14. September 2023

Ein Buch fand sei­nen Weg zu mir (es hat­te ihn wohl auch gesucht). Auf­ge­tan, über­setzt und mit einem Nach­wort ver­se­hen hat es ein Freund, wes­halb bei der Bespre­chung noch stren­ge­re Maß­stä­be wal­ten müs­sen, als ohne­hin schon an die­ser här­tes­ten Tür Mün­chens gel­ten, denn sonst gerie­te der Eck­la­den­be­trei­ber in den Ruch von Vettern‑, ja Günst­lings­wirt­schaft, man­cher­orts womög­lich sogar in jenen ver­such­ter Weltverschwörungsteilhabeerschleichung.

Ein Buch also, ein Roman, genau­er: ein Kol­por­ta­ge­ro­man bzw. eine Roman­sa­ti­re, mit unspek­ta­ku­lä­rem Titel, aber einem bekann­ten Autorennamen.

Iddo Net­an­ya­hu, Jahr­gang 1952, ist der jün­ge­re Bru­der des israe­li­schen Minis­ter­prä­si­den­ten. Der gelern­te Radio­lo­ge – er stu­dier­te in den USA (Cor­nell Uni­ver­si­ty) – nahm am Jom-Kip­pur-Krieg teil und dien­te, wie sei­ne bei­den Brü­der, in der Eli­te­ein­heit Saye­ret Mat­kal (der Ältes­te starb bei der Gei­sel­be­frei­ung in Enteb­be anno 1976). Seit fünf­zehn Jah­ren lebt Net­an­ya­hu als Autor und schreibt vor allem fürs Thea­ter. „Ita­mar K.” ist sein bis­lang ein­zi­ger Roman und sein ers­tes ins Deut­sche über­setz­tes Werk, was damit zu tun hat, dass deut­sche Ver­la­ge und Gazet­ten dem Publi­kum fast nur lin­ke, isra­el­kri­ti­sche Israe­lis prä­sen­tie­ren. „Ita­mar K.” aber ist eine Sati­re über die Lin­ken: gro­tesk, bit­ter, depri­mie­rend und zugleich rasend komisch.

Die Hand­lung spielt in der israe­li­schen Kul­tur­sze­ne der 1990er Jah­re. Bei der Lek­tü­re war ich zunächst, wie man sagt, bass erstaunt, denn wenn man die Namen der Per­so­nen und Orte aus­tausch­te, könn­te der Roman in Deutsch­land spie­len, und zwar im heu­ti­gen, im bes­ten Deutsch­land aller Zei­ten – obwohl er bereits 1998 erschie­nen ist. Die inzwi­schen hoch­mo­di­sche kul­tu­rel­le Selbstab­leh­nung der aka­de­mi­schen Eli­ten, die täg­li­che Denun­zia­ti­on der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on als unter­drü­cke­risch, ras­sis­tisch und kolo­nia­lis­tisch, die Ver­klä­rung der Drit­ten Welt, die Idea­li­sie­rung ihrer Bewoh­ner als arme, her­zens­gu­te Geschöp­fe und Opfer des Wes­tens, natür­lich auch das Sexis­mus- und Diver­si­ty-Gedöns, der absur­de Kon­struk­ti­vis­mus an den Uni­ver­si­tä­ten, die­ses gesam­te woke Lari­fa­ri gehör­te in Isra­el offen­bar bereits vor mehr als einem Vier­tel­jahr­hun­dert zum All­tag (sie sind halt streb­sam, die Juden). Die Rol­le, die bei uns die Sach­sen spie­len müs­sen, über­nah­men bzw. über­neh­men dort­zu­lan­de übri­gens die Siedler.

Der titel­ge­ben­de Ita­mar – wir kön­nen beim Vor­na­men blei­ben, die Israe­lis sind ein infor­mel­les Volk – ist ein Vio­li­nist, der nach einem Unfall sei­ne Pro­fes­si­on nur noch als Hob­by betrei­ben kann. Er kehrt aus den USA, wo er Film stu­diert hat, nach Isra­el zurück, mit einem Dreh­buch im Gepäck, das von einem berühm­ten jüdi­schen Sän­ger han­delt, einem (fik­ti­ven) Welt­star des Kunst­lied­ge­sangs, der vor ein paar Jah­ren ver­stor­ben ist und mit dem er befreun­det war. Für die Ver­fil­mung gewinnt Ita­mar einen pro­mi­nen­ten Für­spre­cher, Türen öff­nen sich, ein Pro­du­zent wird gefun­den, För­der­geld ist vor­han­den, die Sache könn­te Gestalt anneh­men. Doch Dreh­buch und Autor gera­ten in den – ein Qua­li­täts­jour­na­list wür­de schrei­ben: uner­bitt­li­chen – Schred­der des Kul­tur­be­triebs. Die­se Appa­ra­tur, die von natio­na­lem Selbst­hass und poli­ti­scher Kor­rekt­heit ange­trie­ben wird, häck­selt Kar­rie­ren, Freund­schaf­ten, Lehr­auf­trä­ge, Repu­ta­tio­nen und lässt „Ver­leum­dungs­ge­schnet­zel­tes” (S. 285) zurück. Ihr Bedien­per­so­nal gehört zur lin­ken Kul­tur­schi­cke­ria – man könn­te auch sagen: Es ist die lin­ke Kul­tur­schi­cke­ria – und setzt sich zusam­men aus trend­kon­for­men Autoren mit elas­ti­schen Ansich­ten, die so tun, als sei­en sie Frei­geis­ter, soge­nann­ten Krea­ti­ven, die sich für Künst­ler hal­ten und direkt oder indi­rekt von staat­li­chen Stif­tun­gen ali­men­tiert wer­den, was sie mit Lini­en­treue dan­ken, beflis­se­nen Absol­ven­tin­nen soge­nann­ter geis­tes­wis­sen­schaft­li­cher Stu­di­en­gän­ge, bereit zur Fabri­ka­ti­on von jeder Art Sozio-Bull­shit, und natür­lich aus jenen Jour­na­lis­ten, die pro­gres­siv gesinnt sind (also prak­tisch allen), die schrei­ben, was alle ande­ren auch schrei­ben, und behaup­ten, sie kämpf­ten gegen den Kon­for­mis­mus und dafür, dass alle Men­schen end­lich Schwes­tern werden.

Da ist zum Bei­spiel der Schrift­stel­ler, der im Gespräch damit prahlt, dass sein Buch in New York gleich in zwei Buch­hand­lun­gen aus­lie­ge, und sich sodann rühmt, er habe kei­ne Angst davor gehabt, im Inter­view mit einem israe­li­schen Sen­der den „Land­raub” anzu­pran­gern, der schon mit den ers­ten Tagen des Zio­nis­mus begon­nen habe: „Ich war cou­ra­giert genug, gegen unse­re gan­ze heuch­le­ri­sche Geschichts­schrei­bung Hal­tung zu zei­gen, denn dem ech­ten Künst­ler ist Zivil­cou­ra­ge imma­nent.” In Isra­el die Armee oder die Sied­ler zu kri­ti­sie­ren, war damals bei­na­he so en vogue wie zur sel­ben Zeit in der Bun­des­re­pu­blik die Ver­ächt­lich­ma­chung der Wehr­macht oder der Ver­trie­be­nen­ver­bän­de (nein, das ist kein „Ver­gleich” der Wehr­macht mit der IDF, son­dern ein Ver­gleich gewis­ser wohl­fei­ler Affek­te); heu­te, eine zwei­te Inti­fa­da, zahl­lo­se Anschlä­ge und Rake­ten­be­schüs­se spä­ter, schaut es ein biss­chen anders aus.

Da ist die Foto­gra­fin, die Bild­bän­de über Ohr­läpp­chen, Nasen­lö­cher, klei­ne Zehen und Zun­gen ver­öf­fent­licht hat und nun davon träumt, eine Ver­nis­sa­ge mit Fotos von Hän­den zu ver­an­stal­ten, im Gegen­satz zu ihren ande­ren „Arbei­ten” sol­len es aber nur die Hän­de einer ein­zi­gen Per­son sein, „die Hän­de eines Kämp­fers”, die zuerst die Al-Aqsa-Moschee auf dem Tem­pel­berg berüh­ren und sich dann „zum Frie­dens­schluss aus­stre­cken”, die Hän­de Abu Ammars – sie nennt ihn bei sei­nem Kampf­na­men –, „er und kein ande­rer”, the one and only: Jas­sir Ara­fat. Anfangs habe sie sich auf sei­ne Lip­pen kon­zen­trie­ren wol­len, sagt sie, „aber das war mir nicht sym­bo­lisch genug”.

Da sind zwei hüb­sche Tel Avi­ver Kul­tur­be­triebs­mäu­se, die einen jener Stu­di­en­gän­ge absol­viert haben, in denen aus Zita­ten und Plas­tik­be­grif­fen Theo­rie­müll­hal­den geschich­tet wer­den. Bei­de for­schen zum The­ma „Die Frau als Sex­ob­jekt im israe­li­schen Film” („Die Stu­te im Monu­men­tal-San­da­len­film” wäre auch nicht übel), eine schreibt par­al­lel dazu ihre Diplom­ar­beit über „Die Ziga­ret­te im israe­li­schen Film 1948–1958”. Ihre Gespä­che, denen der Leser enthu­si­as­miert lau­schen darf, klin­gen bei­spiels­wei­se so: „Die Sze­ne ist felline­sk oder viel­leicht eher: felline­sk-paso­li­niesk. Aber ich glau­be, dass der Kon­flikt hier eher zusam­men­hängt mit der dyna­mi­schen Seman­tik des weib­li­chen Haars in der Weltliteratur.”

Mit einer der bei­den beginnt Ita­mar eine Liai­son, und par­al­lel zu den ero­ti­schen Ver­gnü­gun­gen, die sei­ne Gelieb­te spen­det, genießt er die intel­lek­tu­el­len Freu­den, die sie ihm in den Pau­sen gewährt: „Zehn Ver­se hat das Gedicht bloß. Aber was für Ver­se! Das lyri­sche Ich steht vor dem Klo­sett und sieht sei­nen gel­ben Strahl und denkt dabei aber an den Bauch einer unbe­kann­ten Frau. Das war umwer­fend, ein­fach umwer­fend! Jedes Wort ruft kom­pli­zier­te Asso­zia­tio­nen her­vor. Ich glau­be, das lyri­sche Ich ist geschockt, als es begreift, dass die­se Flüs­sig­keit, die aus ihm her­vor­kommt, eine Aus­ge­burt von ihm selbst, also von sei­nem Kör­per, ist. Das ist eine ein­deu­ti­ge Anspie­lung auf die meta­phy­si­sche Trag­wei­te des schöp­fe­ri­schen Schrei­bens als Pro­zess, und viel­leicht sogar auf die gött­li­che Schöp­fung.” (Einem rus­sisch­stäm­mi­gen Israe­li hät­te die­ser Ver­gleich immer­hin ein­leuch­ten kön­nen; писать – pisat’ – bedeu­tet näm­lich sowohl „schrei­ben” als auch „pin­keln”.)

In die­se Atmo­sphä­re aus Post­zio­nis­mus und Prä­wo­kis­mus – es wird bereits ein „Sichel-Preis für zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment” ver­lie­hen – gerät Ita­mar also mit sei­nem Dreh­buch über Shaul Mela­med, einen Kam­mer­sän­ger von Welt­rang, der sich vor allem um das deut­sche Kunst­lied des 19. und frü­hen 20. Jahr­hun­derts ver­dient gemacht hat, wobei kaum einer sei­ner Gesprächs­part­ner auch nur einen Schim­mer davon besitzt, was das ist. Es ist ja auch gleich­gül­tig – und zwar buch­stäb­lich. In einem TV-Kul­tur­ma­ga­zin wird Mela­med gezeigt, wie er das Lied aus Schu­berts „Die schö­ne Mül­le­rin” singt, in dem der Mül­ler­bur­sche dem Bach sei­ne Lie­be gesteht, ich neh­me an, es han­delt sich um Num­mer 6 („Der Neugierige”):

„O Bäch­lein mei­ner Liebe,
was bist du wunderlich!
Will’s ja nicht wei­ter sagen,
sag’, Bäch­lein, liebt sie mich?”

Sodann folgt ein The­men­wech­sel, und die Mode­ra­to­rin wirbt für das „bahn­bre­chen­de” und soeben preis­ge­krön­te „Rap-Musi­cal Josh der G”:

„Josh, hey Josh, du Obermacker
Kil­ler, Gangs­ter, Motherfucker,
Bist der steils­te Typ der Hood
Und machst ein­fach mal Jeri­cho kaputt.
Ins­hal­lah! Bang-Bang, no shit:
Chab­os strugg­len, denn dein Spit
Lässt sie in die Hosen scheißen,
Wäh­rend ihre Mau­ern reißen.”

Das alles ist unpro­ble­ma­tisch; wo Josh der G sein Exis­tenz­recht genießt, kann auch ein alt­mo­di­scher Sän­ger irgend­wel­che ver­staub­ten Lie­bes­ka­mel­len vor­tra­gen. Die Pro­ble­me begin­nen damit, dass Mela­med sich an zwei Stel­len des Dreh­buchs patrio­tisch – also pro-israe­lisch – äußert. Damit nimmt das Unheil sei­nen Lauf. In der Tel Avi­ver Film­bran­che stößt Ita­mar aus­schließ­lich auf den Typus des libe­ra­len, sein Juden­tum und vor allem den Zio­nis­mus ableh­nen­den Israe­lis, der glaubt, dass Assi­mi­la­ti­on für Juden die bes­te aller Lösun­gen sei, sogar jene an die Ara­ber, obwohl auch die bes­tens assi­mi­lier­ten deut­schen Juden nichts vor der „End­lö­sung” geschützt hat. Mela­med habe „Gren­zen über­schrit­ten bei sei­nen Auf­trit­ten”, bekommt Ita­mar zu hören. Es sei da „so ein schnei­den­der Ton in sei­nen Äuße­run­gen” gewe­sen, „eine gewis­se Kraft­meie­rei, wenn er von Isra­el gespro­chen hat”. Der Sän­ger habe „die israe­li­sche Kriegs­ma­schi­ne­rie” in Schutz genom­men und „Zwie­tracht gesät”. Im Dreh­buch fän­den sich Stel­len, „die von einem Man­gel an Empa­thie zeu­gen und die wir als Ver­tre­ter einer gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­ti­on, die für staat­li­che Gel­der ver­ant­wort­lich ist, unter gar kei­nen Umstän­den igno­rie­ren kön­nen”. Das Script müs­se geän­dert werden.

Ein berühm­ter Regis­seur soll den Film schließ­lich dre­hen, ein tren­di­ger Berufs­ju­gend­li­cher, der gemein­sam mit sei­nem hip­pen Assis­ten­ten (der auch sein Lieb­ha­ber ist) vom Dreh­buch wenig übrig­zu­las­sen gedenkt. So soll bei­spiels­wei­se der Flü­gel, auf dem Mela­med beglei­tet wird, auf einer offe­nen Lade­flä­che durchs Land gefah­ren wer­den, vor­bei an ara­bi­schen Dör­fern, als Sym­bol der „Expan­si­ons­be­stre­bun­gen” der west­li­chen Kul­tur und „in die­ser Umge­bung genau­so fremd wie die Häu­ser der jüdi­schen Sied­ler im Ver­gleich zu den natür­li­chen Bau­ten der Ara­ber, die so wir­ken, als wären sie von selbst gespros­sen aus die­ser dunk­len, war­men, frucht­ba­ren Erde”. Zu den Bil­dern eines von Kero­sin­lam­pen erhell­ten ara­bi­schen Dor­fes mit sei­nen schla­fen­den Scha­fen und Maul­tie­ren soll aus dem Off die Stim­me Mela­meds ertö­nen, in des­sen Lied sich eine ara­bi­sche Melo­die mischt. „Der Gesang von Mela­med wird immer lei­ser, und ent­spre­chend lau­ter die ara­bi­sche Melo­die; am Ende wird nur noch sie zu hören sein.”

Da Ita­mar weder sein Manu­skript ändern noch den bewun­der­ten Freund ver­ra­ten will, zieht auch er den Zorn der Wohl­mei­nen­den auf sich. Wenn jemand erle­digt wer­den soll, geht das nicht ohne die Pres­se. Eine so treff­li­che wie über­zeit­li­che Pas­sa­ge des Romans lautet:

„Ita­mar hat­te den Arti­kel nicht gele­sen. Er hat­te nicht die lei­ses­te Vor­stel­lung davon, was die­ser Tage in der Redak­ti­on der Zei­tung auf der Tsid­ki­ya­hu-Stra­ße in Tel Aviv und in der Holo­ner Woh­nung der Jour­na­lis­tin Orit Mech­mash vor­be­rei­tet wor­den war. Orit hat­te sich in der Ecke der Redak­ti­ons­kan­ti­ne einen klei­nen, inti­men Arbeits­platz ein­ge­rich­tet. Dort stan­den ein Com­pu­ter, ein Tele­fon und ein Fax­ge­rät: mit­hin alles, was man für eine seriö­se jour­na­lis­ti­sche Recher­che benö­tig­te. Wie auch alle übri­gen Aus­ge­bur­ten der Höl­le, derer die Zei­tun­gen und Wochen­zeit­schrif­ten zur Genü­ge haben, hat­te auch die­se Rake­te Orit, aus den Kios­ken und Läden abge­schos­sen, an jenem Mor­gen alle israe­li­schen Woh­nun­gen getroffen.

Minen die­ser Art, gro­ße wie klei­ne, deto­nier­ten nahe­zu täg­lich. Hier liegt plötz­lich ein Par­tei­po­li­ti­ker mit einer Hals­wun­de. Er liegt auf einer Tra­ge im Kran­ken­haus und hofft, sich auf­zu­rap­peln und wie­der auf die Bei­ne zu kom­men, doch nach einer wei­te­ren Woche erhält er einen neu­en, dies­mal töd­li­chen Tref­fer. Da trifft einen Reser­ve­of­fi­zier ein Split­ter in die Brust, als er davon liest, was er vor 30 Jah­ren getan haben soll. Hier zer­fetzt es plötz­lich einen Durch­schnitts­bür­ger, nach­dem er sich damit ein­ver­stan­den erklärt hat, an einer Fern­seh­de­bat­te über das Ethos der Armee teil­zu­neh­men, und anschlie­ßend sei­nen Zank mit den Nach­barn in einem Zei­tungs­ar­ti­kel vor­fin­det, wor­in, unter ande­rem, der Inhalt des Müll­beu­tels, den er im Trep­pen­haus ver­streut haben soll, minu­ti­ös beschrie­ben wird. Dort haben wir einen Mathe­ma­tik­pro­fes­sor, der sich zur his­to­ri­schen Bedeu­tung die­ses oder jenes Unglücks geäu­ßert hat und dann, beim Öff­nen sei­ner Lieb­lings­zei­tung, zu erfah­ren sich genö­tigt sieht, dass er zu Schul­zei­ten nur mit Mühe und Not die ele­men­ta­re Alge­bra bewäl­tigt und von höhe­rer Mathe­ma­tik in sei­nem gan­zen Leben nie­mals auch nur gehört habe.

So fährt also das media­le Flä­chen­bom­bar­de­ment tag­täg­lich auf das Land her­ab, indem es Tote und Ver­letz­te hinterlässt.”

Wobei der Aus­gang des­sen, was der Leser noch für den Beginn eines hol­ly­woo­des­ken Show­downs hal­ten konn­te, von einem so nie­der­schmet­tern­den Rea­lis­mus ist, dass ich an die­ser Stel­le beschloss, mei­ne noto­ri­sche Prio­ri­sie­rung des Wie gegen­über dem Was ein­mal auf­zu­ge­ben – es ist, wie gesagt, eine Kol­por­ta­ge, Sati­re, Gro­tes­ke – und das Buch ins Schau­fens­ter des Klei­nen Eck­la­dens zu legen.

Das lesens­wer­te Nach­wort des Über­set­zers Artur Abra­mo­vych erläu­tert die spe­zi­el­le Situa­ti­on der Kul­tur­schaf­fen­den in Isra­el zwi­schen Selbst­ver­ach­tung und Selbst­be­haup­tung, die der deut­schen gar nicht so unähn­lich ist. Es beginnt mit der lako­ni­schen, kaum bestreit­ba­ren Fest­stel­lung: „In der Geschich­te der Moder­ne fin­det sich schwer­lich ein links regier­tes Land mit einem rech­ten Kul­tur­be­trieb. Das Gegen­teil ist hin­ge­gen nach­ge­ra­de die Norm.” Damit ist der Kern des Übels benannt: Rechts oder kon­ser­va­tiv regier­te Län­der tole­rie­ren (oder för­dern) einen lin­ken Kul­tur­be­trieb, der von ihnen zehrt und sie zugleich schwächt, wäh­rend links regier­te Län­der die Rech­ten drang­sa­lie­ren oder gleich ver­fol­gen. Die tröst­li­che „Bot­schaft”, die der Roman zwar nicht direkt ver­mit­telt, aber die Wirk­lich­keit an sei­ner Stel­le, lau­tet: Zumin­dest in Isra­el ist die­ses ver­lo­ge­ne, para­si­tä­re, intel­lek­tu­ell dürf­ti­ge, denun­zia­to­ri­sche, per­ma­nent Unfrie­den stif­ten­de Milieu inzwi­schen ent­mach­tet und mar­gi­na­li­siert worden.

Wenn uns die Israe­lis vor einem Vier­tel­jahr­hun­dert vor­aus waren, war­um nicht dies­mal wieder?

(Wer das Buch beim Ver­lag bestel­len mag, kann das hier tun.)

 

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