bom­ben sowie die nahe­zu kom­plet­te Nie­der­bren­nung der Haupt­stadt kön­nen Erstaun­li­ches bewirken. 

Ver­gleich­ba­res hat bei den Deut­schen die Ein­äsche­rung ihrer Innen­städ­te bewirkt, der sie eben­so hilf­los zuschau­en muss­ten wie der noch demü­ti­gen­de­ren mil­lio­nen­fa­chen Ver­ge­wal­ti­gung deut­scher Frau­en durch vor allem die rus­si­schen Besat­zer. 1939 waren sie mehr nolens als volens auf­ge­bro­chen, die hal­be Welt zu erobern, deut­sche Trup­pen hat­ten auf den Schlacht­fel­dern Gewal­ti­ges geleis­tet und waren doch zer­schla­gen wor­den, und nun war ihr Land zer­stört, ampu­tiert, den Sie­gern auf Gna­de und Ver­derb aus­ge­lie­fert. Mil­lio­nen Men­schen waren tot, Mil­lio­nen ohne Obdach, Mil­lio­nen befan­den auf der Flucht. Der­glei­chen steckt kein Volk so ein­fach weg. Oben­drein setz­te sich all­mäh­lich  die Erkennt­nis durch, dass das Regime durch sei­ne Schand­ta­ten den deut­schen Namen in der Welt dis­kre­di­tiert hat­te. Die Kehr­sei­te der rie­si­gen Tap­fer­keit auf den Schlacht­fel­dern war der fei­ge Mas­sen­mord an Zivi­lis­ten, dar­un­ter Hun­dert­tau­sen­de Kin­der. Mit Hel­den­ge­den­ken, Nibe­lun­gen­treue, Sedan­tag und Flie­ger­as­sen war es vor­bei. Künf­tig woll­ten die Deut­schen nur noch eines: gut leben – und von Krie­gen ver­schont bleiben.

Erst ganz Euro­pa unter­wer­fen, dann am liebs­ten von der poli­ti­schen Land­kar­te ver­schwin­den wol­len: Die Radi­ka­li­tät die­ser Umkehr hat das Aus­land immer wie­der irri­tiert, am stärks­ten die Ame­ri­ka­ner. Einem Volk, des­sen Eiser­ner Kanz­ler einst stolz ver­kün­det hat­te: „Wir fürch­ten Gott und sonst nichts auf der Welt!“ und das zwei Men­schen­al­ter spä­ter den Begriff „Ger­man Angst“ zum gefü­gel­ten Wort mach­te, war nicht zu trau­en. Dass vie­le Deut­schen radi­kal­pa­zi­fis­tisch bis zur Selbst­auf­ga­be gewor­den waren, offen­bar­te der mil­lio­nen­fa­che und sogar bei der regie­ren­den SPD mehr­heits­fä­hi­ge Wider­stand gegen den Nato-Nach­rüs­tungs­be­schluss. Wäh­rend des ers­ten Golf­krie­ges war es schick, wei­ße Fah­nen aus den Fens­tern zu hän­gen. Das eins­ti­ge „Krie­ger­volk“ – in Wirk­lich­keit waren die Deut­schen zwar her­vor­ra­gen­de Kämp­fer, aber sie haben viel weni­ger Krie­ge geführt als Bri­ten, Fran­zo­sen oder US-Ame­ri­ka­ner – hat­te plötz­lich nicht nur Angst vor einem Atom­krieg, son­dern nicht min­der vor dem Wald­ster­ben, der Volks­zäh­lung, dem Hit­ler in sich, der Erd­er­wär­mung, vor BSE, Geflü­gel­grip­pe, Ver­si­che­rungs­lü­cken, Sekun­där­tu­gen­den, dem Absin­gen aller drei Stro­phen der Natio­nal­hym­ne und Stür­zen vom Fahr­rad ohne Helm. 

„Ein Zeit­al­ter, das nicht sei­nen Hel­den fin­det, ist patho­lo­gisch: sei­ne See­le ist unter­ernährt“, schrieb der Kul­tur­his­to­ri­ker Egon Frie­dell. Aber was ist über­haupt ein Held? Ist es denn statt­haft, ihn mit dem muti­gen Krie­ger geich­zu­set­zen? Hat sich das Bild vom Hel­den im Lau­fe der Jahr­hun­der­te nicht ver­wan­delt? Gewiss. Hie­ßen die Hel­den einst Juli­us Cäsar, Diet­rich von Bern, Fried­rich der Gro­ße oder Erwin Rom­mel, sind es heu­te eher Albert Schweit­zer, Nel­son Man­de­la, der Dalai Lama oder Mut­ter Theresa. 

Der Held der Fried­fer­ti­gen fand anno 2001 sein ver­bind­li­ches Sym­bol im New Yor­ker Feu­er­wehr­mann. Moder­ne west­li­che Hel­den töten nicht, son­dern ret­ten Leben, auch unter Ein­satz des eige­nen. Sie arbei­ten für „Ärz­te ohne Gren­zen“ oder „Amnes­ty inter­na­tio­nal“. Ein Held war auch jener Pilot, der unlängst sei­ne Boe­ing im Hud­son not­was­ser­te und den Pas­sa­gie­ren damit das Leben ret­te­te. Auch gewalt­freie Wider­ständ­ler wie Mahat­ma Gan­dhi oder Mar­tin Luther King gel­ten als hel­den­haf­te Men­schen. Ein poli­tisch kor­rek­ter Held darf nichts auf dem Kerb­holz haben und nicht der „fal­schen“ Sache die­nen. Die Umbe­nen­nung vie­ler Bun­des­wehr­ka­ser­nen illus­triert die­sen Para­dig­men­wech­sel (der Tag wird kom­men, an dem Rekru­ten in die Rita-Süss­muth-Kaser­ne ein­zie­hen und die „Dis­kurs“ am Horn von Afri­ka auf Pira­ten­jagd geht). Die ehe­ma­li­gen Kriegs­hel­den haben sich dage­gen in Täter und manch­mal sogar Ver­bre­cher ver­wan­delt. Der pas­sen­de Platz für Kriegs­hel­den ist der Hel­den­fried­hof, mei­nen die sar­kas­ti­sche­ren unter den Pazi­fis­ten (und wer wäre heu­te kei­ner?) – ein etwas ten­den­ziö­ser Satz übri­gens, denn dort lie­gen auch die Feig­lin­ge. Doch wie auch immer: Den­je­ni­gen, die in den End­la­gern des Sol­da­ten­tums ver­scharrt lie­gen, gebührt nach all­ge­mei­ner Auf­as­sung unge­fähr zur Hälf­te Mit­leid, zur ande­ren Hälf­te Geringschätzung. 

Eine halb­wegs ver­bind­li­che, epo­chen­über­grei­fen­de und wert­freie Defi­ni­ti­on des Hel­den könn­te zunächst also lau­ten: Ein Held ist ein Mensch, der unter Hint­an­stel­lung per­sön­li­chen Glücks und per­sön­li­chen Nut­zens sein Leben für eine Sache oder für die Gemein­schaft ein­setzt und manch­mal sogar opfert. Die­ses sein-Leben-Ein­set­zen kann zehn Minu­ten dau­ern oder 60 Jah­re; das unter­schei­det den Situa­tions-Hel­den vom „gro­ßen Mann“ (es kann natür­lich mit­un­ter auch eine Frau sein). Der Defi­ni­ti­on fehlt aller­dings etwas. „Rie­sen­haf­te Tap­fer­keit“, schrieb Tho­mas Mann, „ist bar­ba­risch ohne ein wohl­ar­ti­ku­lier­tes Ide­al, dem sie gilt.“ Zwar stei­gen und fal­len die Idea­le wie die Gezei­ten; was der einen Gene­ra­ti­on als erstre­bens­wert gilt, kann die nächs­te schon ver­wer­fen und ver­flu­chen, und inner­halb der ver­schie­de­nen Welt­tei­le gel­ten ohne­hin jeweils ande­re, aber unter allen zivi­li­sier­ten Völ­kern dürf­te eine gewis­se Einig­keit dar­über bestehen, dass der Held gut und edel zu sein hat. Ein Sagen­held, der Schwa­che tötet, das Alter nicht ehrt oder den Geg­ner, der die Waf­fen nie­der­ge­legt hat, umbringt, ist undenk­bar. Dass der­glei­chen in der Wirk­lich­keit dau­ernd vor­ge­kommt, sta­bi­li­siert nur das Ide­al­bild und rich­tet jene, die nicht wenigs­tens ver­such­ten, ihm zu ent­spre­chen. Die Waf­fen-SS etwa mag zwar der „Höhe­punkt des Krie­ger­tums“ (Ernst Nol­te) gewe­sen sein und für jeden Feind eine Kata­stro­phe – „wir wer­den der­glei­chen Sol­da­ten nicht mehr sehen“, schrieb der eng­li­sche Gene­ral Micha­el Rey­nolds in sei­nem Buch „Ein Geg­ner wie Stahl“ –, doch Hel­den waren die­se fana­tisch tap­fe­ren Bur­schen so wenig wie die im Aus­mor­den gan­zer Städ­te ver­sier­ten Krie­ger­hor­den der Assy­rer oder der Mon­go­len. Sie kann­ten kei­ne Gna­de. Sie geben kein Beispiel. 

Ursprüng­lich war der Held also jener Krie­ger, der sein Leben für eine aus heu­ti­ger Sicht so absur­de Sache wie den Ruhm aufs Spiel setz­te. „Besitz stirbt. Sip­pen ster­ben. Du selbst stirbst wie sie. Eines aber weiß ich, das ewig lebt: der Toten Taten­ruhm“, heißt es in der Edda. In Wolf­gang Peter­sens Film „Tro­ja“ wird ein Boten­jun­ge geschickt, den noch schla­fen­den Achil­les zur Schlacht zu holen. Die geg­ne­ri­schen Heer­füh­rer haben ver­ein­bart, das Gefecht nach altem Brauch durch einen Zwei­kampf der bei­den bes­ten Krie­ger zu ent­schei­den. Der Kämp­fer des Fein­des sei der gewal­tigs­te Mann, den er je gese­hen habe, erzählt der Bote dem sich anklei­den­den Achil­les, und setzt hin­zu: „Ich wür­de nicht gegen ihn kämp­fen wol­len.“
„Des­halb“, ver­setzt der Pel­ide, „wird sich auch nie­mand an dei­nen Namen erin­nen.“
Die­ser Satz ist natür­lich ein Schlag ins Gesicht für Mil­lio­nen Män­ner, die ja alle­samt noch jene gene­ti­sche Grund­aus­stat­tung mit sich her­um­tra­gen, wel­che den Typus Achil­les mög­lich gemacht hat (und die für den Über­le­bens­kampf gegen Kro­ko­di­le, Höh­len­bä­ren und feind­li­che Stäm­me not­wen­dig war), und die nun nach Argu­men­ten suchen müs­sen, war­um es gut sei, dass ihre Namen mit ihnen ver­schwin­den wer­den. Der Hin­weis auf die völ­lig ande­re Situa­ti­on, in wel­cher wir heu­te leben und in der krie­ge­ri­sches Hel­den­tum nahe­zu unmög­lich gewor­den ist, hilft des­halb nur mäßig wei­ter, weil die meis­ten ja auch vor 3000 Jah­ren die Ansicht des Boten­jun­gen geteilt haben wür­den. Es ist eine unge­heu­er­li­che Tat­sa­che, dass es die meis­te Zeit Män­ner gab, die das Wert­volls­te, das sie besa­ßen, ihr Leben, ohne mit der Wim­per zu zucken dran­ga­ben, und die es mit­un­ter als schänd­lich erach­te­ten, alt zu wer­den. „Heu­te ist ein guter Tag zum Ster­ben“ – für den moder­nen Men­schen wirkt ein sol­cher Satz gera­de­zu geis­tes­krank. Der Typus, der der­glei­chen auch nur zu den­ken ver­mag, ist inner­halb einer zivi­li­sier­ten Gesell­schaft nicht wün­schens­wert, er wäre eine Zumu­tung und eine Gefahr für sei­ne Mit­bür­ger. Doch wenn die Gesell­schaft als Gan­ze bedroht ist, beginnt man hän­de­rin­gend nach sol­chen Gestal­ten zu suchen. Solan­ge Dra­chen exis­tie­ren, braucht es den Dra­chen­kämp­fer, mag er auch ein unan­ge­neh­mer Gesel­le sein. Wenn­gleich der Typus des Dra­chen­ver­ste­hers (aus der Fer­ne natür­lich) inzwi­schen auf­ge­taucht ist, aber des­sen Psy­cho­gramm wür­de hier den Rah­men sprengen. 

Damit aus dem Krie­ger ein Held wird, muss also, zumin­dest seit es Zivi­li­sa­ti­on gibt, etwas hin­zu­kom­men: ein über den Ruhm hin­aus­ge­hen­de Ide­al. Bis­lang war und ist dies der Gedan­ke, dass etwas Ver­tei­di­gens­wer­tes exis­tiert, wofür ein Mann not­falls mit sei­nem Leben ein­zu­ste­hen hat: Frei­heit, Ehre, Fami­lie, Besitz, Tra­di­ti­on, Reli­gi­on, Volk, Nati­on. Ein Held war zum Bei­spiel – Mil­lio­nen euro­päi­sche Schü­ler haben es frü­her so gelernt und nie dar­an gezwei­felt – der Spar­ta­ner­kö­nig Leo­ni­das, der 479 vor Chris­tus mit sei­nen 300 Hopli­ten und eini­gen Hilfs­trup­pen die Enge der Ther­mo­py­len besetz­te, um dem hun­dert­mal grö­ße­ren Heer des Per­ser­kö­nigs Xer­xes den Weg nach Grie­chen­land zu ver­sper­ren. Der Opfer­tod die­ser Spar­tia­ten ist von Kriegs­his­to­ri­kern unter­schied­lich bewer­tet wor­den, als heroi­sche, aber mili­tä­risch sinn­lo­se Tat von den einen, als stra­te­gisch sinn­vol­le, weil sie der grie­chi­schen Flot­te Zeit­ge­winn ver­schaff­te, von ande­ren. „Die Kri­ti­ker sagen, Leo­ni­das hät­te sich zurück­zie­hen sol­len; soviel ist gewiß, die Kri­ti­ker hät­ten sich zurück­ge­zo­gen“, spot­te­te der His­to­ri­ker Hein­rich Leo in zeit­lo­ser Gül­tig­keit. Zwei­ein­halb Jahr­tau­sen­de hat der Ruhm der 300 nach­ge­hallt: „Wan­de­rer, kommst du nach Spar­ta, ver­kün­di­ge dor­ten, du habest/Uns hier lie­gen geseh’n, wie das Gesetz es befahl“, dich­te­te Schil­ler die Wor­te auf dem Gedenk­stein am Schlacht­ort nach. Der Held ist groß in der Defen­si­ve, als Beschüt­zer sei­nes Gemein­we­sens. Als sol­cher ist er der schlecht­hin vor­bild­li­che Cha­rak­ter; alle Kna­ben und jun­gen Män­ner ver­su­chen so zu sein wie er.

Die­ser Ver­tei­di­ger des Gemein­we­sens hat sich schon zu recht frü­her Zeit vom Kampf­platz ent­fernt, er ist vom Krie­ger zum Feld­her­ren und vom Feld­her­ren zum Stam­mes­fürs­ten, König oder Staa­ten­len­ker gewor­den, der sich natür­lich in hohem Maße um die krie­ge­ri­schen Belan­ge sei­nes Lan­des küm­mer­te und Ver­tei­di­gungs­in­ter­es­sen auch schon mal offen­siv defi­nier­te. Der Weg zur his­to­ri­schen Grö­ße führ­te fort von den Stät­ten der direk­ten kör­per­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung, wo auch der Stärks­te recht zügig über Ache­ron, Jor­dan oder Wup­per geht. Da die ein­zel­ne, kur­ze Hel­den­tat – übri­gens auch die des Hud­son-Pilo­ten – all­mäh­lich ver­blasst, muss sich der Held mit fort­schrei­ten­der Geschich­te in der Zeit aus­deh­nen, ein „gro­ßer Mann“ wer­den. Um sei­ne Taten zu voll­brin­gen, muss er über­le­ben. Er opfert sein Leben nun­mehr, indem er ein Leben lang einer Sache dient. Der Ruhm gilt dann der Lebens­leis­tung. Das ein­zi­ge, was der gro­ße Mann mit dem anti­ken Hel­den noch gemein­sam hat – und was bei­de so grund­le­gend aus der Mas­se hebt – ist ihr ent­schie­de­ner, zuwei­len mons­trö­ser Wil­le, selbst­be­stimmt zu handeln. 

Von „gro­ßen Män­nern“, die Geschich­te schrei­ben, wird man heu­te an kei­ner Uni­ver­si­tät mehr hören (zumin­dest an kei­ner deut­schen). Der Ega­li­ta­ris­mus „ver­führt die demo­kra­ti­sche Gesin­nung zu jener Per­ver­si­on, die jede Grö­ße veleug­net und das Heroi­sche ver­ach­tet“, kon­sta­tiert der Phi­lo­soph Nor­bert Bolz. „Es soll kei­ne gro­ßen Män­ner, kei­ne gro­ßen Taten und kei­ne gro­ßen Gedan­ken mehr geben. Des­halb dür­fen Nie­man­de Bio­gra­phien über Bis­marck als Neu­ro­ti­ker und Heid­eg­ger als Nazi schrei­ben.“ Seit der west­li­che Mensch die Geschich­te als Kampf­latz der Gesin­nun­gen und Ideo­lo­gien erschlos­sen hat, dehnt sich der Zeit­geist auch in die Ver­gan­gen­heit aus, und das Abräu­men eins­ti­ger Idea­le gehört zur Durch­set­zung der gera­de jeweils gel­ten­den. Eine über­al­ter­te, femi­ni­sier­te, weh­lei­di­ge, von his­to­ri­schen Schuld­ge­füh­len gesteu­er­te, der Gleich­heit und der Andro­gy­ni­tät hul­di­gen­de Gesell­schaft bekämpft expan­si­ve Männ­lich­keit mit halb pries­ter­li­chem, halb irren­ärzt­li­chem Ges­tus. „Nach der Ent­na­zi­fi­zie­rung kommt jetzt die Ent­machoi­sie­rung, die Ver­wand­lung des Man­nes in ein sor­gen­des Haus­tier. Letzt­lich geht es um die Aus­rot­tung von Stolz und Ehr­geiz“, resü­miert Bolz. 

Das ist aber nur die eine Sei­te. Die ande­re, schein­bar objek­ti­ve­re, betrifft die resi­gna­ti­ve Erkennt­nis des moder­nen Men­schen, dass es in den immer kom­ple­xe­ren und sich (der Him­mel weiß genau wie) wech­sel­sei­tig beein­flus­sen­den Struk­tu­ren einer inzwi­schen von sechs Mil­li­ar­den Men­schen besie­del­ten Welt auf den Ein­zel­nen nicht mehr ankommt. „Wir glau­ben heu­te über­haupt nicht mehr, daß Geschich­te g e m a c h t wird. Geschich­te g e s c h i e h t“, notier­te Sebas­ti­an Haff­ner. „Wir füh­len uns heu­te der Geschich­te so hilf­los aus­ge­lie­fert wie frü­her der Natur.“ 

Die­sem exakt 40 Jah­re altem Befund wird inzwi­schen wohl nie­mand mehr wider­spre­chen. Weder der tap­fe­re Krie­ger noch der gro­ße Mann haben heut­zu­ta­ge noch die Chan­ce, den Gang der Din­ge ent­schei­dend zu beein­flus­sen, und wenn man es sich recht über­legt, waren ihre Aus­sich­ten dafür nie beson­ders groß. Man kann dies leicht dar­an nach­wei­sen, dass vie­le bedeu­ten­de his­to­ri­sche Per­sön­lich­kei­ten poli­tisch wenig bis über­haupt nichts von dem erreicht haben, was sie anstreb­ten. Frank­reich war nach Napo­le­ons zwei­ter und end­gül­ti­ger Abdan­kung so groß wie bei sei­ner Macht­über­nah­me, auch wenn er zwi­schen­zeit­lich das hal­be Euro­pa beherrscht hat­te; Bis­marcks mit Blut und Eisen geschaf­fe­nes und mit Diplo­ma­tie kunst­voll nach allen Sei­ten abge­pols­ter­tes Reich hat kei­ne 80 Jah­re gehal­ten, im Grun­de nicht mal län­ger als bis 1914; unter der Ägi­de von Eng­lands Natio­nal­hel­den Chur­chill ist das Bri­ti­sche Welt­reich auf eine glo­bal betrach­tet völ­lig unbe­deu­ten­de Insel­grup­pe am Nord­west­rand Euro­pas zusam­men­ge­schrumpft. Haff­ner in sei­nem emi­nent his­to­ri­schen Den­ken war jedoch kei­nes­wegs bereit, die gro­ßen Män­ner retro­spek­tiv ein­fach preis­zu­ge­ben; gera­de weil sie trotz der offen­kun­di­gen Ver­geb­lich­keit ver­sucht hat­ten, die Welt nach ihren Vor­stel­lun­gen zu gestal­ten, erklär­te er, sei­en sie groß gewesen.

Eines frei­lich haben gro­ße Män­ner mit­un­ter erreicht (und es wird ihnen per­sön­lich sel­ten das Unwich­tigs­te gewe­sen sein): Die Welt kennt ihre Namen. Was eine eng­li­sche Zei­tung über Chur­chill schrieb, gilt pars pro toto: „Was immer sein Platz in der Geschich­te ist, sein Platz in der Sage ist ihm sicher.“ (Hier ergibt sich eine bezeich­nen­de und man­che irri­tie­ren­de Ver­bin­dung zum ego­ma­ni­schen Satz des Film-Achil­les.) Einen Namen haben sich frei­lich auch Erfin­der, Künst­ler, Phi­lo­so­phen, Bau­meis­ter, Welt­um­seg­ler, Kon­ti­nen­ter­schlie­ßer oder Welt­raum­ero­be­rer gemacht. Sind Imho­tep, Leo­nar­do da Vin­ci, Kolum­bus, Bach, Shake­speare, Kant, Edi­son oder Amund­sen etwa kei­ne gro­ßen Män­ner gewe­sen? Selbst­ver­ständ­lich waren sie das. Aber man wird sie nicht direkt – Kolum­bus und Amund­sen viel­leicht aus­ge­nom­men – als Hel­den bezeich­nen. Außer dass der moder­ne demo­kra­ti­sche Mensch bei­de gern weg­dis­ku­tie­ren möch­te, haben der Held und das Genie wenig gemein­sam. Ein Held kann ein gro­ßer Dumm­kopf, ein Genie ein aus­ge­mach­ter Feig­ling sein. Das Genie ver­tei­digt letzt­lich nur sich selbst. 

Wer aber wür­de das heu­ti­ge deut­sche Gemein­we­sen im Ernst­fall beschüt­zen? Horst Köh­ler? Cem Özd­emir? Michel Fried­man? Boris und Ben Becker? Die Links­par­tei? Der ADAC? Nein – natür­lich die Bun­des­wehr!
Es gibt jedoch hin­rei­chen­de Grün­de zu der Annah­me, dass auch Letz­te­re zu die­ser Auf­ga­be nur noch bedingt taugt. Die Trup­pe ver­fügt weder über aus­rei­chend Waf­fen noch Geld, ihr feh­len über­all Spe­zia­lis­ten, doch gemes­sen an ihrem Anse­hen in der Öffent­lich­keit und der dar­aus resul­tie­ren­den Kampf­mo­ral ist die mate­ri­el­le Situa­ti­on gera­de­zu kom­mod. In Poli­tik und Gesell­schaft herrscht gegen­über der Bun­des­wehr eine Mischung aus Des­in­ter­es­se und Gering­schät­zung, die sei­tens der Poli­ti­ker in eine merk­wür­di­ge Ver­druckst­heit umschlägt, wenn ein Sol­dat im Kampf­ein­satz getö­tet wird. Das­sel­be Par­la­ment, das die Aus­lands­mis­sio­nen beschließt, möch­te mit den nega­ti­ven Fol­gen mög­lichst nichts zu tun haben. Die Gesell­schaft iden­ti­fi­zie­re sich ungern mit den Sol­da­ten und sei nicht bereit, ihnen Rück­halt zu geben, klagt Rein­hold Rob­be, der Wehr­be­auf­trag­te des Bun­des­tags, ein SPD-Mann übri­gens. Die Gesell­schaft glaubt auch nicht dar­an, dass es Fein­de geben könn­te und stellt schon Ver­wen­der des Begriffs unter Talk­show-Qua­ra­tä­ne. Im Kampf fürs Vater­land ster­ben – das ist hier­zu­lan­de sowie­so nicht mehr ver­mit­tel­bar. Aber für den frei­en Welt­han­del oder die Bil­dungs­chan­cen mus­li­mi­scher Frau­en mag ein Bun­des­wehr­sol­dat so wenig sein Leben ris­kie­ren wie für die inter­na­tio­na­le Durch­set­zung der Demo­kra­tie oder der Müll­tren­nung. Also blei­ben die Idea­le und der Tod des Sol­da­ten eine rein armeein­ter­ne Ange­le­gen­heit. Wie aus­ge­rüs­tet und moti­viert die­se Trup­pe ist, inter­es­siert den Durch­schnitts­bun­des­bür­ger unge­fähr so sehr wie der Trai­nings­zu­stand von Ener­gie Cottbus. 

Es ist kein Wun­der, dass die­se Gesell­schaft mit mili­tä­ri­schen Tugen­den nichts anfan­gen kann. Unse­re Aus­ein­an­der­set­zun­gen las­sen wir von Anwäl­ten füh­ren. Wenn unse­re Fami­lie belei­digt wird, sind wir zwar ganz demons­tra­tiv sau­er, aber wir for­dern den Belei­di­ger nicht zum Duell. Wenn uns jemand bedroht, rufen wir nach der Poli­zei. Wird unser Land belei­digt, hören wir weg oder stim­men zu. Wenn uns der Chef schi­ka­niert, kün­di­gen wir; ist es der Nach­bar, zie­hen wir um. Lie­ber den Schwanz ein­knei­fen und kei­ne Ver­let­zun­gen oder Schlim­me­res ris­kie­ren, als sei­ne Wür­de ver­tei­di­gen. Sie ist ja bereits im Grund­ge­setz ver­brieft. Der post­he­roi­sche, bin­dungs­lo­se Nihi­list, in unse­rer Welt ein sehr häu­fi­ge Typus, hat nichts zu ver­tei­di­gen außer sei­nen Ver­brau­cher­rech­ten – die Frei­heit inter­es­siert die meis­ten Men­schen ja nicht so sehr. 

Wie man von Nietz­sche gelernt hat, ist das Res­sen­ti­ment schöp­fe­risch: Der Feig­ling stellt sich wenigs­tens mora­lisch über den Star­ken. Da Feig­heit nach wie vor kei­ne Tugend ist, wur­de sie zur Ver­nunft erho­ben. Feig­heit ist nichts Ehren­rüh­ri­ges, son­dern Lebens­klug­heit. „Feig aber glück­lich“, hieß in den 80ern ein Buch, das den Feig­ling zum evo­lu­tio­när erfolg­rei­chen Kon­flikt­ver­mei­der und zum eigent­li­chen Nor­mal­ty­pus erklär­te, der zudem noch ein ange­neh­mes Leben führt. 

Ein ande­rer Weg besteht dar­in, den Mut umzu­de­fi­nie­ren. Die Zuge­hö­rig­keit zum Main­stream gilt plötz­lich als Aus­weis von Cou­ra­ge. Hier­zu­lan­de darf sich mutig nen­nen oder gar wäh­nen, wer öffent­lich „Gesicht zeigt gegen rechts“, wor­in ihn außer allen Medi­en, allen Bun­des­tags­par­tei­en, allen Gewerk­schaf­ten und Minis­te­ri­en, der evan­ge­li­schen Kir­che, der Poli­zei, der Bun­des­wehr­füh­rung, den Uni­ver­si­tä­ten, der Schu­le und dem DFB-Prä­si­di­um kaum jemand unter­stützt. Auch im nach­träg­li­chen Kampf gegen Hit­ler sam­meln sich vie­le Cou­ra­gier­te. So lärm­te die soge­nann­te Wehr­machts­aus­stel­lung exakt zu jenem Zeit­punkt los, als auch der letz­te Vete­ran das Grei­sen­al­ter erreicht hat­te. Der Hass etwa, der dem Schrift­stel­ler Ernst Jün­ger aus dem grü­nen bis links­li­be­ra­len Milieu ent­ge­gen­schlug, speis­te sich auch aus dem mehr oder weni­ger bewuss­ten Res­sen­ti­ment der Feig­lin­ge gegen den wegen sei­ner Tap­fer­keit viel­fach aus­ge­zeich­ne­ten Welt­kriegs­teil­neh­mer, der sich oben­drein mit sei­nem Roman „Auf den Mar­mor­klip­pen“ bereits gegen Hit­ler gestellt hat­te, als der noch am Leben war – und der, ange­wi­dert vom nach­träg­li­chen Wider­stand gegen den toten Dik­ta­tor, sogar den imper­ti­nen­ten Stolz besaß, dies spä­ter zu bestreiten. 

Die­ser Ken­taur aus Krie­ger und Autor hat­te in den 1930er Jah­ren pro­gnos­ti­ziert, der Letz­te Mensch wer­de „not­wen­dig im Kampf um den Lebens­raum d i e Art der Tötung wäh­len“, die „am gefahr­lo­ses­ten und erbärm­lichs­ten“ sei: „den Angriff gegen die Unge­bo­re­nen“. Berech­nun­gen von Sta­tis­ti­kern zufol­ge kor­re­liert das quan­ti­ta­ti­ve Schrump­fen der Deut­schen exakt mit der Zahl der Abtrei­bun­gen. Ver­gleich­ba­res gilt für alle euro­päi­schen Län­der. Die­ser Bevöl­ke­rungs­schwund wird seit Jah­ren durch Ein­wan­de­rung über­wie­gend min­der­qua­li­fi­zier­ter, aber robus­ter Zweit- und Dritt­welt­ler aus­ge­gli­chen, deren etwas rus­ti­ka­le­rer Art, Kon­flik­te zu lösen, die alt­ein­ge­ses­se­ne Bevöl­ke­rung meist hilf­los gegen­über­steht. Womög­lich gibt es tat­säch­lich, wie Jün­ger ver­mu­te­te, eine Öko­lo­gie des Schmer­zes: Wer sich zuviel davon erspa­ren will, bekommt es eines Tages heim­ge­zahlt („Der Schmerz for­dert sei­ne Außen­stän­de zurück“). Die­se Gesell­schaft häuft also nicht nur unge­heu­re finan­zi­el­le, son­dern womög­lich auch enor­me Schmerz­schul­den für die Enkel an. 

Es ist nur typisch, dass die Behaup­tung, Sol­da­ten sei­en Mör­der, aus­ge­rech­net in jenem Land daher­ge­trö­tet wird und Gerich­te beschäf­tigt, in dem nun wirk­lich kein ein­zi­ger Sol­dat her­um­läuft, der jeman­den ermor­det hat oder Anstal­ten dazu macht oder Anstal­ten dazu macht, sei­ne Berufs­eh­re auch mal hand­fest zu ver­tei­di­gen. Es ist das Land jener Muti­gen, die ent­schie­de­ner Nicht­wi­der­stand zu Höchst­leis­tun­gen anspornt.

Den­noch ist 2009 irgend­wie ein deut­sches Hel­den­ge­denk­jahr mit drei­fal­ti­gem Anlass: Vor 2000 Jah­ren fand die Her­manns­schlacht statt, vor 20 Jah­ren stürz­ten die fried­li­chen Revo­lu­tio­nä­re in vor allem Leip­zig das SED-Regime, und der Film „Val­ky­rie“ über den Hit­ler-Atten­tä­ter Claus Graf Schenk von Stauf­fen­berg lief in die­sem Früh­jahr in den euro­päi­schen Kinos an. Alle zwei­ein­halb Jubi­lä­en (im Fal­le des Hit­ler-Atten­tats käme man aufs hal­be 65.) las­sen sich immer­hin von einer demo­kra­ti­schen Nati­on halb­wegs guten Gewis­sens fei­ern, denn den Che­rus­ker­fürs­ten, den baye­ri­schen Adli­gen und die Leip­zi­ger Demons­tran­ten ver­bin­det das frei­heit­li­che Motiv ihrer Taten. Wenn es um Frei­heit und Wider­stand gegen Dik­ta­to­ren geht, darf der Held noch halb­wegs einer sein. 

Frei­lich dürf­te es auf die­sem Pla­ne­ten eine hohe Zahl von Men­schen geben, die Osa­ma bin Laden und sei­ne Al Kai­da-Män­ner für heroi­sche Wider­stands­kämp­fer hal­ten. Die­se Leu­te könn­ten zum Bei­spiel dar­auf ver­wei­sen, dass Stauf­fen­berg sei­ne Bom­be nur abstell­te, um sich danach davon­zu­steh­len, wäh­rend mus­li­mi­sche Atten­tä­ter sich sel­ber mit in die Luft jagen, was schließ­lich muti­ger sei – aber im Wes­ten gel­ten sowohl bin Laden als auch sei­ne mobi­len andro­iden Spreng­sät­ze als „fei­ge Ter­ro­ris­ten“. In Eng­land und Ame­ri­ka, fei­ert man wie­der­um die Bom­ber­pi­lo­ten des Zwei­ten Welt­kriegs, die deut­sche und japa­ni­sche Städ­te samt Hun­dert­tau­sen­den Zivi­lis­ten kre­mier­ten, aber auch jene, die unlängst unter ande­rem Bag­dad bom­bar­dier­ten, als Kriegs­hel­den, wäh­rend die­se Art der Kriegs­füh­rung bei denen auf der Erde als Gip­fel der Feig­heit gilt. Wobei der His­to­ri­ker Jörg Fried­rich dar­auf hin­ge­wie­sen hat, dass für die alli­ier­ten Bom­ber­be­sat­zun­gen über Deutsch­land das Risi­ko, beim Angriff umzu­kom­men, pro­zen­tu­al wesent­lich höher lag als für einen durch­schnitt­li­chen deut­schen Stadt­be­woh­ner; fei­ge darf man die­se Bur­schen also nicht nen­nen (die über Bag­dad dage­gen brauch­ten man­gels geg­ne­ri­scher Flak nicht viel mehr Mut als ein Bungee-Springer).

Wel­che Per­spek­ti­ve ist nun die rich­ti­ge? Gibt es einen grund­le­gen­den Unter­schied zwi­schem dem mus­li­mi­schen und dem west­li­chen Kämp­fer, und wor­in besteht er? In sei­nem Essay „Die Kör­per von Abu Ghraib“ behaup­tet der Kul­tur­phi­lo­soph Boris Groys, der Unter­schied bestün­de in der dia­me­tra­len Wert­schät­zung von Leben und Wür­de. Wäh­rend der isla­mi­sche Ter­ro­rist bereit sei, sein Leben, aber nie­mals sei­ne Wür­de preis­zu­ge­ben, klam­me­re sich der west­li­che Mensch so ent­schie­den ans Leben, dass er „jeder­zeit und unter allen Umstän­den“ bereit sei, im Gegen­zug „sei­ne Wür­de zu ver­lie­ren und zu opfern“. 

Die Kul­tur­ver­ant­wort­li­chen, Intel­lek­tu­el­len und Medi­en­be­trei­ber des Wes­tens haben dafür seit lan­gem die zeit­geis­ti­gen Vor­aus­set­zun­gen geschaf­fen. Man kön­ne, so Groys, „die gesam­te künst­le­ri­sche Avant­gar­de ohne Wei­te­res als eine stän­di­ge Ver­un­stal­tung und Beschmut­zung des wür­di­gen Men­schen­bil­des inter­pre­tie­ren“, und in der kom­mer­zie­len Mas­sen­kul­tur sei der „pro­gram­ma­ti­sche, kal­ku­lier­te Ver­lust der mensch­li­chen Wür­de“ längst zum „Haupt­ver­fah­ren“ gewor­den. Groys Poin­te besteht dar­in, dass die Pyra­mi­den nack­ter ira­ki­scher Gefan­ge­ner vor zum Teil weib­li­chen GIs in west­li­chen Augen wie Ama­teur­auf­nah­men aus einem beson­ders exklu­si­ven Swin­ger­club wir­ken, wäh­rend aus mus­li­mi­scher Per­spek­ti­ve die Beleid­gung an Unge­heu­er­lich­keit nicht zu über­bie­ten ist. Wäh­rend der durch­schnittl­li­che Mensch des Wes­tens so sehr am Leben hängt, dass er sich weit lie­ber nackt zu Pyra­mi­den sta­peln las­sen wür­de, als zu ster­ben, will der durch­schnitt­li­che Mus­lim lie­ber umge­bracht als so gede­mü­tigt werden. 

Bei­de Welt­sich­ten befin­den sich der­zeit im krie­ge­ri­schen Kon­flikt, wobei die eine Sei­te bedeu­tend bes­ser Waf­fen hat, die ande­re dafür ent­schlos­se­ne­re Kom­batt­an­den. Es ist nicht sicher, ob es dem Wes­ten gelin­gen wird, die heroi­sche­re von bei­den durch Wohl­stand und sexu­el­le Frei­zü­gig­keit zu kor­rum­pie­ren und die Mus­li­me kol­lek­tiv in die Gefil­de der wür­de­los Seli­gen zu locken – zumal der Wohl­stand womög­lich nicht für alle reicht. Die tota­le tech­ni­sche Über­le­gen­heit des Wes­tens auf dem Schlacht­feld ist das eine. Es gibt eine zwei­te Front, sie ver­läuft auf den Stra­ßen und Schul­hö­fen west­li­cher Städ­te, wo die Tech­nik nichts nutzt und die soge­nann­te Zivil­ge­sell­schaft äußerst emp­find­lich ist. Wer die Aus­ein­an­der­set­zung mit Immi­gran­ten­kin­dern und ihren gro­ßen Brü­dern scheut und lie­ber eine ande­re Schu­le und eine bes­se­re Wohn­ge­gend für sich und sei­ne Kin­der sucht, ist zwar froh, dass aggres­si­ve Männ­lich­keit, Kin­der­reich­tum und das Sich-gewalt­sam-Durch­set­zen hier­zu­lan­de inzwi­schen als Unwer­te gel­ten – aber wohin wird das füh­ren? Dank Hit­ler ist der Otto-Nor­mal-Deut­sche bezie­hungs­wei­se ‑Bun­des­bür­ger ohne all­zu unmit­tel­ba­ren Immi­gra­ti­ons­hin­ter­grund zu jener Ver­nunft gelangt, die in der Kapi­tu­la­ti­on ihr See­len­heil fin­det und sich auch dann noch mit Lita­nei­en von anti­ras­sis­ti­scher Tole­ranz und der Gleich­wer­tig­keit aller Kul­tu­ren beschwich­tigt, wenn die west­li­chen Wer­te im (bis­lang) eige­nen Haus zur Dis­po­si­ti­on gestellt wer­den. Frei­lich: Wer wird für den ana­to­li­schen Ein­wan­de­rer­sohn, der auf einer deut­schen Stra­ße rabi­at das ver­tei­digt, was er für sei­ne lächer­li­che Ehre hält, nicht einen gewis­sen Respekt emp­fin­den? Men­schen sei­nes Schla­ges wer­den der­zeit welt­weit am häu­figs­ten gebo­ren. Wenn nun wirk­lich Ver­tei­lungs­kri­sen, Unru­hen und Minia­tur­bür­ger­krie­ge aus­bre­chen: Wer wird dann im Vor­teil sein?

Ehre, Wür­de, Stolz: Auch die­se drei Begrif­fe haben im Lau­fe der Jahr­hun­der­te ihre Bedeu­tung ver­än­dert, aller­dings nie­mals im Kern. Sie haben ledig­lich an der gesell­schaft­li­chen Wer­te­bör­se gegen­über dem Wohl­le­ben den bereits erwähn­ten Kurs­ver­lust erlebt. Das bedeu­tet kei­nes­wegs, dass in der west­li­chen Welt Stolz und Wür­de aus­ge­stor­ben sei­en. Ein guter Grad­mes­ser für die­se Eigen­schaf­ten ist die Opfer­be­reit­schaft. Es gibt auch klei­ne Hel­den, die jeden Tag ohne viel Auf­he­bens den Buckel krumm machen, damit es ande­ren gut geht. Die­nen adelt. Unter all den Anwäl­ten, Jour­na­lis­ten, Bör­sia­nern, Wer­bern, Fern­seh­lar­ven, Trend­scouts und Mar­ke­ting-Schwät­zern, die unse­re Gesell­schaft in viel zu hohem Maße prä­gen, ist es frei­lich schwer, wür­de­vol­le Men­schen zu ent­de­cken. Und an die Stel­le des wür­de­vol­len Grei­ses ist der jugend­li­che Gebrech­li­che getreten.

Zu den Pikan­te­rien unse­rer Zeit gehört, dass es einer der lächer­lichs­ten Berufs­grup­pen, den Schau­spie­lern, vor­be­hal­ten bleibt, auf der Lein­wand jene über­gro­ßen Cha­rak­te­re zu simu­lie­ren, die in der Gesell­schaft nicht mehr vor­zu­kom­men schei­nen – und dass sie dadurch sel­ber zu Ido­len wer­den. Nicht, dass die Men­schen nicht zwi­schen James Bond und sei­nem gera­de aktu­el­len Dar­stel­ler unter­schei­den könn­ten, aber eine merk­wür­di­ge unio mys­ti­ca exis­tiert zwi­schen bei­den doch.

Zwar gibt es aus der Per­spek­ti­ve der meis­ten Zeit­ge­nos­sen kei­ne ech­ten Hel­den mehr, aber das Bedürf­nis nach Hel­den­ver­eh­rung ist offen­bar im Men­schen ange­legt. Ob nun, in der kin­di­schen US-Ver­si­on, mit Super‑, Spi­der- oder Bat­man, ob mit Achil­les oder Leo­ni­das und sei­nen „300“ im gleich­na­mi­gen Film, ob mit Oskar Schind­ler oder Graf Stauf­fen­berg, ob mit den tap­fe­ren Mordor-Bekämp­fern im „Herr der Rin­ge“ oder mit John Rabe, dem „guten Deut­schen von Nan­king“: unent­wegt sieht sich der Gegen­warts­mensch mulit­me­di­al mit Hel­den und Hel­den­my­then kon­fron­tiert. Nicht min­der unent­wegt wer­den in der Rea­li­tät Ersatz­hel­den geschaf­fen. Als Kehr­sei­te des Ega­li­ta­ris­mus hat sich der Star­kult eta­bliert. Wenn alle gleich sind, hel­fen nur die Charts und die Bun­des­li­ga­ta­bel­le wei­ter. Der Sie­ger im Sport und im Wett­be­werb um die höchs­te Ein­schalt­quo­te gilt heu­te als der Held und genießt den ent­spre­chen­den Sta­tus. Die bekann­tes­ten Men­schen der Welt sind Pop­stars, Schau­spie­ler und Sport­ler. Sie opfern ihr Leben der Berühmt­heit. Immer­hin taucht unter Letz­te­ren schon mal ein Schwer­ge­wichts­bo­xer oder ein Tour de France-Sie­ger auf, der für sei­nen Sta­tus wenigs­tens g e l i t t e n hat. In der Regel liegt aber die lukra­ti­ve Nichts­wür­dig­keit des tele­ge­nen als-ob-Hel­den auf der Hand. Die Lebens­leis­tung eines Pop­stars ist nichts, ver­gli­chen mit der eines belie­bi­gen Alten­pfle­gers in der Pfle­ge­stu­fe III. Man muss nur anschau­en, wen oder was eine Gesell­schaft aus wel­chen Grün­den ver­ehrt, um nahe­zu alles über sie zu wis­sen. Glück­lich das Land, das kei­ne Hel­den nötig hat, so weit, so gut. Doch wie trau­rig das Land, das sich sol­che Imi­ta­te schafft.

Die­se Betrach­tung begann mit einer Anek­do­te, und sie soll mit einer schlie­ßen (dass es wie­der um Fran­zo­sen geht, ist eher Zufall als Man­gel an Chau­vi­nis­mus). Lou­is Ros­sel war der ein­zi­ge fran­zö­si­sche Berufs­of­fi­zier, der zur Pari­ser Kom­mu­ne über­lief, und zwar nicht, weil er Kom­mu­nist, son­dern weil er Patri­ot war. 1870 im Win­ter­krieg wegen sei­ner her­vor­ra­gen­den Leis­tun­gen zum Oberst beför­dert, hat­te er sich nach der Kapi­tu­la­ti­on von Metz der deut­schen Gefan­gen­schaft durch eine aben­teu­er­li­che Flucht ent­zo­gen. Am 19. März 1871 schrieb er aus Paris einen kur­zen Brief an den Kriegs­mi­nis­ter der Regie­rung Thiers, und die­ser Brief ver­dien­te es, in Stein gemei­ßelt zu wer­den: „Mon Géné­ral, da ich aus einer heu­te in Ver­sailles ver­öf­fent­lich­ten Depe­sche ent­neh­me, dass zwei Par­tei­en um die Herr­schaft in die­sem Lan­de kämp­fen, zöge­re ich nicht, mich der Sei­te anzu­schlie­ßen, in deren Rei­hen es kei­ne kapi­tu­lie­ren­den Gene­rä­le gibt.“ Der Mann, der dies schreibt, weiß genau, dass ein paar tau­send spär­lich bewaff­ne­te Pari­ser Arbei­ter nicht die gerings­te Chan­ce haben wer­den gegen die Regie­rungs­trup­pen, die nach der schmäh­li­chen Nie­der­la­ge gegen die Deut­schen eine Chan­ce sehen, ihren Ruf wie­der­her­zu­stel­len. Und doch ist da die­ser unbän­di­ge Stolz, der ihn zu Tat und Tod drängt. „Die sieg­rei­che Sache gefiel den Göt­tern, aber die unter­le­ge­ne gefiel dem Cato“: das ist der Wahl­spruch all derer, die zu stolz sind, sich den Macht­ver­hält­nis­sen anzu­pas­sen und lie­ber zugrun­de­ge­hen. Die erfolg­rei­che Ver­tei­di­gung von Paris in den ers­ten Wochen der Kom­mu­ne war vor allem Ros­sels Werk. Hat er je geglaubt, das Jahr zu über­le­ben? Ros­sel wur­de, 25jährig, am 28. Novem­ber 1871 hin­ge­rich­tet. Wäre er kein Held gewe­sen, hät­te er noch vie­le Jah­re leben können. 

Was soll dem Leser die­se fina­le Geschich­te sagen? Viel­leicht, dass er mit dem Gedan­ken im Hin­ter­kopf, welch hohen Ein­satz ande­re gewagt haben, wenigs­tens beschließt, sich nie mehr von irgend­wem in irgend­ein Bocks­horn jagen zu las­sen. Es gibt, wie der Apho­ris­ti­ker Nicolás Gómez Dávila fest­hielt, „immer Ther­mo­py­len, bei denen man ster­ben kann“. 

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Heft 92/Mai 2009, S. 18–26

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